Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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Sonntag sollte unser brisantes Frühstück über die Bühne gehen. Doch die Fallstricke des Schicksals zerschlugen meine Pläne. Katjas Chef überrumpelte alle Beteiligten mit seinem spontanen Entschluss, vor meinem Gartentor auf Katja zu warten. Die Adresse kannte er aus der ersten eMail. Ihm schwante, dass die Sache mit der offiziell anonymen Quelle stank. Also bog der Kommissar kurz entschlossen ab und opferte der akribischen Recherche seinen heiß geliebten Segeltörn auf dem Wannsee.

      Mit solchen Kurzschlusshandlungen, lernte ich genervt, war der langsame Schicksalsfluss überfordert. Eine später stets wiederkehrende, boshaft lauernde Gefahrenquelle.

      Jetzt blieben mir knapp zwanzig Minuten, mich darauf einzustellen. Plan B kam nie gut, andernfalls hätte er ja auch die A-Note erhalten müssen. Wenigstens reichte die Zeit, um Katja vorzuwarnen.

      Das dreisame Frühstück geriet, gelinde ausgedrückt, ungemütlich. Die Spannung ließ sich kaum ertragen. Oberflächlichen Smalltalk verkniff ich mir von vornherein. Katja erzählte recht monoton vom Auffinden der entscheidenden Puzzleteile des letzten Falls, erstarb aber nach und nach. Jeder würgte an seinem Brötchen.

      Irgendwann war es wiederum Katja, die die Faxen dicke hatte, wie sie das hinterher nannte. Der andere Grund, so erkannte ich: Sie musste ihr bizarres Geheimnis schlicht mal ausspucken. Also ballerte die Kommissarin ihrem Chef hemmungslos einige schwer verdauliche Tatsachen über mich um die Ohren.

      Mit versteinerter Miene stand er wortlos auf und ging.

      „Was soll ich tun?“, bat ich die Sphäre um Rat.

      „Lass ihn, er wird das Gesagte verdrängen und danach so tun, als kämen die Informationen ausschließlich von Katja selbst.“

      Mehr umständlich denn behutsam erklärte ich es der Kommissarin. Sie zeigte sich fürs Erste einverstanden. Dabei schwang noch etwas anderes, Zartes in ihrer Seele mit.

      „Ups, Katja beginnt sich in ihren Chef zu verlieben. Da werde ich mich hübsch heraushalten.“

      „Sie wird deine Hilfe benötigen, Lilia.“

      „Oh nein!“

      „Oh ja“, brummten sie im tiefsten Bass zurück.

      Befreit genossen wir Frauen unser Frühstück nun doppelt. Nach dem ersten Glas Sekt wagte ich mich an meine eigentliche Mission. „Katja, was wäre, wenn du schon vorher von einem Mordkomplott wüsstest?“

      „Na, das wäre echt cool. Jedenfalls, wenn der Täter trotzdem hinter Gittern verschwindet“, erwiderte sie herzhaft. Ganz langsam folgte der schräge Blick in meine Richtung. Ich sah ihr Gehirn förmlich rattern. „Du meinst, du willst sagen, also…“

      „Nicht nur tolles Essen und verschwundene Leichen, genau.“

      Drückende Unsicherheit musste in ihrem Inneren aufkeimender Angst weichen, flackernder Mut griff an, bevor ihr Instinkt zögerlich das Rudern durch unbekannte Gewässer übernahm. Die Kommissarin würde es schaffen. Sie musste es schaffen!

      Was vom Sonntag für mich allein übrig blieb, investierte ich in ein zukünftiges Mordkomplott. Einmal ist immer das erste Mal. Oder?

      Zur Belohnung gönnte ich mir hinterher als verspätetes Abendessen eine Pizza der Größe L, belegt mit frischem Gemüse. Der Vorteil, wenn man allein lebte, war, hemmungslos mit den Fingern essen zu können. Mein Bauch nahm unterdessen die Form einer Melone an, sozusagen von der Honig- zur Wassermelone anschwellend. „Ein wenig Bewegung könnte jetzt nicht schaden.“

      Aber draußen herrschte längst die Nacht über das Firmament.

      Aus einem unergründlichen Nichts ließ mein Kopf in seine Stille hinein Clara Pontys „Melancholy“ erklingen. „Der Flügel!“ Ich ging ins Wohnzimmer, entzündete Kerzen und öffnete ihn. Bedächtig setzte ich mich auf den Schemel, ließ meine Augen über die Tasten gleiten. Mit leicht gespreizten Fingern legten sich meine Hände sacht darüber. Zaghaft wiederholte ich „Melancholy“. Von dem akzeptablen Resultat ermutigt, versuchte ich mich an Chopins „Nocturne“. „Ah, welch eine Wonne!“ Verborgene Sehnsüchte glitten durch meine Finger hinaus wie Freudentränen. Darin versinkend, erklang die „Mondschein-Sonate“. Nun mit geschlossenen Augen wogend, verlor ich jedes Gefühl für Zeit und Raum.

      „Lilia! Lilia!“ Mit donnernder Macht riefen die Sternelben.

      Verwirrt wusste ich mich kaum in die Realität zurück zu befördern.

      „Lilia, komm zu dir!“

      „Warum, was ist?“

      „Elin, du musst sie retten!“

      Ihre Botschaft sprengte sämtliche Träumereien mit Lichtgeschwindigkeit aus meinem Kopf. „Wo ist sie?“

      „Schnell, wir führen dich, benutze den Wagen.“

      Die Sternelben lotsten, nein, scheuchten mich quer durch die nächtliche Stadt in Richtung Osten, bis eine große Industriebrache auftauchte.

      „Spute dich, Lilia, ihr müsst schleunigst fort.“

      Ich sprang aus dem Wagen, hastete über Steinbrocken, verrostete Drähte und abgekippten Sperrmüll, begleitet von beißendem Güllegestank. „Ist hier ein Abwasserrohr geplatzt?“ Würgend presste ich eine Hand vor die Nase. Meine Augen schossen hektisch hierhin und dorthin, bis ich ein schwächliches Glimmen zu erkennen glaubte.

      Elin lag halb verborgen unter einem zerbeulten Blechstück. Behutsam hob ich sie auf. Die Elbe wog – nichts. Ihr Licht schien beinahe erloschen.

      „Elin, Elin, bitte halte durch, ich bin bei dir, alles wird gut.“

      Kaum mehr wahrnehmbares Flüstern: „Lilia, in die Kirche.“

      Die Sternelben drängten mit brausendem Gesang zur Eile. Im stolpernden Laufschritt trug ich die Elbe zum Auto, legte sie auf die Rückbank und sprang zurück auf den Fahrersitz. Mit Vollgas ging es über rote Ampeln nach Santa Christiana.

      Vorsichtig mit dem linken Arm Elin haltend, tastete ich nach dem Schlüssel für die Kirchentür. Die Lichtwesen erleuchteten bereits den Altarraum. Langsam ließ ich mich auf das Kissen sinken, zog Elin auf meinen Schoß und richtete ihre offenen Handflächen zum Licht aus. Mein Herz stolperte vor Kummer, Furcht und Erschöpfung, doch meine Gedanken gehörten allein ihr. „Werdet ihr sie retten? Bleib bei mir, Elin!“

      Das Licht erstrahlte heller, immer heller um uns. Aber ihr leiser Gesang schläferte mich bald ein, friedlich gegen die Seitenwand des Altars gelehnt. So wurde niemand Zeuge des ungeheuerlichen Geschehens. Inmitten ihres grellen Lichtkegels erschien ein feiner, silberner Strahl. Er zielte auf meine Seele, verharrte, und verschwand in mir.

      Genau diese Horrornacht wählten die Sternelben aus, um klammheimlich die Seele ihrer Elbenfürstin Joerdis in meinen Körper zu geleiten.

      „Lilia, aufwachen, die Morgendämmerung beginnt!“

      Benommen gewahrte ich meine Umgebung. „Wie geht es ihr?“

      „Das Elbenvolk ist zäh, sorge dich nicht länger.“

      Die Elbe bewegte sich.

      „Elin! Bist du okay? Was ist eigentlich passiert?“

      Abwehrend verschloss sie ihren Geist. „Vielleicht später.“

      „Aber jetzt bleibst du nachts erst einmal zuhause, bis du wieder richtig fit bist“, forderte ich streng.

      Ein kleines Lächeln als Antwort. Doch mir zog sich der Magen zusammen bei dem Gedanken, wie knapp die Elbe ihrem Tod entronnen sein mochte.

      „Danke, Elbentochter.“

      Raimund öffnete im ungünstigsten Moment den Vorhang seines Schlafzimmerfensters, nämlich als wir über den Kirchhof gingen.