Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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drei Tage.

      „Bevor wir für die Übungen in den Park gehen, lehre ich dich zunächst Blickschutz.“

      Mein Kopf produzierte ein Fragezeichen.

      „Ganz einfach, sähe dich ein Mensch auf dem Rasen wild herumfuchteln, dann kämst du in ziemliche Erklärungsnot.“

      Einleuchtend. „Und wie stelle ich das an?“

      „Erst aufessen!“

      Ein „Ja, Mutti“ lag mir auf der Zunge.

      Natürlich hielt die Elbe es für überflüssig zu erwähnen, dass das Gelingen solch magischen Kunststücks bei einer Halbelbe keineswegs ausgemacht war.

      Zehn Minuten später standen wir in der Eingangshalle. Dort verschwand die Elbe vor meinen Augen und wurde beinahe im selben Atemzug wieder sichtbar. Sie befahl: „Hülle dich in einen unsichtbaren Kapuzenumhang.“

      „Meinst du so einen Tarnumhang wie bei Harry Potter?“

      „Bitte?“

      „Du sagtest, ich soll …“

      „Ich weiß, was ich sagte.“

      „Und woher nehme ich das Teil?“

      Elin stemmte ihre Hände in die Hüften und sagte betont langsam für extra Doofe: „Aus deinem Querschädel.“

      „Ah – ja.“ Damit verbunden vermittelte ich der Elbe einen Wasserfall an Fragezeichen.

      Erst riss ihr Blick meinen Kopf ab, dann besann Elin sich. „Für die Menschin nochmal von vorne: Du stellst dir in deinem Geist einen unsichtbaren Umhang vor. Den hängst du dir um. Klar?“

      „Äh, versuchsweise. O – kay…“

      Es funktionierte! Was Elin richtig schön überrumpelte. Ich gebe zu, die reine Wahrheit war: Gesicht und Hände hingen ohne Körper in der Luft.

      Die Elbe zog mich vor den großen Flurspiegel.

      „Nun verhülle den Rest.“

      Aber ich schüttelte mich bei diesem durchgeknallten Anblick dermaßen vor Lachen, bis mir der Bauch wehtat. Minutenlang ging nichts mehr.

      „Albern wie ein Teenager!“, schimpfte Elin.

      Dieselbe Botschaft sandte mir meine Gefühlszentrale bereits seit Tagen. Das Elbenkind mauserte sich klammheimlich und in atemraubender Geschwindigkeit zum Teenager. „Hihi!“

      Kurz darauf betraten wir beide wie unsichtbare Geister die ausgedehnte Rasenfläche des Parks.

      „Na, dann wollen wir gleich mal sehen, ob deine Kampfmagie ebenso stark ist“, forderte die Elbe mich heraus.

      „Ach, ich hab ja noch mein Kleid an.“

      „Umso besser“, meinte sie.

      „Merkwürdig, dass ich zunehmend nach Kleidern, vorzugsweise in Weiß, greife statt nach bequemen Jeans.“

      „Lilia, bitte konzentriere dich“, mahnte Elin. „Du hast große Mengen an Licht in dir gespeichert. Jetzt geht es darum, sie wieder hinaus zu lassen. Schließ deine Augen und erspüre die Energie in dir.“

      Die Aufgabe dauerte einen Hauch länger. Als ich es geschafft hatte, begann ich vergnügt, ein bisschen mit dem Licht in meinem Innern zu spielen.

      Irgendwann hörte ich ein verständnisloses: „Was brauchst du denn so lange dafür?“

      An Stelle einer Antwort formte ich eine kleine Lichtkugel und befahl sie in meine rechte Hand. Dann warf ich die Kugel zu Elin hinüber. Könnten Elben in Ohnmacht fallen, sie hätte es getan. Garantiert!

      Elin stöhnte nur noch: „Überspringen wir also die Lektionen 1 bis 4. Wozu habe ich überhaupt einen Lehrplan ausgebrütet?“

      „Tja“, erwiderte ich schelmisch, „ich werde elbisch und du menschelst.“

      Wir lachten uns kringelig.

      Den restlichen Vormittag formte ich mit dem absoluten Maximum meiner Konzentrationsfähigkeit abwechselnd Bälle, Kreise, Seile oder Säulen aus gleißendem Licht. Im zweiten Schritt lernte ich, den Lichtkörpern einfache Befehle zu erteilen. Im Grunde genommen agierte ich wie ein Jongleur, bloß ohne Muskelkraft. Eine wahrhaft anstrengende Arbeit.

      „Schluss für heute!“

      Mehr als einverstanden ging ich mit Elin ins Haus. Irgendwie fühlte ich mich leer, selbst noch nach Sandwiches mit Milch.

      „Ab in die Kirche!“, kommandierte die Elbe.

      Hungrig nahm ich in Santa Christiana neues Licht in mir auf. „Hungrig?“ Zwar hatte ich es gegenüber Raimund kürzlich erwähnt, doch zum ersten Mal empfand ich das Licht tatsächlich als Nahrungsquelle. Raimund. Manchmal schaute er mir eine Zeit lang in der Kirche zu. Seine Sehnsucht, sein Verlangen galt den Lichtwesen. Ein einziges Mal diese Wesen hören, das war sein unerfüllbarer Traum. Denn hier fand Magie ihre Grenze. Oder fand vielmehr das Wollen der sphärischen Geschöpfe sein hartnäckiges Ende?

      Die Sternelben zeigten sich erfreut über meine magischen Fortschritte. Diesmal sangen sie eine Geschichte über die Elbenfürstin. Ihr Mut, ihre Anmut, ihre klare Seele und ihre starke Hand kamen darin vor. Ach, im Vergleich zu Joerdis fühlte ich mich wie ein Wicht.

      „Warum nennt ihr und Elin niemals den Namen der Fürstin?“, wollte ich spontan wissen.

      „Ehre und Achtung verbieten es“, behaupteten sie.

      Ich stutzte. „Warum trage ich dann ihren Namen?“

      „Das haben nicht wir entschieden!“

      Ende der Durchsage. Ich fühlte mich wie eine abgekanzelte Erstklässlerin. „Schluss mit lustig“, ätzte mein Alter Ego. Womit es leider vorausschauend recht behielt.

      Nach der unerquicklichen Zusammenkunft schickten mich die Sängerinnen auf den nahe gelegenen Marktplatz. Als Folge der Magie drückte ich mich vor lästigen Einkäufen jeder Art. Die Kehrseite: Meine Mitmenschen bekam ich so gut wie nie zu Gesicht. Damit verstieß ich gegen den ersten Auftrag der Lichtwesen, zuvorderst die Seelen meiner Mitmenschen hören zu lernen.

      Wenige Kunden besuchten am späten Nachmittag die Marktstände. Daher fiel mir die gebrechliche, alte, ärmlich gekleidete Frau sofort auf. Sie schleifte einen Shopper hinter sich her, der kurz vor dem Zerfallsdatum stand. Ihr Geist war überfüllt von seelischer Müdigkeit, Schmerz und Sorgen.

      „Eine kleine Steckrübe, bitte.“

      „Heute ist Broccoli im Angebot“, empfahl die Marktfrau freundlich.

      „Nein, nein, den kann ich mir nicht leisten.“

      Es tat mir in der Seele weh, ihr gutes Herz unter der Last des Leids verschüttet zu sehen. Kurz entschlossen trat ich hinzu und sprach sie an. „Heute ist mein Engeltag. Sie dürfen sich aussuchen, was immer sie mögen, und ich bezahle.“

      Sogleich blickte sie mich mit tiefem Vertrauen an. Trotzdem musste ich bei Apfelsinen und Frühkartoffeln gut zureden. Nach beglichener Rechnung nahm ich die alte Frau sacht am Ellenbogen und dirigierte sie nacheinander zum Bäckerwagen und zum Metzger. Mein letztes Bargeld tauschte ich gegen Honig ein.

      Ordentlich schleppend, geleitete ich sie bis vor ihre schäbige Haustür und entschwand glücklichen Herzens, bevor die Frau auch nur Luft holen konnte.

      Auf dem Heimweg befragte ich die Sternelben nach ihrem schweren Schicksal. Ich wollte mehr tun. Sie aber sagten Ja und Nein dazu.

      Du wirst allerorts zu viele solcher Menschen finden, wenn du sehen willst, zu viele um allen Bedürftigen helfen