Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


Скачать книгу

kreiste. Zunächst schenkten sie uns keine Beachtung.

      „John fehlt mal wieder, ich hole ihn schnell“, erklärte Katja und flitzte hinaus.

      Eine gute Gelegenheit für mich, kurz das Innenleben jedes Einzelnen anzuzapfen. Bürgerliche Durchschnittsgefühle mit ausnahmslos erhöhter Toleranz gegenüber Gewalteindrücken. Anders ließ sich in diesem Beruf kaum Jahre oder Jahrzehnte überleben. Dennoch rotierte meine Warnblinkanlage: Jeder von ihnen balancierte gefährlich nah am Limit entlang. Das Team stand kurz vor dem Kollaps. In wenigen Sekunden überdachte ich meine Aufgabe. Nicht die Verbrecherjagd, sondern ein Minimum an Ruhe und Entspannung gehörte an die erste Stelle. Diese rein theoretische Überlegung würde schneller in der Tonne landen als jede gut gezielte Papierkugel.

      Katja setzte sich an den Kopf der doppelreihigen Tischanordnung. „Okay, Leute. Ich hoffe mal, zumindest einige von euch hatten ein erholsames Wochenende.“

      Weder hörten die Kommissare richtig zu noch schauten sie zu ihr hin. „Wir haben ein neues Mitglied im Team“, deutete sie überflüssigerweise auf mich, „das ist Lilia van Luzien“.

      Sofort hatten wir die ungeteilte Aufmerksamkeit der notorisch unterbesetzten Truppe.

      „Ihr alle kennt ihre Arbeiten.“

      Perplexe Gesichter.

      „Lilia ist die anonyme Quelle.“

      Ungläubiges Gaffen.

      Schnell gab ich Katja ein Zeichen und ergriff mit fester Stimme das Wort. „Der einzige Grund, warum ich selbst hierher gekommen bin, ist die ausufernde Gewalt in unserer Stadt. Ich biete euch meine Hilfe an.“

      Vereinzeltes Klopfen und eine Frage von links. „Sind Sie sowas wie eine Hellseherin oder woher beziehen Sie die ganzen Informationen?“

      Kollektives Murmeln.

      Ganz bewusst ignorierte ich das distanzierte „Sie“. „Nennt es so, wie ihr am leichtesten damit klarkommt. Wer oder was ich bin, ist letztlich völlig egal. Hauptsache, wir bekommen diesen Irrsinn in den Griff.“

      Laute Kommentare und eine Frage meines Gegenübers. „Können Sie uns mal eine Kostprobe geben?“

      Vereinzeltes Gelächter.

      „Oh, Vorsicht junger Mann. Willst du wirklich, dass deine Kollegen erfahren, was du gestern um diese Uhrzeit gemacht hast?“

      Er bekam einen roten Kopf. Großes Gelächter.

      „Aber im Ernst“, nahm ich den Faden wieder auf. „jeder von euch arbeitet seit vielen Wochen hart an der Grenze des Menschenmöglichen. Wollt ihr mir eine Chance geben?“

      Jeden Einzelnen schaute ich offen und direkt an. Ihre Gesichter stellten das komplette Spektrum von Offenheit bis absoluter Ablehnung dar.

      Katjas Instinkt ließ sie zur Tagesordnung übergehen. „Okay, teilen wir die Arbeit für den heutigen Tag ein …“

      Die Sternelben meldeten sich. „Lilia, um halb Sechs findet ein Banküberfall statt.“

      Während ich die Details aufnahm, kam Katja zum Schluss. „Noch Fragen?“

      „Was macht denn unsere neue Kollegin?“

      Alle Augen richteten sich auf mich. „Ich versorge euch mit fehlenden Informationen. Eines müsst ihr euch unbedingt einprägen: Überfälle, Morde oder Entführungen werden vorher geplant. Aber ihr wisst, es gibt auch Ausnahmen, nämlich Akte spontaner Gewalt. Sie sind niemals vorhersehbar!“ Kurze Verdauungspause. „Außerdem werde ich heute Nachmittag ein Team, das Katja gleich benennen wird, zu dem Banküberfall auf der Schlierallee begleiten.“

      Eine Tasse fiel um, ein Stuhl schrammte, die Stimmung drohte ins Chaos zu kippen.

      Energisch erhob die junge Kommissarin rechts neben mir ihre Stimme: „Du hast uns allen in den letzten Monaten immer wieder den Arsch gerettet – und wir haben auch noch die Lorbeeren kassiert. Mir ist völlig egal, wie du das anstellst.“ Sie warf einen festen Blick in die Runde. „Also, willkommen im Team.“

      Am liebsten hätte ich sie umarmt!

      Es erwies sich als Segen, wie viel Übung das Team dank meiner täglich übermittelten „Vorschauberichte“ darin besaß, auf dem gleichen Wissensstand wie die Täter zu sein. Den richtigen Moment für einen einbuchtungssicheren Zugriff zu erwischen, war wahrhaftig ein Kunststück. Effektiv und schnell stand der Einsatzplan für den Banküberfall. Wir würden den Schurken erwarten.

      Katja verpasste mir vor unserem Aufbruch eine kugelsichere Weste. „Keine Widerrede!“

      Meine eindringliche Mahnung über spontane Gewaltanwendung versah der Bankräuber mit dem Echtheitszertifikat. Im Affekt, aussichtslos vom Team in der verschachtelten Filiale eingekesselt, richtete er seine Pistole auf Thomas. Mit der Geschmeidigkeit einer Katze, ich dankte im Stillen dem elbischen Morgendrill, sprang ich im entscheidenden Sekundenbruchteil dazwischen. So bohrte sich die abgefeuerte Kugel nicht in die Stirn von Thomas, sondern in meine kugelsichere Weste. Ohne das klobig schwere Ding hätten die Schmerzen doch wohl kaum schlimmer ausfallen können.

      Mit Atemnot und zusammen gekrümmtem Oberkörper schleppte ich mich nach Santa Christiana. Meine selbstmitleidig maulige Stimmung ignorierten die Lichtwesen, während sie mich kurierten. Anders mein Alter Ego: „Das schimpft sich Lebenserfahrung.“

      „Mensch, Lil, du siehst ja fertig aus“, meinte Jay, der am Abend gleichzeitig mit mir vor dem Haupthaus eintraf, ernsthaft besorgt. „Komm, iss mit uns zu Abend, Schorsch müsste auch bald kommen.“

      Wir gingen hinein. Jay drückte mir ein Glas Rotwein in die Hand und verordnete Faulenzen. Er selbst klapperte eifrig mit Küchenutensilien. Neuerdings war Kochen für ihn entspannende Leidenschaft, sofern er Zeit dafür fand. Hätte mir nie passieren können. Ich schlenderte zum Flügel, dem einzigen verbliebenen Interieur des Vorbesitzers. Witzig, da keiner von beiden darauf spielen konnte. Doch wer von uns verstand schon seine sämtlichen Bauchbeschlüsse?

      Jay guckte aus der Küche. „Möchtest du erzählen?“

      Er wusste nicht, dass die Frage korrekt lauten musste: Darfst du erzählen? Egal, der Tageskübel wollte geleert werden. Also berichtete ich, unter Aussparung gewisser Dinge, von meinem neuen Job und dem Banküberfall.

      Ganz Arzt, schimpfte Jay: „Lil, eine kugelsichere Weste ist doch kein Ganzkörperpanzer! Das hätte verdammt schief gehen können.“

      Tja, leider führten die Sternelben vor dem Überfall scheinbar stichhaltige Argumente gegen den Gebrauch meines Lichtschutzes an. So nach dem Motto: Die Kommissare halten dich glatt für eine unsterbliche Außerirdische. Und Plan B bestand halt aus der harten Tour mit Kugelweste, das Team für mich zu gewinnen. Zur Belohnung hatten am Ende des ersten Tages die vier an der Aktion beteiligten Kollegen hinter mir gestanden.

      Jay riss mich aus den Gedanken. „Hey, weißt du überhaupt schon, dass Schorsch und ich übernächsten Samstag zehn Jahre zusammen sind? Wir schmeißen eine super Gartenparty.“

      „Wow! Darf ich euch beim Organisieren helfen?“

      „Na, du stellst Fragen.“

      Dienstag, Mittwoch, Donnerstag. Am Freitag überwältigte mich schließlich das elende Gefühl, die Hälfte meines Lebens in diesem trostlosen Konferenzraum mit seiner deprimierenden Aussicht auf eine sechsspurige Straße verbracht zu haben. Das einzig Ermutigende: Inzwischen scharten sich fünf Kollegen einigermaßen bereitwillig um mich. Einer der beiden Letzten, Kai, hielt mich steif und fest für eine Hochstaplerin. Etwas anderes war für das verödete Vorstellungsvermögen des 55-Jährigen undenkbar. Er tat mir leid.

      „Dürfte ich zumindest Pflanzen für die Fensterbänke organisieren?“, bettelte ich in einer Pause bei den Sternelben. Am liebsten hätte ich meiner geschundenen Seele zuliebe Tabula rasa veranstaltet: sämtliche verschlissenen Furniermöbel ersetzen, Farbe an die schmutziggrauen