Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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da oben und der ganzen durchgeknallten Welt. Atemlos hastete ich durch das dünne Schneetreiben der frühzeitigen Winternacht. Ziellos folgte ich dunklen Straßen mit hell erleuchteten Häusern, in denen normale Menschen ihr normales Leben führten. Schließlich rannte ich blindlings in den ausgestorbenen Stadtpark, dessen uralte Bäume bedächtig ihre gewaltigen Äste in schwindelerregende Höhen streckten. Jeder kannte seinen Platz – bis auf mich.

      Keuchend blieb ich endlich stehen, umschlang trostsuchend den Stamm einer Buche und lehnte meine Stirn daran. Das harte, duftende Holz sog den kranken Schleier des Irrsinns aus meinem Kopf. „Was tue ich hier?“ Statt einer Antwort versetzte ein Pfeilblitz den Park für einen Sekundenbruchteil in grelles Licht.

      „Lilia, schnell, fort von hier!“, befahl Elin.

      Etwas Tiefschwarzes schoss durch die Dunkelheit. Sofort rief ich einen Pfeil auf. Grauen und bestialischer Gestank schwängerten die Luft. Ich feuerte. Daneben. Feuerte nochmal und nochmal, eine ganze Kaskade. Endlich kam mir die Idee, eine Leuchtkugel zu formen. Mit ihrer Hilfe sah ich sofort ein massiges Wesen zwischen den Baumstämmen huschen.

      „Elin?“

      „Lauf, Lilia!“ Kurz sah ich ihr Elbengewand aufschimmern.

      Das Schattenwesen raste auf die Elbe zu, vielleicht zehn Meter entfernt. Sah sie es nicht? Mein nächster, hastiger Lichtschuss fand sein Ziel, während ich auf Elin zuhielt. Den ersten Dämon erlegte ich mit banaler Beiläufigkeit. Elin kauerte am Boden. Nahebei versickerte die stinkende schwarze Gestalt im Erdreich. Vorsichtig hob ich die Elbe auf und spurtete, so gut es eben mit schwindender Energie ging, nach Hause.

      Erst im Licht der Außenleuchte entdeckte ich einen schwarzen Fleck, der sich auf Elins schlaffem Körper hin und her bewegte. Das Dämonengift suchte einen todbringenden Eingang. Noch hatte es ihren Mund nicht gefunden. Instinktiv formte ich aus meiner letzten Kraftreserve eine Lichtkugel und führte sie darüber. Die Elbe stöhnte leise, der Fleck zerfiel.

      In meinem Auto rasten wir nach Santa Christiana.

      Die durchwachte Nacht neben Elin auf der Couch holte mich endgültig auf den Boden höchst unerquicklicher Tatsachen zurück. Meinen zugewiesenen Platz auf dem undurchsichtigen Schachbrett von Elben und Dämonen konnte ich wohl kaum verlassen. Woher stammte diese betonharte Überzeugung? Letztlich ging es um den Ausgang des Spiels: Schachmatt, Remis oder Sieg. „Sieg? Mit einem Bauernmädchen?“, lachte ich bitter in mich hinein. Warum tat Elin sich dies, einsam und allein wie sie war, überhaupt an? Menschen erschienen ihr ziemlich primitiv, aber dann die ganze Mühe, die sie in mich investierte. Wozu? Zu viele Fragen, kein erkennbarer Sinn. „Nichts heilt die Seele so wunderbar wie Musik“, warf mein Gedächtnis zusammenhanglos dazwischen.

      Behutsam öffnete ich den Flügel. Die Morgendämmerung nahte. Leise begleitete ich das in meinem Kopf aufspielende Orchester zu Ravels „Lever du jour“. Das Stück passte hervorragend zu meinem zerzausten Innenleben. Genauso wie Mussorgskys schwermütige „Morgendämmerung“. Elin saß mittlerweile mit geschlossenen Augen auf der Couch und lauschte. Ihr zuliebe ließ ich „Fantasia on Greensleeves“ von Williams erklingen, obwohl seine Komposition mich jedes Mal mit trauriger Sehnsucht nach unbeschwerten Zeiten am Meeresstrand erfüllte.

      „Verzeih bitte, dass du meinetwegen in Gefahr geraten bist“, wandte ich mich der Elbe zu.

      Sie winkte ab.

      Darum fasste ich mir ein Herz und bat: „Elin, erkläre mir, warum der Dämon daran scheiterte, dich sofort zu töten.“

      „Das weißt du nicht?“, fragte sie konsterniert über meine Wissenslücke. „Im Gegensatz zu Dämonen verfügen wir über Schutzmagie. Sie wissen um diese Fähigkeit, aber auch, dass ihre Verwendung reichlich Energie kostet. Daher trachten sie stets danach, uns so lange in einen Kampf zu verwickeln, bis unsere Kraft schwindet. Doch genug davon, geh jetzt frühstücken.“ Damit verschwand sie in ihr Zimmer.

      Anstatt Tee zu zaubern, fertigte ich ihn per Hand. Beim bloßen Gedanken an Frühstück drehte sich mir der Magen um. „Alles nur noch gequirlte Scheiße!“ Zorn, dein lärmender Begleiter. Völlig daneben, weil absolut nutzlos, verfrachtete ich ihn in die Gesellschaft der Magensäure.

      Das Telefon im Flur klingelte.

      „Lilia, entschuldige die frühe Störung“, kam es vom anderen Ende der Leitung.

      Den Satz konnte ich ihm einfach nicht abgewöhnen.

      „Hallo, Raimund. Was hast du auf dem Herzen?“, fragte ich so leichthin wie möglich.

      „Na, also“, druckste er herum, „also vergangene Nacht kam ich vom Sterbebett eines Gemeindemitglieds zurück“.

      „Ja?“

      „Im Altarraum schien Licht. Also ging ich nachsehen. Niemand war dort. Aber es schien eindeutig dein Licht gewesen zu sein.“

      „Wer dann?“, fragte ich unsinnigerweise, halb unter Schockstarre.

      „Genau, wer dann. Ich dachte, du weißt es.“

      „Wer war in der Kirche?“, donnerte ich himmelwärts.

      Keine sphärische Auskunft unter dieser Frage.

      Ich drohte abermals zu explodieren und sog deshalb tief Luft ein. „Raimund, mach dir keinen Kopf deswegen, das wird sich aufklären“, beschied ich mühsam beherrscht.

      Kaum aufgelegt, begann ich sofort mit Ursachenforschung, indem ich brüllte: „Raus damit!“

      Die Sternelben weigerten sich.

      „Sagt es mir!“, brüllte ich mindestens ein halbes Dutzend Mal.

      Piepsig sangen sie endlich: „Es war Leya.“

      „Alles klar?!“

      „Sie ist eine Verbannte.“

      „Was?“

      Mit hölzernen Schritten ging ich zurück in die Küche, setzte mich an den Tisch, umklammerte mit sämtlichen Fingern seine Kante, schloss meine Augen und polterte: „Höre ich jetzt von euch die komplette Geschichte oder soll ich diese Leya rufen?“

      „Nein, warte!“

      „Heißt das, ich könnte sie tatsächlich herbeirufen?“

      „Nein, sie darf ihr Haus nur für Santa Christiana verlassen.“

      „Und warum?“

      Es war, als würde ich eine Stecknadeldose leeren, indem ich jede piekende Nadel einzeln herauspulte.

      „Die Elbe Leya zog es zu den Menschen. Sie missachtete die Regel, ihnen fern und unsichtbar zu bleiben. Schließlich kehrte sie uns den Rücken.“

      „Das ging?“

      „Deshalb wurde die Elbe verbannt“, schmetterten die Lichtwesen theatralisch.

      Das wollte mir nicht in den Kopf. „Moment mal, Elin hält doch auch zu mir Kontakt, noch dazu, weil ihr es wollt.“

      „Zu jener Zeit galten andere Regeln.“

      „Na, dann könnt ihr die Verbannung jetzt ja getrost aufheben.“ Energisch trommelten meine Fingerspitzen auf die Tischplatte. „Ich gehe diese Leya besuchen.“

      „Lilia, nein, sie ist eine Abtrünnige!“

      „Ist sie bösartig?“

      „Nein.“

      „Irgendwelche stichhaltigen Einwände?“

      Die Sternsängerinnen schwiegen.

      „Wo wohnt sie? Raus damit!“ Einmaliges Brüllen war auch bei diesem Punkt zwecklos. Meine Finger zählten acht Anläufe mit.

      „Im