Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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über den Berliner Racheengel. Es verbreitete sich auf Sturmflügeln durch die Stadt.

      Bei meinen Kollegen, die selbstverständlich eins und eins addierten, stießen meine Alleingänge auf ein geteiltes Echo. Kai kämpfte erbittert um den Erhalt seiner Ignoranz. Jan grinste fröhlich und Katja wiederholte gebetsmühlenartig, wenn die neueste Story rund ging: „Wir müssen reden.“

      Da die Kriminalchefin zuletzt fast platzte, igelten wir uns eines Nachmittags in ihrem Büro ein.

      „Lilia, das ist hart am Rande der Selbstjustiz“, polterte sie los. Irgendwie schwenkten ihre Gedanken um neunzig Grad. Prustend fragte sie: „Wie stellst du das bloß an?“

      „Katja, wenn ich Essen ordern kann …“ Den Rest ließ ich offen.

      „Dann?“

      „Wir fahren nach der Arbeit zu mir, keine Widerrede.“

      Schmollmund. „Kriege ich Vitello Tonnato mit Crostini?“ Plötzlich schlug sich Katja mit der flachen Hand an die Stirn. „Habe ich ja total vergessen! Die Kollegen von der Streife beklagen sich, dass der Racheengel nie die Schlüssel zu den Handschellen da lässt.“

      Genervt rollte ich mit den Augen. „Sonst noch Probleme?“

      Gegen 22 Uhr sanken wir im Gartenhaus fix und fertig auf die Küchenstühle und machten uns über das verspätete Abendessen her.

      Jay kam angeflitzt. „Lil, hast du Parmesan?“

      „Im Kühlschrank, kannst du mitnehmen.“

      „Super!“ Und schon schwang er die langen Beine hinaus.

      „Ist der niedlich. Wie konntest du mir den vorenthalten?“, schmachtete Katja.

      „Längst vergeben. Aber wo wir gerade beim Thema sind: Wie läuft denn der Fall Konstantin?“

      „Nix. Nix läuft. Keine Zeit. Punkt.“ Ihr Riesenfrust kam jammernd aus der Ecke. „Ich sehe Konny fast nie, seit er die Wirtschaftskriminalität leitet. Außerdem ist er genau so ein Arbeitspferd wie ich.“ Mehr sehnsüchtig denn im Spaß fragte sie: „Kannst du ihn vielleicht herzaubern?“

      „Mit mir als Anstandsdame dabei?“, ulkte ich. „Tschuldigung! Mal überlegen. Ein Candle-Light-Dinner im Dachrestaurant des Carlssens?“

      Katja klimperte verträumt mit ihren Wimpern. „Wann?“

      „Samstag.“

      Wir klatschten ab.

      Satt und zufrieden lehnte sich Katja zurück und kam gleich auf den Themenhit im Kommissariat zu sprechen. „Racheengel, wie?“

      Als Teil der Antwort erschien ihr heißgeliebter Espresso. Ich zeigte darauf. „So, das ist ein Gegenstand. Wenn du es ungenau betrachtest, ist ein menschlicher Körper kaum mehr. Du fütterst deinen Körper mit Nahrung, das tue ich ebenfalls. Darüber hinaus speichere ich Licht als zweite Energiequelle.“

      Meine Erwartung, sie würde vor Schreck sonst wie darauf reagieren, wischte Katja mit der neugierigen Forderung „zeig mal“ vom Tisch.

      Das liebte ich an ihr. Also stellte ich mich ein paar Meter entfernt in die Küchenecke und brachte meinen Körper langsam zum Leuchten.

      „Oh!“

      Als Nächstes entstand eine Lichtkugel auf meiner ausgestreckten Hand.

      „Oh, Lil!“

      Einen guten Teil ihres Entzückens schob ich dem zweiten Glas Wein zu. Egal, ihr Herz genoss das Schauspiel. Besser noch, ihr Verstand kam nicht auf die eigentlich naheliegende Idee, dass die Kugel ebenso eine tödliche Waffe sein könnte. Zugegeben, ich selbst hatte die Kleinigkeit bis zu exakt jenem Augenblick erfolgreich verdrängt. Aber mein egoistischer Hinterkopf wühlte immer häufiger die grausigen Schilderungen der Sternelben über Dämonen hervor.

      Ende November, an einem miesewettrigen Tag, brachten mir die Sternelben nahe, dass Kai ab dem nächsten Tag fehlen würde. Maßlos entsetzt wollte ich seinen Tod um jeden Preis verhindern.

      In der hereinbrechenden Nacht begleitete ich spontan die Gruppe aus Amelie, Kai sowie Kollegen einer Spezialeinheit zu der Tankstelle am Cityring, wo eine Schießerei zwischen zwei rivalisierenden Rockerbanden stattfinden sollte.

      Einer der Hells Angels, ausstaffiert mit üppigem Vorstrafenkonto, „roch“ offensichtlich unsere Anwesenheit und suchte nach einem Fluchtweg. Den aber versperrte mittlerweile Kai zwischen zwei Zapfanlagen. Der Rocker zielte ohne jeden Skrupel zu töten auf Kais Hinterkopf. Aber ich flog ihm regelrecht gegen seinen ausgestreckten Arm. Die zornentbrannte Wucht meines Aufpralls schleuderte den Rocker so unglücklich auf die steinerne Gehwegkante, dass sein Genick brach. Der gelöste Schuss aus seiner Waffe verhallte im Verkehrsgetöse.

      Zum ersten Mal hatte ich einen Menschen getötet. Dennoch fuhr ich erleichtert, das Schicksal überlistet zu haben, heimwärts.

      Am nächsten Morgen plauderte ich entspannt mit Jan im Konferenzraum. Ihr Hobby bestand darin, reihenweise Männer zu erobern.

      „Lilia, du solltest wirklich mal mitgehen, in den Klubs wimmelt es von knackigen Typen. Du musst das Leben unbedingt auskosten, bevor die Cellulitis zuschlägt.“

      Wir lachten noch, als Katja kreidebleich den Raum betrat. Sie schluckte schwer und verkündete heiser: „Kollegen von der Streife haben mich verständigt. Kai ist – Kai hatte einen Fahrradunfall – ein Lkw – er ist – tot.“

      So ließen mich die in ihrer unendlichen Sphäre ruhenden Lichtwesen die volle Bitterkeit irdischen Schicksals schmecken. Die Kollegen um mich herum spendeten einander Trost. Doch mir schnürte Einsamkeit das Herz ab. Totale Isolation. Mit eiskalter Klarheit wurde ich zum ersten Mal seit Monaten meiner Selbst gewahr: Ein menschlicher Restposten unter Sphärenkontrolle. Irgendwann in der zurückliegenden Zeit war sogar mein Alter Ego verstummt.

      Eine gefühlstaube Ewigkeit verging, so schien es mir, bis ich nachmittags endlich die Flucht ergreifen konnte. Nicht nach Santa Christiana, um mit den Lichtwesen zu reden. Nein, ich wollte heim – in mein altes Leben.

      Es goss wie aus Kübeln, im Schleichtempo erreichte ich in meinem Wagen mit letzter Kraft das Gartenhaus. Zusammengesunken über dem Lenkrad, begannen reumütige Tränen zu fließen. Schluchzendes Weinen, bis die vollkommene Erschöpfung mich in den Schlaf entließ.

      Leicht verwirrt erwachte ich in meinem Bett.

      Elin betrachtete mich aus unergründlichen Augen. „Sie sorgen sich um dich.“

      „Blödsinn! Ich bin doch nur ein willenloses Geschöpf, das sie nach Gutdünken benutzen. Oder besser noch: steuern wie einen Roboter.“ Ungebremst redete ich mich in Rage. „Ja, ja, ich weiß. Damals habe ich mich allzu gern verlocken lassen, mit Schönheit und eigenem Haus und dem ganzen Kram. Aber worauf läuft die Geschichte letztlich hinaus? Am Ende bin ich höchst wahrscheinlich eine verdammte, gefühlskalte Killermaschine!“

      Die Elbe drückte mir schweigend einen Becher Tee in die Hand.

      Aber mein Zorn lief sich gerade erst warm. „Mach dir doch nichts vor, Elin! Dieser ganze Wahnsinn mit den Dämonen und erst recht ihrem Fürsten. Glaubst du allen Ernstes, wir hätten irgendeine verdammte Chance? Sie schicken uns auf die Schlachtbank und suchen sich danach einfach neue Kandidaten! Ich glaube ihnen das Märchen sowieso nicht, außer uns beiden gäbe es niemanden.“

      Elin verließ stumm das Schlafzimmer. Zuerst krachte der Teebecher gegen die Wand, dann ergriff ich das Kopfkissen, pfefferte ein nie gelesenes Buch hinterher, kippte die Nachttischlampe herunter, sprang aus dem Bett und verwandelte das komplette Zimmer in Chaos. Meine Stimme brüllte wieder und wieder heraus: „Ich bin ein Mensch!“

      Besinnungslos sank ich über dem Trümmerfeld zusammen.

      Erneut