Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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der alten Frau würde ich helfen, beschloss ich dickköpfig. Nicht mit Geld, denn das nähme ihr Kalle, der verwahrloste Sohn, gleich weg. So hatte sie es mir auf dem Heimweg gestanden. Doch mit Sachspenden, wie man so schön sagt, und zwar mit allem, was sie dringend benötigte. „Warum fühlt sich das jetzt falsch an?“ Wie bei einer geschüttelten Limodose kam die Erkenntnis in einem Schwall durch meine Gehirnwindungen geschossen. Jetzt kapierte ich den Sinn: „Um den Guten zu helfen, gehört das Böse in seine Schranken. Also der Sohn der alten Frau!“

      „Richtig durchschaut, Lilia.“

      „Erzählt mir bitte von ihm und ebenso, wo ich ihn finden werde.“

      Kalle hauste in einer Ein-Zimmer-Sozialwohnung, mit Matratze auf dem Boden, reichlich leeren Flaschen, umgekipptem Aschenbecher und sonstigem Müll drum herum. Ein Klischee zum Durchwaten – und Riechen. Magisch eingebrochen, stellte ich einen nagelneuen Koffer neben den wackligen Tisch, setzte mich vorsichtig auf den einzigen Stuhl und erwartete seine Ankunft. Von den Sternelben wusste ich, ihn interessierte nur eins im Leben: Geld.

      Bald schwang die Wohnungstür auf.

      „Hallo, Kalle.“

      „Was suchst’n du in meiner Hütte, Schnalle?“

      Na, wenigstens noch nüchtern. „Ich hörte, du bist an Geld interessiert.“

      „Wenn ich deinen Alten umnieten soll, biste hier falsch.“

      „Mein Job für dich lautet: Verschwinde aus der Stadt, und zwar endgültig.“

      „Pah, ich hab nich mal Geld für’n Öffi-Fahrschein.“

      „Kalle, mach den Koffer auf.“

      Misstrauisch beäugte er ihn. „Bin doch nich blöd, nachher is da ‘ne scheiß Giftschlange oder ‘ne Bombe drin, wat weiß icke. Du machst auf.“

      Also kniete ich mich vor den Koffer, ließ die Schlösser aufspringen und klappte die Hälften auseinander. Zum Vorschein kamen saubere Kleidung, Kulturbeutel, Schuhe, ein Reisepass und eine Plastiktüte.

      „Was’n in der Tüte?“ Den Rest ignorierte Kalle.

      „Eine halbe Million Euro“, antwortete ich, während die offene Tüte unter seine Boxernase wanderte.

      „Du willst mich verarschen, Alte.“ Doch sein Kennerblick sprach eine andere Sprache.

      „Du hörst mir jetzt ganz genau zu. In fünf Stunden geht dein Flugzeug nach Kanada. Du rührst bis dahin keinen Alkohol an, machst keinen Abschiedsbesuch bei deiner Mutter oder sonst jemandem.“ Aus meiner Handtasche zog ich den Umschlag mit seinem Flugticket, selbstredend One way. Eindringlich blickte ich ihm in die Augen.

      Instinktiv wich er zurück.

      „Dies ist die einzige Chance deines Lebens, verwirk sie, und du bist so gut wie tot.“

      Die folgenden Wochen vergingen rasant und der Sommer rückte näher. Täglich unterrichtete Elin unermüdlich den Gebrauch von Energie, das Wirken einer Lichtbarriere als Selbstschutz oder die Geschmeidigkeit meines Körpers. Auf Deutsch: Lichtzirkus, Ganzkörperkondom und Schlangenmensch.

      Anfangs stand ich mir selbst permanent im Weg, weil mein menschlicher Kopf immer wieder Anläufe für das Oberkommando nahm.

      „Lass die Elbe ran“, rief Elin unentwegt, wenn mein Verstand eine Übung vermurkste.

      Von ihren intergalaktischen Fähigkeiten schien ich noch Lichtjahre entfernt. Ja, zugegeben, auch weil ich in dem Training reine Spielerei sah. Die Dämonenfurcht war allmählich tief im Hinterkopf eingeschlafen. Natürlich bemerkte die Sphäre das und begann, Wissen tröpfelnd Abhilfe zu schaffen.

      Fast täglich stand am späten Nachmittag der Kirchenbesuch auf dem Programm. Ich lud Licht und lernte emsig, es nicht in den Kopf steigen zu lassen. Von wiederholt durchlittenen Kopfschmerzen wegen Übertankens hatte ich die Nase gestrichen voll. Die Sternelben hingegen brachten mir die Welt der Finsternis behutsam näher. Besser gesagt das Wenige, was sie darüber wussten. Da kein Licht in die tiefe Schwärze der dämonischen Unterwelt vordringen konnte oder wollte, blieb das höllische Treiben fast komplett ihr Geheimnis.

      Dämonen, so fügte ich es mir wie ein Puzzle zusammen, stellten die Umkehrung der Elben dar: schwarz, massig, böse, feindlich, hinterlistig, Qual und Tod befeuernd. Indem sie Detail um Detail für mich Gestalt annahmen, verloren die Gruftlinge den wilden Schrecken des Unbekannten – und mutierten zu fantastischen Sagengestalten. Auch wieder falsch.

      Zudem fühlte ich mich wie eine lediglich halb geschlüpfte Schmetterlingslarve im Frühling. Das Elbenerbe und die Menschfrau in einem Körper, dieser Konflikt schien unlösbar. Verstand oder elbische Intuition, Muskelkraft oder Magie, Weisheit des Lichts oder menschliche Lebenserfahrung? Oh ja, ich war die meiste Zeit schwer mit mir selbst beschäftigt. Wie das bei Teenagern halt so ist.

      Aus dem Buch „Inghean“

      Meine Sternschwestern verweigern dem Menschenkind noch immer die Wahrheit. Auch die Fürstin schweigt. Worauf warten sie?

      Das längere Tageslicht nutzte ich inzwischen freiwillig, um von Santa Christiana aus Streifzüge durch die Stadt zu unternehmen. Etwas Unheimliches ging spürbar vor sich. Wann immer ich es zuließ, floss mir weit mehr Schlechtes und Trauriges als Gutes aus den menschlichen Seelen entgegen. „Berliner in kollektiver Depression oder was?“

      Katja bekam ich kaum noch zu Gesicht. Die Polizei soff regelrecht in den sprunghaft zunehmenden Gewaltexzessen unter den Einwohnern ab. Selbst Mord und Raub verpesteten ganze Stadtteile. Die Menschen begriffen nicht, wie ihnen geschah. Und ich? Weigerte mich stur zu begreifen, was ich längst wusste.

      Nacht um Nacht saß ich für die Mordkommission am PC. Obwohl jeder Bericht des Grauens dank magischer Kraft immer kürzere Zeit beanspruchte, war mir selbst das zuwider. Schlaf geriet zum verzichtbaren Luxus. Sogar Elin hatte anderes als ständige Ermahnungen zum Essen im Kopf. Unterschwellig wuchs unsere Anspannung wie ein Krebsgeschwür, auch unter den Lichtwesen.

      Oft sah ich die Elbe einer Statue gleich auf dem Rasen in der Sonne stehen. Ihre Unruhe umwaberte sie wie ein grauer Gazeschleier.

      Eher nebenbei erfuhr ich dann auch mal vom sphärischen Gesangsverein, wer hinter all dem Übel steckte. Der Dämonfürst hatte einen magischen Weg gefunden, das Schicksal auszuhebeln. Seine Sklaven manipulierten Menschen für ihre rabenschwarzen Zwecke.

      Die Information landete in einer jener Schubladen meines Gehirns, die extra für unverdauliche Härtefälle angelegt waren.

      Kein Wunder, dass die menschliche Normalität bei Jay und Schorsch im Vorderhaus auf mich wie ein Magnet wirkte. Manchmal verordnete ich mir eine Normalopause und zauberte den Jungs drüben vor ihrer Heimkehr ein Abendessen. Zur Belohnung lud ich mich selbst zum Essen ein.

      Schorsch arbeitete für einen Chemiekonzern. Sein Charakter orientierte sich am Fels der harten Fakten. Er war ehrlich, etwas reserviert und auf das geradlinige Erreichen jedes gesteckten Ziels ausgerichtet. Jay besaß seit knapp zwei Monaten eine eigene Arztpraxis. Als Kinderarzt kam ihm seine eigene geistige Verspieltheit bei den kleinen Patienten gut zupass. Er war ein Träumer, dem Kunst, klassische Musik oder ein funkelnder Sternenhimmel eben solche Freude bereiteten wie mir.

      Irgendwie kamen wir an jenem lauen Sommerabend, während wir relaxed in den Korbsesseln auf ihrer Terrasse lümmelten, auf Opern zu sprechen.

      Schorsch rollte theatralisch mit den Augen.

      „Warst du überhaupt mal selbst in einer Aufführung?“, fragte ich sofort.

      „Klar, auf dem Gymnasium. Unser Musiklehrer hat uns in die ‚Zauberflöte‘ gezerrt.“

      Jay und ich stöhnten im Duett auf: „Die würde ich mir niemals antun.“

      Schnell überlegte