Daniela Zörner

Fürstin des Lichts


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siebten Sinn. Dann müssten wir nicht pausenlos hinter solchen Typen her humpeln.“

      Ungeniert mischte ich mich in ihr Gespräch ein. „Siebter Sinn? Und wenn Sie den besäßen?“

      Cool abschätzend guckte sie herüber. „Verstehen Sie einen Funken von Polizeiarbeit?“

      „Kripo Berlin“, gab ich ebenso lässig zurück.

      „Ach nee, die mit dem Racheengel! Stimmen die Gerüchte?“

      Die Story zog anscheinend langsam Kreise.

      „Ja, absolut.“

      Sie blinzelte irritiert und rückte zwei Barhocker näher. „Eher weniger gesetzestreu, euer Treiben, was?“

      Ich sah ihr direkt in die grünen Augen. Prompt begann ihre coole Fassade zu bröckeln.

      „Der Racheengel arbeitet erstens unbewaffnet, zweitens verübt er, anders als der Name behauptet, niemals Rache.“

      „Und wer steckt hinter dieser mysteriösen Person?“

      „Ich.“

      Rachel schnappte verärgert nach Luft. „Sie sind doch höchstens mal 20 Jahre alt. Verarschen kann ich mich selber!“

      „Rufen Sie an“, forderte ich die Kommissarin auf und hielt ihr mein Handy hin.

      Unwillig raunzte sie: „Weiß die Nummer nicht.“

      „Chefin ist Katja Rainer, für die Durchwahl drücken Sie einfach auf ihren Namen im Adressbuch.“

      „Und wie heißen Sie?“

      „Lilia.“

      Drei am Telefon gelauschte Minuten später hatte sich eine gewisse Blässe in Rachels sommersprossigem Gesicht breitgemacht.

      „Können wir uns in Ruhe unterhalten?“

      Langsam wies sie auf eine halbrunde, plüschrote Couch in einer düsteren Ecke der noch leeren Bar. „Möchten Sie einen Kaffee?“

      „Danke, ich bin versorgt“, deutete ich auf mein halb volles Glas.

      „Paps, bist du so lieb und machst mir einen Espresso?“

      „Kommt sofort.“

      Kaum saßen wir, fragte Rachel mit spürbarer Verwunderung: „Warum sind Sie überhaupt hier?“

      „Um Sie für Katjas Team abzuwerben.“

      Erstaunt schossen ihre Augenbrauen hoch. „Wieso ausgerechnet mich, eine Anfängerin?“

      „Sie sind jung, engagiert und verfügen über einen wachen Instinkt. Aber vor allem besitzen Sie eine ausgeprägte Antenne für Mystizismus.“

      Erschrocken wollte sie wissen: „Wie haben Sie das herausbekommen?“

      „Reine Begabung, tut hier nichts zur Sache. Entscheiden Sie sich für Berlin, werden Sie garantiert mehr Geheimnisvolles oder Irrationales erleben, als Sie sich im Moment vorstellen können.“ Mit voller Absicht stellte ich den Mut der blutjungen Kommissarin auf die Probe.

      „Ich – muss mir Ihre Geschichte erst mal durch den Kopf gehen lassen.“ Wie ein Stehaufmännchen schwankte sie zwischen krasser Neugier und unbestimmter Furcht.

      Beschwichtigend unterbreitete ich Rachel einen Vorschlag. „Nutzen Sie Ihren morgigen freien Tag und erscheinen Sie im Berliner Präsidium. Um Punkt 9 Uhr beginnt unsere Teambesprechung.“

      Die Adresse kritzelte ich auf einen Bierdeckel und erhob mich. Ernst fügte ich hinzu: „Sie sind unsere erste Wahl.“

      „Wird Rachel kommen?“

      „Natürlich.“

      Vom Zug aus informierte ich Katja – auch über den flüchtigen Todesfahrer. Sie war mit ihrem Kopf ganz woanders und schimpfte: „Wir machen uns gerade für die Operation Supermarkt startklar. Warum müssen die bis Mitternacht geöffnet haben? Irgendwann wollen wir auch mal schlafen.“

      Kein normaler Mensch kam, so wie ich mittlerweile, auf Dauer mit maximal drei Stunden Schlaf aus. Über diesen Gedanken schlief ich ein.

      Die Sternelben hetzten mich erneut los, kaum dass ich wieder im Berliner Hauptbahnhof einlief. Mein angeschwollener Lichthunger musste noch länger warten.

      „Lilia, der Überfall auf den Supermarkt hat eine dramatische Wendung genommen. Sie brauchen dich.“

      Noch vom Bahnsteig aus unterrichtete ich Katja. „Bin auf dem Weg. Ruf sofort Krankenwagen und Notarzt.“

      Wie eine Furie raste ich aus der Tiefgarage des Hauptbahnhofs, nahm auf dem Großen Stern einem Lieferwagen die Vorfahrt, trat auf der Straße des 17. Juni das Gaspedal bis zum Anschlag durch, als mein Fahrstil der Besatzung eines Streifenwagens übel aufstieß. Mit jaulendem Blaulicht zwangen sie mich auf die Bremse.

      „Katja, zwei Streifenkollegen wollen meinen Führerschein kassieren.“

      „Gib dein Handy weiter.“

      Kostbare Minuten gingen verloren. Endlich forderte mich der ältere Kollege auf: „Fahren Sie dicht hinter mir!“

      Mit Blaulicht und Jauline trafen wir am weiträumig abgesperrten Supermarkt in der Schützenstraße ein.

      „Bereiten Sie sich auf einen Bauchschuss vor“, befahl ich dem desinteressiert dreinblickenden Sanitäter des Krankenwagens im Vorbeilaufen. Katja kam mir entgegen gesprintet. Mit abwehrenden Händen keuchte ich: „Keine Zeit, alle in Deckung, sofort. Wartet, bis ich rauskomme.“

      Kurz vor der gläsernen Eingangstür aktivierte ich ohne Stopp meinen Körperschutz und formte eine Blendkugel. Schon stürmte ich ins Innere des Supermarktes, pfefferte dem überraschten Täter die Kugel ins Gesicht, setzte nach, entwand ihm die Pistole und rammte fast gleichzeitig mein spitzes Knie in seinen Magen. Atemlos zauberte ich Handschellen für Hände und Füße herbei. Vorsichtshalber bekam seine Waffe einen Tritt gen Tür.

      Der Filialleiter lag in seiner Blutlache, genau zwischen den zwei Kassen. Mit meinem jämmerlichen Restposten magischer Kraft mussten gut achtzig ohnmächtige Kilo behutsam auf die Arme genommen werden. So stolperte ich, Zähne zusammen gebissen, hinaus zum Krankenwagen.

      „Wird er es schaffen?“

      „Ja, gut gemacht, Lilia.“

      „Lil?“ Katja steuerte, aschfahl im Gesicht, auf mich zu. „Du bist ein Engel! Aber du brauchst unbedingt Dienstausweis und Blaulicht.“

      „Könnte mich irgendwer nach Santa Christiana bringen?“, flüsterte ich matt durch heftigen Schwindel.

      Katja fing mich geistesgegenwärtig auf.

      Als Björn mit seinem Dienstwagen den Parkplatz der Kirche erreichte, hing ich bewusstlos im Sicherheitsgurt. Ein Segen, dass Raimund just in diesem Moment ebenfalls sein Auto abstellte.

      Mein Kollege stieg aus und sprach ihn ebenso ratlos wie hoffnungsvoll an. „Lilia sitzt ohnmächtig im Wagen.“

      „Ich kümmere mich um sie, alles in Ordnung.“ Raimund trat an die Beifahrertür, löste meinen Sicherheitsgurt und hob mich heraus. „Fahren Sie ruhig, Lilia wird länger hier bleiben.“

      Bei Björn stauten sich immer neue Fragen über mich auf, mehr noch als bei anderen Teammitgliedern. Restlos ausgepowert zog er kopfschüttelnd Leine.

      Tief in der Nacht kam Raimund nochmals nach mir sehen. In bedauernd gebührendem Abstand zum sternelbischen Lichtkegel blieb er stehen. „Was machst du bloß für Sachen, Lilia? Als Racheengel durch die Stadt ziehen, du bist doch keine Superwoman.“

      So, so, selbst bei ihm war der Groschen gefallen. „Raimund, ich habe keine Wahl. In dieser Stadt findet eine Schlacht statt, bei der Menschen die ersten Opfer sind.“

      „Aber