Klara Chilla

Die Tränen der Waidami


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hatte.

      »Folgt mir auf das Achterdeck«, befahl Torek. Zu spät bemerkte er, dass Morgan bereits genau dorthin unterwegs war. Dieser verdammte Mistkerl! Übellaunig beeilte er sich, ihm zu folgen. Da der Pirat gelassen vor ihm herschritt, war es ein Leichtes ihn zu überholen. Noch bevor Morgan das Wort ergreifen konnte, stürzte Torek an die Balustrade des Achterdecks und räusperte sich lautstark. Alle Augen richteten sich gespannt auf ihn, doch noch immer konnte er nicht denjenigen ausmachen, den er suchte. Aufregung ergriff ihn.

       »Männer!«, rief Torek gerade so laut, dass ihn alle Seeleute hören konnten. »Nachdem ihr ausreichend Gelegenheit hattet, euch mit eurem neuen Schiff bekannt zu machen, übergebe ich das Kommando Captain Jess Morgan, der unmittelbar meinem Befehl untersteht.« Torek verkniff sich ein vergnügliches Grinsen und machte eine übertriebene Verbeugung zu Jess hin, der inzwischen neben ihn getreten war und ihn eher belustigt als verärgert betrachtete.

      »Ich denke, es erübrigt sich, mich vorzustellen. Jeder von euch hat von mir gehört, den ein oder anderen unter euch kenne ich bereits«, ergriff Jess das Wort, als sich plötzlich ein Schott öffnete und ein Mann das Deck betrat.

      Torek unterdrückte nur mühsam den Impuls, sich schadenfroh die Hände zu reiben. Der Neuankömmling rieb sich mit einer Hand über den kahlen Kopf und gähnte unverhohlen, während er mit schweren Schritten auf das Achterdeck zusteuerte, als kümmerte es ihn nicht, die Ansprache seines neuen Captains zu unterbrechen.

      »Darf ich dir deinen neuen Ersten Maat vorstellen?« Torek lächelte Jess an, der dem Mann entgegensah.

      »McFee!«, sagte Morgan ruhig, doch die Kälte darin ließ selbst Torek leicht frösteln.

      »Morgan« McFee stellte sich breitbeinig vor die beiden Männer, doch er schenkte Torek keinerlei Aufmerksamkeit, sondern sah nur Morgan an. Er gab sich nicht die geringste Mühe, den Hass zu verbergen, der in seinem Gesicht und seiner Stimme lag.

      Ansatzlos schlug Morgan zu. Der Hieb traf McFee völlig unvorbereitet ins Gesicht und warf ihn rückwärts auf die Planken. Torek holte zischend Luft und starrte Morgan an, der sein Schwert gezogen hatte. Die Spitze zielte ruhig auf McFees Kehle. An Deck war es totenstill, niemand sagte ein Wort oder wagte sich zu rühren.

      »Captain Morgan für dich, McFee!«, sagte der Pirat gedehnt. »Und wage es nie wieder, einem Befehl nicht augenblicklich nachzukommen.«

      McFee richtete sich benommen auf. Sein vernarbtes Gesicht war eine einzige Maske aus Wut, Hass und Hilflosigkeit. Torek tanzte innerlich. Diese Demütigung war ein neues Glied an der langen Kette, die McFee Jess Morgan eines Tages um den Hals legen würde.

      »Aye, Captain.« McFee spuckte die Worte voller Verachtung aus. Langsam erhob sich der muskulöse Mann. Seine Haltung war angespannt und einen flüchtigen Moment sah es so aus, als wollte er sich auf Jess Morgan stürzen. Doch die Spitze des Schwertes zeigte immer noch auf ihn, kein Zittern, nicht das geringste Anzeichen, dass Morgan nicht zustoßen würde, wenn sich ihm auch nur der geringste Grund bieten würde.

      Torek grinste breit. Seine Laune stieg. Innerlich rieb er sich die Hände. Unter der dreiundzwanzigköpfigen Mannschaft befanden sich fünfzehn Männer der gesunkenen Darkness. Keiner dieser Männer würde auch nur dem kleinsten Befehl von Morgan folgen, wenn McFee ihn nicht billigte. Sie alle hassten Morgan und hatten noch nicht vergessen, dass er ihr Schiff versenkt und ihren Captain getötet hatte. Ein Zeichen von Bairani oder ihm genügte, und McFee würde die Hunde von der Leine lassen, die mit Freude ihre Beute zu einem langsamen Tod hetzen würden. Aber das musste noch warten, bedauerlicherweise. Die Vision war klar und deutlich. Gleich, welche Rolle der Pirat auch darin spielte, es gab keinen Zweifel, dass er bis zum glorreichen Sieg dabei sein musste.

      Ruhig stand er also neben den beiden Männern auf dem Achterdeck, während Morgan seine Ansprache führte. Der Pirat war längst tot, er wusste es nur noch nicht.

      *

      Cristobal Tirado y Martinez stand im Hafen und schaute der Santa Esmeralda hinterher, auf der sich Lanea und Cale auf dem Weg zu einem neuen Leben befanden, - wenn es ihnen vergönnt sein sollte. Lanea war in den letzten Tagen unruhig und still gewesen. Ihre Gedanken mochten überall gewesen sein, aber sicher nicht bei der bevorstehenden Reise oder bei Cale Stewart, auch wenn dieser sich dies vielleicht wünschen mochte. Das Schiff setzte alle verfügbaren Segel und nahm schnell Fahrt auf. Es verschwand aus seinem Blickfeld, ohne dass er die beiden noch einmal gesehen hätte. Leise seufzte er auf. Die Opferbereitschaft von Jess Morgan forderte nicht nur von dem Piraten einen schrecklichen Preis, sondern auch von den Menschen, die ihm nahestanden. Hoffentlich war es das wert. Wieder seufzte er. Im Hafen lagen nur noch die Santa Ana und die Neptuno, die ebenfalls die letzten Vorbereitungen zum Auslaufen trafen. Langsam schritt er auf die beiden großen Segelschiffe zu, in die er all seine Hoffnung setzte. Sie waren stark bewaffnet, die Kapitäne alte Haudegen, die er seit Jahren erfolgreich gegen die Piraten der Karibik eingesetzt hatte.

      Leise rumpelnd wurde Tirado von einer Kutsche überholt, die vor der Laufplanke der Neptuno anhielt. Der Wagenschlag öffnete sich und Capitan Mendez stieg heraus. Als er Tirado sah, tippte er kurz mit der Hand gegen seinen Hut und nickte ihm zu: »Señor Gouverneur.«

      »Señor Capitan«, erwiderte Tirado den Gruß. »Mast- und Schotbruch und möge Gott Euch auf Eurem Weg begleiten.«

      Mendez lächelte selbstsicher. Dabei legte sich sein wind- und wettergegerbtes Gesicht in unzählige Falten. »Macht Euch keine Gedanken, Señor Gouverneur. Die Santa Ana und die Neptuno sind gut gerüstet. Dieses vermaledeite Inselpack wird uns nicht aufhalten können, dessen bin ich mir sicher. Wir haben schon ganz andere Schlachten geschlagen.«

      »Ich wünschte, es wäre so einfach. Einer von Euch muss nach Spanien durchkommen, koste es, was es wolle, Capitan. Von Eurem Erfolg hängt womöglich unser aller Leben ab.«

      »Bei allem gebotenen Respekt, Señor Gouverneur. Aber Spanien ist eine Weltmacht. Noch sehe ich keine wirkliche Bedrohung durch die Waidami. Es handelt sich doch bisher eher um kleine Aufmüpfigkeiten von ein paar Wilden, nichts, was wir nicht selbst niederschlagen könnten.«

      »Ihr habt Recht.« Tirado nickte. »Aber dies wird sich schon bald ändern, fürchte ich.« Abrupt verstummte er, als er den zweifelnden Blick von Mendez sah. Der Mann glaubte ihm nicht. Wie auch? Waren sie doch alle mit der Arroganz aufgewachsen, dass sich nichts und niemand gegen das mächtige Spanien zu stellen vermochte. Diese Arroganz würde ihnen jetzt zum Verhängnis werden. Niemand hier oder bei Hofe würde die bevorstehende Niederlage auch nur in Betracht ziehen, bis es zu spät war. Plötzlich wusste er mit untrüglichem Instinkt, dass, sollten die Santa Ana und die Neptuno das Unmögliche schaffen und Spanien erreichen, von dort keine Hilfe kommen würde. Der Hof würde ihn für seinen Hilferuf auslachen und jemanden senden, der ihn von seinem Posten ablösen würde. Waidami würde am Ende erfolgreich sein.

      Hastig verabschiedete er sich und ging zurück zu seiner Kalesche, die auf der Pier stand, von der die Santa Esmeralda in See gestochen war. Er konnte das Geschehen nicht aufhalten, das musste er wohl endlich einsehen.

      *

      Am nächsten Morgen saß Jess in seiner Kajüte und aß das Frühstück, das Gerard gebracht hatte. Obwohl er wieder auf der Treasure war, hatte er schlecht geschlafen, weil er die Verbindung zu ihr abgeblockt hatte. Nach dem gestrigen Auftakt mit McFee wollte er alleine sein. Den Drang, den ehemaligen Ersten Maat seines Erzfeindes Stout sofort zu töten, vergrub er in der Leere, in der er all seine Empfindungen verbarg. Weder Hass noch Zweifel oder gar Furcht vor dem, was vor ihm lag, durften ihn von seinem Weg abbringen. McFee als Ersten Maat auf die Treasure zu bringen, war mehr als ein übler Scherz von Torek. Wenn er sich nicht irrte, waren ein Großteil seiner neuen Männer ehemalige Crew-Mitglieder der Darkness. McFee würde der heimliche Kommandant an Bord sein und keine Zeit ungenützt verstreichen lassen, um den Rest ebenfalls auf seine Seite zu ziehen. Doch der Zweck, den Torek damit verband, war ihm nicht klar. Unstimmigkeiten in einer Crew würden Toreks Ziele nur gefährden. Lustlos zerbröckelte er das Brot unter seinen Fingern und spielte mit den Krümeln, schob sie hin und her und zerdrückte sie impulsiv mit der flachen Hand. Frustriert schob er den Stuhl zurück und wollte schon aufstehen, als Schritte vor der Tür erklangen. Überrascht blieb er sitzen. Er war es