zu, ich habe die Holländer schon immer gemocht, nicht nur wegen ihrer charmanten Art, Deutsch zu reden. Meine ersten Kontakte mit holländischen Mädchen hatte ich bereits mit fünfzehn, und auch wenn das alles noch harmloses Geschmuse war, so haben mich die Erinnerungen daran nie losgelassen. Später, da war ich schon ein ganzes Stück über zwanzig, habe ich an der Costa Brava ein wundervolles holländisches Mädchen kennengelernt. Auch wenn es nur eine zweitägige Urlaubsliebe war: Ich kann mich nicht erinnern, und die anderen Mädels mögen mir das jetzt verzeihen, dass ich jemals so zärtlichen, liebevollen, herrlichen Sex hatte. Merkwürdig, ich glaube mich an jede Minute mit diesem Mädchen erinnern zu können, aber das ist natürlich Blödsinn. Jedenfalls hatte dieser holländische Rudi die Galerie Bremer zu einem der tollsten kulturellen Treffpunkte Berlins gemacht. Man erzählte sich später, dass hier über Jahrzehnte West-Berliner Kunstgeschichte geschrieben wurde. Rudi begrüßte jeden Gast persönlich, meist mit Handschlag und mit einem »Welcome to this beautiful Land«. Dann folgte eine Lachsalve, die ich noch heute im Ohr habe. Rudi muss damals so um die fünfzig gewesen sein. In unseren Augen also eigentlich ein alter Mann. Aber irgendwie erschien er uns zeitlos. Ich habe ihn Jahrzehnte später noch einmal gesehen und er hatte sich kaum verändert. Er war wirklich zeitlos!
Die Bar verströmte eine lässige Eleganz. Die Wände waren in dunklem Grün gestrichen, darauf hingen Bilder, ich glaube unter anderem aus der Geschichte der Galerie. Unter den Bildern befand sich eine große schwarze Holzbank, davor schwarze Tische und Stühle im Fünfziger Jahre Design mit roten Sitz- und Rückenkissen aus Markisenstoff. An den Wänden hingen Lampen aus gewellten Kupferblechen. Der Bartresen war vorne mit abgestepptem Goldstoff verkleidet. Es waren ganz alltägliche Materialien, die man hier verwendet hatte, aber irgendwie hatte das Ganze eine fast magische Eleganz und Gemütlichkeit. Das fanden übrigens auch viele berühmte Zeitgenossen. Es hieß Billy Wilder, Bubi Scholz, Harry Belafonte, Hildegard Knef, Klaus Kinski, Romy Schneider und viele andere seien hier Gast gewesen. Wir haben nie irgendwelche Berühmtheiten dort gesehen. Vielleicht waren wir immer zu den falschen Zeiten dort? Die Namensgeberin der Galerie war übrigens Anja Bremer, die Lebensgefährtin von Rudi. Es hieß, dass sie nach dem Krieg den einst von den Nazis verfolgten Künstlern Ausstellungsmöglichkeiten in ihrer Zweieinhalbzimmerwohnung in Friedenau geboten hätte. Die Vernissage-Beköstigung bestand angeblich aus amerikanischer Dosensuppe und russischem Wodka. Die geistige Kost bestand aus Werken von Beckmann, Feininger, Kirchner, Klee, Kokoschka, Nolde und Pechstein. Mann, das hätte ich gerne gesehen! Später soll sie sogar einmal Grafik von Picasso gezeigt haben. Eine Sensation in den schwierigen Jahren nach der Währungsreform und sicherlich ein Meilenstein im Westberliner Kunstgeschehen. Irgendwann zog sie dann mit ihrer „Galerie“ in die Fasanenstraße, in die Räume einer ehemaligen Tischlerei. So entstand die Galerie Bremer. Mich durchzieht ein wohliges Kribbeln, wenn ich an all diese Geschichten und an unsere gemeinsamen Abende dort denke. Ich wundere mich, dass mir das alles auf einmal wieder einfällt. Ich habe viele Jahre, ja Jahrzehnte, nicht mehr daran gedacht.
Andrea war bis zu unserem Kennenlernen nie dieser skurrilen bis bizarren Welt begegnet. Jetzt sog sie alle Geschichten um die Berliner Künstlerszene gierig in sich auf. Systematisch klapperten wir an den Wochenenden auch die staatlichen Kunstsammlungen ab und nach einiger Zeit verstand Andrea wesentlich mehr von der in Berlin versammelten Kunst und Szene als ich. Ihr kam zugute, dass sie ein phänomenales Namensgedächtnis hatte, und sie konnte meist schon aus einiger Entfernung zu den Kunstwerken den Namen des jeweiligen Künstlers oder der Künstlerin nennen. Ich wollte es ihr gleichtun und begann mich ebenfalls für das Leben einzelner Künstler zu interessieren, um Andrea mit interessanten und pikanten Einzelheiten zu beeindrucken. Ich hatte keine Chance. Oft kannte sie die Einzelheiten besser und korrigierte mich manchmal schulmeisterlich, was mir gar nicht gefiel.
Zwei Jahre nach unserem Kennenlernen machten wir uns mit meinem grauen klapprigen VW-Käfer auf in Richtung Süden. Wir schauten kurz bei meinen Eltern in Westdeutschland vorbei. Die waren nicht sonderlich begeistert, dass ich schon wieder eine neue Freundin mitbrachte. Deshalb blieben wir auch nur zwei Tage, vor allem auch, weil uns mein jüngerer Bruder auf die Nerven ging. „Jüngerer Bruder“ klingt so, als ob es noch einen älteren Bruder gegeben hätte. War aber nicht an dem. Mein Vater war, glaube ich, schon mit zwei Kindern überfordert, ein Drittes hätte zur Katastrophe geführt. Na ja, meine Familie war auch so eine Katastrophe. Jedenfalls fuhren wir dann schnurstracks nach Paris. Das war damals einer der Sehnsuchtsorte für Leute unseres Schlages. Wir mieteten uns in ein Billighotel nahe des Boul’Mich‘, wie die Franzosen den Boulevard St. Michel nannten, ein. Es war Ende August und Paris glühte unter einer sengenden Sonne. Wir verzichteten deshalb darauf, tagsüber das Hotelzimmer zu verlassen. Da es keinerlei Zimmerservice gab, konnten wir ungestört den ganzen Tag im Bett verbringen. Zwischen unseren zahlreichen Ficks ging ich runter an die Ecke, wo sich ein Krämerladen befand. Dort kaufte ich Mineralwasser, billigen Rotwein, Baguette und Käse. Ich glaube, es war meistens Camembert oder Brie. Andrea war im Ficken unersättlich, und das gefiel mir außerordentlich. Wir probierten alles aus, was uns da so an aufregenden Dingen einfiel. Nur die Sadomaso-Strecke ließen wir aus. Wir wollten es beide zärtlich und gefühlvoll. Verdammt, das Mädchen schmeckte so lecker und ich konnte nicht genug kriegen von ihrer Pussy und manchmal auch von ihrem Popoloch. Sobald es in den Straßen etwas kühler wurde, durchstreiften wir in langen Spaziergängen die angesagten Gegenden rund um den Boul’Mich‘ und entlang des Seine-Ufers. Dort, insbesondere am Pont Neuf, trafen sich Clochards, Existenzialisten, Hippies (seit wann gibt es eigentlich diesen Begriff?) und andere amüsante Nichtsnutze, um sich die gesamte Nacht, oder zumindest den größten Teil davon, gemeinsam zu amüsieren.
Irgendwann fuhren wir dann weiter Richtung Süden. Unsere nächste Station war Montelimar, wo wir uns mit französischem Nougat, diesem mit Nüssen und Mandeln gefüllten weißen weichen Konfekt, gründlich den Magen verdarben. In Avignon aßen wir die köstlichste Bouillabaisse unseres Lebens. Das wussten wir allerdings damals noch nicht – es war unsere erste Bouillabaisse! Zu der Fischsuppe wurden wir übrigens quasi gezwungen. Wir bekamen das Zimmer nur mit der Zusicherung, in dem Gasthof auch das Abendessen einzunehmen. Eigentlich hatten wir vor, die restliche Zeit an der spanischen Costa Brava zu verbringen. Schlecht gekleidete und stark alkoholisierte Deutschmassen demonstrierten uns in Lloret de Mar die hässliche Fratze des damals zur Hochform auflaufenden teutonischen Massentourismus. Nach zwei Tagen suchten wir das Weite. In Barcelona begeisterten wir uns an den Werken Gaudis und nach zwei Tagen Barcelona beschlossen wir, das Auto im Parkhaus am Hafen stehen zu lassen und die Fähre nach Ibiza zu nehmen.
Andrea war todunglücklich, als sie herausfand, dass die Schlafkojen nach Geschlechtern getrennt waren. Sie hatte auf Sex in einem, die Wellen in rasanter Fahrt teilenden, Schiff gehofft. In dieser Zeit war das, wenn überhaupt, nur Schwulen und Lesben vergönnt, denn Männlein und Weiblein waren im Spanien Francos auf dem Schiff streng getrennt. Auch war von rasanter Fahrt nichts zu spüren. Das Schiff war ein langweiliger Seelenverkäufer, der meines Erachtens nur noch vom Rost zusammengehalten wurde. Nachdem Andrea sich in ihren Schlafsaal zurückgezogen hatte, war ich zum Oberdeck Deck gegangen, wohl auch, um den Gerüchen des Männerschlafsaales zu entkommen. Man brauchte keinerlei Sachverstand, um festzustellen, dass von den Rettungsbooten kaum so etwas wie „Rettung“ zu erwarten war. Überall an den Schiffswänden blätterte die Farbe ab, was einen freien Blick auf die rostige Konsistenz des Schiffsleibes ermöglichte. Ich habe es immer vermieden, Andrea von meinen Beobachtungen zu erzählen und war froh, als wir am nächsten Morgen tatsächlich den Hafen von Ibiza erreichten. Wir blieben drei Tage auf Ibiza, dann hatten wir Discos und Partyrummel und das ganze drum herum gründlich satt. Spanien war bis dahin so ganz anders, als wir es uns erträumt hatten. Wir hatten auf ein Paradies gehofft mit kristallklarem Wasser und herrlichen weißen Sandstränden. Das fanden wir auf Ibiza definitiv nicht. Schließlich kam Andrea auf die Idee, vor unserer Rückreise noch kurz der Nachbarinsel von Ibiza, Formentera, einen Besuch abzustatten. Gleich am Hafen empfing uns Paco mit einer Schubkarre, in der er ohne lange zu fragen unser Gepäck und das von zwei weiteren Mitreisenden verlud, um uns dann zu seinem Hotel zu bringen. Die Bezeichnung „Hotel“ war zwar nach heutigen Maßstäben sehr hoch gegriffen, aber das einfache, weiß gekalkte, Zimmer mit einem brauchbaren Bett und einem weniger brauchbaren Kleiderschrank gefiel uns, auch was den Preis anging. Die Preise waren zu jener Zeit ohnehin fix, dafür sorgten die Kontrollbeamten des Generalissimus. Wir hatten