V. A. Swamp

Andrea – Liebe ist nicht heilbar.


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türkisfarbenen Meer hinter den Salinen in der Nähe einer alten Salzmühle. Das Meer wird dort durch eine Landzunge geteilt, sodass zwei kleine Buchten und die mit makellosen weißen Sandstränden entstanden waren. Die Einheimischen nannten die Strände Ost- und Illetas-Strand. Niemand nahm daran Anstoß, dass der eigentliche „Illetas-Strand“ auf Mallorca liegt, und es dort zu einer Berühmtheit unter den Touristen gebracht hatte. Je nach Windrichtung war das Meer in einer der Buchten spiegelglatt, während es in der anderen Bucht bisweilen stürmisch zuging. Je nach Gusto wählten wir also die eine oder die andere Bucht zum Baden. Hier hatten wir endlich unser Paradies gefunden: Weiße Sandstrände, türkisblaues kristallklares Meer und eine Sonne, vor der wir häufig in dem nahen Pinienwald Schutz suchen mussten. Andrea interessierte sich intensiv für die Vegetation der Insel. Weiß der Teufel, wo sie das gelernt hatte. Plötzlich hielt sie mir Vorträge über Mandel-, Oliven-, Johannisbrot- und Feigenbäume. Sie ersetzte dabei oft Sachkenntnis durch überzeugende Rhetorik, glaube ich zumindest. Weiterhin faszinierten sie die unterschiedlichen Farben der Drillingsblume. Mit großer Begeisterung zeigte sie mir violette, rosafarbene und rote Exemplare. Sie kannte sogar deren lateinische Namen, ich habe so was immer sehr schnell wieder vergessen. Andreas war eben in mancher Hinsicht ganz anders gepolt.

      Zu Pacos Hotel gehörten ein kleines Restaurant und eine gut sortierte Bar. Na ja, die Bezeichnungen „Restaurant“ und „Bar“ sind vielleicht etwas hoch gegriffen, aber geschmeckt hat es uns dort immer und auch unsere Mägen und Därme haben nicht revoltiert. Wir hatten uns schon bald nach unserer Ankunft eine Art Moped gemietet und waren so leidlich mobil. Dadurch konnten wir auch die anderen Etablissements der Insel erkunden, zumindest die in den Hauptorten der Insel. Hier machten wir tolle Erfahrungen mit der spanischen Küche. Es gab ja damals noch eine Menge Fische im Mittelmeer, die die Spanier auf herrliche Weise zuzubereiten wussten. So sehr Andrea diese Fischgerichte liebte, für „Formenteraschwein“ im Restaurant „La Tortuga“ konnte ich sie nicht begeistern. Vielleicht lag das auch daran, dass aus dem Blätterdach über der Patio gelegentlich alles mögliche (und unmögliche) Getier auf die Tische und manchmal auch ins Essen fiel.

      Viele späte Abende verbrachten wir in der Fonda Pepe. Eigentlich ein Hippie-Treffpunkt, aber mit einem einzigartigen Ambiente. Auch wenn viele Hippies nicht das Geld hatten, hier ausgiebig zu essen oder zu trinken, die Fonda war ihre Verbindung zur Außenwelt. Hierher ließen sie sich ihre Post schicken, hier hinterließen sie an der Säule in der Lokalmitte ihre Nachrichten: „Billige Finca gesucht.“ „Hi, Rosa, bin mit Andie und Mona bei John in San Francisco“ und so ähnlich, lauteten die Nachrichten. Die Kneipe, einem ungemütlichen Wartesaal nicht unähnlich, war manche Nacht dermaßen voll, dass die Drinks von der Zapfstelle durch mehrere Reihen dicht gedrängt vor der Theke stehender Gäste gereicht werden mussten. In der Fonda wurde bis weit nach Mitternacht gebaggert, gesoffen, gedealt, geschnorrt...

      Hinter der Fonda war eine winzige Terrasse mit einer niedrigen Mauer. Diese Mauer wurde später sogar eine Touristenattraktion. Bei uns hieß sie damals die „Philosophenmauer“. Einige der Typen, die hier scheinbar Tag und Nacht hockten, waren so stoned, dass sie wirklich aussahen wie versteinerte Denker. Die meisten Gäste der Fonda in jener Zeit waren unvermögende, dafür aber umso durstigere Gestalten, die hier ihren Traum vom ungebundenen Leben wahr machten, und sei es auch nur für ein paar Wochen. Hier hatte man für die Goldkettchenträger, Ballermänner, der Begriff war damals, glaube ich, noch nicht erfunden, die entsprechenden Typen aber schon, und Discobräute, die die Nachbarinsel Ibiza bevölkerten, nur pure Verachtung übrig. Andrea und ich gehörten eigentlich nicht zu diesem edlen Kreis ausgestiegener Nichtsnutze, aber wir fühlten uns hier pudelwohl. Gelegentlich, das heißt fast immer, leisteten wir uns eine, o.k. ich gebe zu, meistens wurden es mindestens zwei, Flaschen spanischen Sekt, wobei uns schon damals die Marke „Freixenet“ am besten schmeckte. Weiß der Teufel, wie wir das alles bezahlten. Denn in einem waren wir den Typen der Fonda nicht unähnlich, Geld war bei uns ebenfalls sehr knapp…

      Wir sind von da an jeden Sommer nach Formentera gefahren und konnten nicht genug bekommen von dieser einmaligen Mischung aus Sonne, Sand, Meer, urigem spanischen Essen und Trinken und der lebendigsten Meute lebenslustiger Nichtsnutze, die ich je auf einem Haufen getroffen habe. Ach ja, Andrea. Ich habe dieses Mädchen sehr geliebt, und wir haben eine wunderbare Zeit miteinander verbracht. Dann haben wir sogar geheiratet. Das war, glaube ich, der Anfang vom Ende. Auf einmal fühlte ich mich eingeengt. Vielleicht war ich mir auch meiner Sache zu sicher. Jedenfalls folgte ich irgendwann allen Verlockungen, die von anderen Mädels ausgingen. Ich hatte eben das Gefühl, dass man etwas Wichtiges versäumt, wenn man nicht weiß, wie sich andere Pussys anfühlen. In der ersten Zeit konnte ich das noch vor Andrea verheimlichen. Irgendwann muss sie das dann mitgekriegt haben. Sie weigerte sich, mit mir weiter zu schlafen. Das war mir zunächst egal, da ich ja auch aushäusig gut ausgelastet war. Dann war sie eines Tages verschwunden. Ohne Szenen, ohne Aussprache, ohne irgendwas hat sie sich von mir getrennt. Ob sie inzwischen einen anderen Typen gefunden hatte, weiß ich nicht. Dann ließ sie von einer Freundin ihre Sachen abholen. Ich muss heute noch schmunzeln, wenn ich daran denke, wie präzise sie dabei vorging. Die Freundin hatte eine vollständige Liste all der Sachen, die Andrea beanspruchte. Ich habe alles sofort rausgerückt und noch etliche Bücher, Schallplatten und so ein Zeug dazu gepackt, von dem ich annahm, dass ihr diese Dinge lieb und wichtig waren. Als alles weg war, bekam ich auf einmal ein verdammt mieses Gefühl. Schlagartig wurde mir bewusst, dass mein Egoismus und meine Leichtfertigkeit eine gewaltige Zäsur in meinem Leben verursacht hatten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich gehofft, und wahrscheinlich auch geglaubt, dass sich die ganze Sache irgendwie einrenken würde, und dass Andrea zurückkommen würde, auch wenn ich nichts dazu beigetragen hatte. Ich meine, ich habe gar nicht nach ihr gesucht oder mich sonst wie bemüht. Schließlich war sie es, die mich verlassen hatte und mein Stolz verbot mir, zu Kreuze zu kriechen. Scheiß Stolz, hat mir oft im Wege gestanden! Schließlich ließen wir uns scheiden. Das ging damals problemlos. Ich nahm alle Schuld auf mich, weil ich angeblich „grundlos und beharrlich die Fortsetzung der ehelichen Gemeinschaft verweigert hätte“. Im Gegenzug verzichtete Andrea auf sämtliche Ansprüche, auch für die Zukunft. Sie hat mich während der kurzen Verhandlung keines Blickes gewürdigt. Nur, als sie beim Verlassen des Gerichtsgebäudes sah, dass dort Rita auf mich wartete, meinte ich einen verächtlichen, ja wütenden Blick von ihr gespürt zu haben. Ich kann mich aber auch täuschen. Jedenfalls haben wir uns danach nur noch sehr selten und nur zufällig gesehen. Über unsere gemeinsame Zeit haben wir nie wieder ein Wort verloren. Ach, in diesem Zusammenhang fällt mir ein, dass ich später dann auch mit Rita nach Formentera gefahren bin. Auch Rita fand schnell Gefallen an dieser wunderbaren Insel. Noch später fuhren wir auch mit unseren Kindern dorthin, und dann setzten unsere Kinder die Tradition fort, die ich einst mit Andrea begonnen hatte.

      Die Party

      Übermorgen ist Andreas Party. Ich gebe es ungern zu, aber ich habe mich in den letzten Tagen ständig mental mit dieser blöden Party beschäftigt. Ich musste mir darüber im Klaren werden, ob ich wirklich dahingehen möchte. Dazu habe ich eine Liste der Gründe, die für und die gegen einen Besuch sprechen, aufgestellt. Die „Dafür-Liste“ hat bis heute Morgen sechs gute Gründe enthalten, die „Dagegen-Liste“ nur vier. Das war ein ziemlich eindeutiges Ergebnis. Dann sind mir aber heute Morgen noch zwei wichtige Gründe, die gegen einen Besuch sprechen, eingefallen: Erstens bin ich überhaupt nicht in Stimmung für eine solche Party und zweitens weiß ich nicht, was ich anziehen soll. Der zweite Grund klingt blöd aus dem Mund eines 66 Jahre alten Kerls, der ohnehin in einem Modemagazin nichts mehr zu suchen hat. Aber wer weiß, wie die anderen Gäste aussehen, und da will ich keineswegs over- oder underdressed daher kommen. Ich könnte mich ein bisschen auf jugendlich trimmen. Immerhin habe ich noch eine relativ brauchbare Figur, zumindest im Vergleich mit den meisten Kerlen in meinem Alter. Der leichte Bauchansatz fällt bei meiner Körpergröße von fast zwei Metern kaum auf, besonders wenn ich gerade gehe, was mir allerdings nicht mehr gelingt. Außerdem habe ich noch ziemlich volles Haar, friedhofsblond zwar, aber mit meinem gebräunten Gesicht, welches meinen Golfaktivitäten geschuldet ist, geht das schon.

      Bei meinen Klamotten gibt es im Grunde nur zwei Variationen, schwarz oder braun. Am liebsten trage ich schwarz, weil das am besten zu meinen Haaren passt. Aber schwarz zu einer Party? Vielleicht