Thomas Arndt

Eine Geschichte über rein gar nichts


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weg. Ohne sich über die Zurückweisung im Mindesten zu beklagen, sah er sie an und strahlte übers ganze Gesicht, so als ob er gerade eine weiß Gott wie große Wohltat empfangen hatte. Tania hatte mit beinahe jeder Reaktion gerechnet: dass er sie schelten würde, dass er protestiere, dass er versuche, sie noch einmal zu berühren, dass er etwas sage; doch Benjamin saß einfach nur da und grinste und strahlte von einem Ohr zum anderen.

      »Was ist?«, fragte Tania, als ihr sein Grinsen unangenehm zu werden drohte.

      »Och!«, platzte es fröhlich aus ihm heraus: »Ich bin so verliebt in dich!« Und er strahlte sie an mit diesem Lächeln, das so gar nicht zu ihm passen wollte, wie Tania meinte, und er fuhr fort und sagte, dass er unbeschreiblich glücklich sei, mit ihr zusammen sein zu dürfen. Sie hätte ihm schon immer gefallen, nur konnte er sich nicht vorstellen, dass das auf Gegenseitigkeit beruhe. Schon einmal sei er drauf und dran gewesen, sie anzusprechen, vielleicht sogar einzuladen, um herauszufinden, was sie von ihm halte. Ja!, er sei ganz und gar froh darüber, dass er solange gewartet habe, denn genauso gut hätte alles auch ganz anders kommen können. Schließlich schloss er seine kleine Offenbarung mit den viel zu feierlichen Worten: »Tanja! Wirklich! Ich will für immer mit dir zusammen sein! Ich bin so verliebt in dich und möchte mit dir schlafen.«

      Als Tania Benjamin das sagen hörte, verschlug es ihr die Sprache. Regungslos saß sie da und wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sein erwartungsvoller Blick forderte jedoch eine Reaktion und so dachte sie darüber nach, was sie erwidern könne. Aber was sollte sie sagen, nachdem ihr plötzlich klar wurde, worauf sie sich eingelassen hatte? Niemals hätte sie es für möglich gehalten, dass er zu solchen Emotionsausbrüchen fähig wäre. Hatte sie einst geglaubt, er wolle nichts von ihr wissen, so dachte sie später, sie würden nicht lange zusammen bleiben. Doch nun hatte sie eine Liebeserklärung aus seinem Munde vernommen, aus dem Munde eines Jungen, den sie mochte, der immer lieb und nett zu ihr war, den sie hin und wieder in der Schule sah und seltener außerhalb derselben, der aber nun einmal ihr Freund war.

      Sie sah ihn an, noch immer nicht wissend, was sie sagen oder tun sollte und stellte sich vor, was geschehen würde, wenn sie miteinander schliefen, nachdem schon die Berührung ihrer Brüste eine solch überwältigende Reaktion hervorgerufen hatte; das hatte sie nicht gewollt! Sie blickte in sein noch immer strahlendes Gesicht und bemerkte, wie ihm das Warten zusetzte. Seine Züge verhärteten sich zunehmend und drohten den Ausdruck puren Glücks einer Lähmung gleich für alle Ewigkeit zu konservieren. Angesichts dieser Aussicht überwand sie die Distanz und schlang ihre Arme um seinen Hals. Sie klammerte sich so fest an ihn, dass sie kaum sein erleichtertes tiefes Ausatmen hören konnte. Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Schulter und hielt die Augen fest geschlossen, um in den kommenden Sekunden und Minuten nichts mehr sehen zu müssen. In dieser Lage verharrten sie, sodass ein jeder, der die beiden gesehen hätte, nicht umhingekommen wäre, ins Schwärmen zu geraten.

      Die Zeit verflog und beide wagten nicht, sich von der Stelle zu rühren, geschweige denn, sich vom anderen zu lösen. Erst als Beine und Arme der Umschlungenen allmählich taub wurden, lockerten sie zögernd ihre Umarmung und lösten sie schließlich vollends auf. Beim Blick auf die Uhr bemerkte Tania, dass es längst Zeit war, nach Hause zu gehen. Sie verabschiedete sich mit einem Kuss und sah in Benjamins Augen, dass er noch immer auf etwas wartete. Aber sie hatte es eilig und war nicht in der Lage, ihm seinen Herzenswunsch – vermutlich nur ein paar liebe Worte – zu erfüllen.

      Einige Tage später reifte in ihr nach ausführlichen Überlegungen der Entschluss, dass es weder für sie gut wäre, mit ihm zusammenzubleiben, da er sie viel zu sehr liebte, noch konnte es für ihn gut sein, mit ihr zusammenzubleiben, wo sie ihn doch, wie sie sich eingestand, rein gar nicht liebte. So gut sie es vermochte ging sie ihm aus dem Weg und vergeudete keinen Augenblick, nicht darüber nachzusinnen, auf welche Weise sie sich von ihm trennen könnte. Indem sie sich Benjamin aber entzog, steigerte sie nur sein Verlangen. Langsam dämmerte ihr, dass ihre erste Beziehung vermutlich kein gutes Ende nehmen würde. Tania stand kurz vor der Einsicht, dass es unumgänglich sei, alle Schuld auf sich zu nehmen und zu gestehen, ihn nicht mehr zu lieben. Ganz bestimmt wäre es schrecklich für ihn, malte sie sich in drastischen Bildern aus, die Benjamin in aller nur vorstellbaren Verzweiflung zeigten. Doch noch schrecklicher wäre, wenn sie zusammen blieben und das nicht nur für ihn, sondern vor allem für sie. Vollkommen willkürlich bestimmte sie daher einen Tag, an dem sie ihn verlassen wollte.

      Noch bevor der Kalender dieses Datum anzeigte, erschien eine Freundin vollkommen aufgelöst bei Tania. Sie müsse sich unbedingt aussprechen, erklärte Laura unter Tränen. Sie kenne sich selbst nicht mehr, verstehe sich nicht, begreife gar nichts, wisse nicht, wie das geschehen konnte: gestern Nachmittag hatte sie ihren Freund betrogen!

      Tania sah sie überrascht an. Mit einer schlechten Note oder familiären Problemen hatte sie gerechnet, aber dass Laura Philip betrogen hatte, wäre ihr nicht in den Sinn gekommen. Sie solle nur erzählen, ermutigte Tania sie, sie werde zuhören und zu helfen versuchen, wenn es möglich wäre. Die Freundin ließ sich nicht lange bitten und vergaß nicht das kleinste Detail. Sie seien verabredet gewesen, berichtete sie, er aber sei nicht erschienen. Viel zu lange habe sie gewartet und nicht gewusst, warum er nicht kam und wo er war. Immer wütender wurde sie, als er nicht auf ihre zahllosen SMS und Anrufe reagierte. Und als sie sich vor Augen führte, dass er im Grunde genommen nie pünktlich war und sie nicht zum ersten Mal versetzte, erreichte ihr Zorn ungeahnte Dimensionen. Schließlich traf sie zufällig einen seiner besten Freunde, als sie noch immer am verabredeten Ort ausharrte, der berichtete, er habe gerade mit Philip und anderen bei einer Bekannten abgehangen.

      »Er ist mit mir verabredet!«, schrie Laura Philips Freund ihrer Wut freien Lauf lassend an. »Ich warte hier seit Stunden während er irgendwo rumhängt und nicht mal ans Handy geht?«

      »Ähm . . . bleib doch ruhig. Komm runter! Deshalb musst du doch nicht so schreien.«, antwortete dieser, der sich erst jetzt der Situation bewusst wurde, in die er hineingeraten war und die ihm ganz und gar nicht gefiel. »Wir waren ja nicht irgendwo, sondern bei Simone und was ist schon dabei, wenn man mal ein paar Minuten mit seinen Freunden abhängt.«, versuchte er Philip und auch ein wenig sich selbst zu rechtfertigen, ahnte jedoch, dass er womöglich nicht den richtigen Ton getroffen, nicht die passenden Worte gefunden hatte.

      »Hast du eigentlich eine Freundin?«, fragte Laura und sagte, als er ihre Frage kopfschüttelnd verneint hatte, dass sie das gut verstehe und blickte ihn bedeutungsvoll an. Wissend, mit jedem weiteren Wort seine und Philips Lage nur verschlechtern zu können, schlug er zu seiner eigenen Überraschung vor, in den Park zu gehen und eine zu rauchen, um in Ruhe reden zu können. Da Laura nun ohnehin nichts Besseres mit ihrer Zeit anzufangen wusste, willigte sie ein und so fanden sie sich einige Minuten später auf einer Wiese im Schatten eines Baumes wieder, wo es dann geschah und sie ihn küsste, wie Laura Tania tief betrübt schluchzend und schniefend gestand.

      »Und dann?«, fragte Tania in Erwartung weiterer delikater Einzelheiten.

      »Was dann?«, fragte die Freundin.

      »Weiter ist nichts passiert? Ihr habt euch nur geküsst?«, versicherte sich Tania.

      »Ich habe ihn geküsst!«, jammerte sie. »Ich ihn und nicht wir uns oder er mich. Das ist doch das Schlimme! Verstehst du? Auf einmal kam es über mich. Ich weiß überhaupt nicht wie und warum. Da hab ich ihn geküsst und dabei finde ich ihn doch so, so, so . . . BÄHHHHHHHHHH!«

      Tania verstand, dass dieser Kuss für die Freundin eine Katastrophe darstellte, da er von ihr ausgegangen war, weder Sinn noch Bedeutung hatte und Laura den Geküssten nicht einmal mochte. Mit diesem Kuss war sie Philip untreu geworden und befürchtete nun, er könne sie verlassen, wenn er davon erfuhr. Eine Lösung musste gefunden werden, um den worst case vorzubeugen, denn vermutlich würde es sehr schwer werden, den Ausrutscher vor Philip zu verheimlichen.

      Nachdem sich Laura nach einigen Stunden beruhigt hatte, brachte Tania sie nach Hause. Sie wolle sich etwas einfallen lassen, versprach Tania, es werde sicher nicht einfach werden, doch schließlich gäbe es immer einen Weg. Dankbar aus ihrem verheulten Gesicht lachend verabschiedete sich Laura von Tania, die nochmals bekräftigte, ihr unter allen Umständen zu helfen.

      Als sich die Freundinnen am nächsten