Werner Sauter

Kompetenzentwicklung im Netz


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in die Gruppenleitung, in die anderen Teilnehmer und nicht zuletzt natürlich auch in sich selbst wird ein solcher persönlicher Entwicklungsprozess nahezu ausgeschlossen.

      Der generalisierbare gruppendynamische Ablauf lässt sich wiederum zusammenfassen (Abb. 11).

      Die Anwendung gruppendynamischer Verfahren im Unternehmensbereich, teilweise aus neueren Psychotherapie- und Trainingsverfahren entlehnt, hat den Stellenwert von Selbsterfahrung und Emotionalität erheblich ausgeweitet. Viele neue, der humanistischen Psychologie verpflichtete Bewegungen, wie Gestalt- und Gesprächstherapie, Encountergruppen, Sensitivtrainings, Kommunikationstrainings, Aufstellungen usw. machen Selbsterfahrung und Emotionalität zum Zentrum ihres Vorgehens. Da aber nahezu jegliches Arbeiten in Unternehmen und Organisationen in Gruppen geschieht, die keineswegs konfliktfrei zusammenwirken und keineswegs repressionsfrei kommunizieren, sind die gruppendynamischen Erkenntnisse breit verallgemeinerbar. So ist es zu erklären, dass Autoren von einer gegenwärtigen Renaissance der Gruppendynamik sprechen. Im Sinne der vorstehenden beiden Abschnitte bieten konfliktäre Gruppenprozesse nicht mehr und nicht weniger als spezifische, sehr realitätsnahe Anlässe emotional –motivationaler Labilisierung, die zum Wertlernen und damit zum Kompetenzlernen führen. Deshalb lassen sich die bereits umrissenen allgemeinpsychologischen Mechanismen der Aneignung (Interiorisation) und Kommunikation (Exteriorisation) von Regeln, Werten und Normen in Form von Emotionen und Motiven unter den spezifischen Bedingungen einer echten Gruppendynamik diskutieren.

Folie11

      Abb. 11 Generalisierter, gruppendynamischer Ablauf

      Wir können für jede der Phasen (α) - (γ), gestützt auf neuere Untersuchungen zur Gruppendynamik, kennzeichnen, welche Aspekte des Wert- und Kompetenzlernens, der Interiorisation darin wirksam werden. Dabei ist wichtig, im Auge zu behalten, dass diese Phasen Abstraktionen sind, dass sich die beschriebenen Stufen real „überlappen“ und dass jede Gruppe ihre eigene Entwicklungsgeschwindigkeit hat und sich „individuell“ entwickelt.

      (α) In der Orientierungsphase 1, der Kennenlernphase herrschen bei den Gruppenmitgliedern Unsicherheit und Angst als grundlegende Emotionen vor. Sie versuchen, diese durch Sympathiewerbungen und durch Distanz zu mindern. Der Gruppenleiter sollte hier für eine möglichst lockere, ungefährliche Atmosphäre sorgen, inhaltliche Schwerpunkte setzen und thematische Erwartungen einbringen. In sich selbst formierenden, problemorientierten Gruppen kann es dabei schon sehr früh zu emotionalen Spannungszuständen kommen, die zunächst durch vertrauensbildende Schritte und Erkundungsprozesse aufgelockert werden sollten. Ohne solche Schritte bleiben die dissonanz- und labilitätserzeugenden Emotionen später möglicherweise unproduktiv und verhindern eine fundierte Kompetenzentwicklung.

      (β) In der Orientierungsphase 2, der Anwärmphase versuchen die Gruppenmitglieder, Unsicherheit und Angst, Dissonanzen und Labilisierungen durch ein konventionelles, Spannungen vermeidendes aufeinander Zugehen zu verringern. Sie lernen einander vor allem von der positiven Seite her kennen, entwickeln einen gewissen Vertrauensvorschuss und sind neugierig aufeinander. Anstehende Probleme werden vor allem von ihren weniger problematischen Seiten her reflektiert und besprochen. Die entstehende „Wärme“ ist leicht flüchtig und sehr vorläufig, hat jedoch die wichtige Funktion, die Teilnehmer für spätere Wert- und Kompetenzänderungen zu öffnen.

      (ζ) In der als Abhängigkeitsphase zu identifizierenden Unzufriedenheitsphase werden sich die Teilnehmer einer doppelten Abhängigkeit bewusst: zum einen empfinden sie sich vom Gruppenleiter oder von möglicherweise selbst und schnell wechselnden Führungspersonen abhängig, zum anderen erleben sie sich selbst abhängig von ihren eigenen Missempfindungen und negativen Emotionen, die in der aufgebauten Spannungssituation entstehen, ein Problem nicht lösen oder Konflikte in der Gruppe nicht abbauen zu können. Das führt zu einem starken Ich-Denken, zu dem intensiven Bestreben, den eigenen Platz in der Gruppe zu begreifen ohne ihn schon verändern zu können und zu wollen. Der dabei entstehende starke emotionale Spannungszustand und die entsprechende Labilisierung sind die Voraussetzung für kommende Auseinandersetzungen und Veränderungen der eigenen Position in der Gruppe sowie zu den zu lösenden Problemen.

      (δ) In der Lösungsphase 1, zutreffend als Aufschmelzphase zu kennzeichnen, beginnt die eigentliche Auseinandersetzung um die besten Problemlösungen und um die Position im Beziehungsgefüge der Gruppe, zunächst verhalten und tastend, dann, in der Lösungsphase 2 in massiver Auseinandersetzung, in einer Form von Machtkampf, die manchmal als „Storming“ bezeichnet wird. Emotional beginnen hier die ersten wirklichen Veränderungen. Neues Gruppenverhalten wird tastend erprobt und durch Unterstützung bestätigt, oder aber durch Ablehnung korrigiert. Dieses Verhalten ist mit neuen Werthaltungen unterfüttert, bei Akzeptanz kommt es zu ersten Veränderungen der bisherigen Werte und Kompetenzen.

      ε) In der oft von Auseinandersetzungen, Gefühlsausbrüchen und Aggressionen begleiteten Lösungsphase 2, der Aktivierungsphase, kommt es dann zum eigentlichen und massiven Umlernen von Emotionen und Motivationen. Die allgemeinpsychologischen Grundlagen dieses Umlernprozesses hatten wir unter Bezug auf Kognitions- und Motivationstheorien zu beschreiben versucht. Spezifisch ist hier, dass Dissonanzen und Labilisierungen vor allem durch Gruppenkonflikte und Gruppenauseinandersetzungen hervorgerufen werden. Folgerichtig haben gruppendynamische Theorienbildungen Konfliktentstehung und Konfliktverarbeitung in den Mittelpunkt gestellt. Dazu wird oft der bereits eingeführte Ansatz Schultz von Thuns herangezogen, der ein gutes Erklärungsmodell dafür bereitstellt, warum jede reale Kommunikation über ein sachliches Problem, eine Unternehmensaufgabe, eine Marktentscheidung, eine personalpolitische Maßnahme nicht nur auf der Inhaltebene abgehandelt werden kann, sondern stets auch auf der Beziehungsebene der Kommunizierenden angesiedelt ist. Es geht niemals nur um die Frage „Wie ist der Sachverhalt zu verstehen“ sondern stets auch um wertende Fragen: „Was ist das für einer, der da mit mir kommuniziert“, „Wen glaubt er eigentlich, vor sich zu haben“ oder „Was soll ich tun, denken und fühlen aufgrund seiner Meinung“. Das gesamte Spektrum vom Mitteln der Wertkommunikation, das wir an anderer Stelle dargelegt haben, kann im Rahmen der angeführten Fragen eine Rolle spielen. Es kann auch entsprechend in Kommunikationstrainings benutzt werden. Auch die führend von Paul Watzlawick entwickelte Kommunikationstheorie der „Palo-Alto-Schule“ formuliert neben der Grundregel 1: „Man kann nicht nicht kommunizieren“ die Grundregel 2: „Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt“, womit Wert- und Kompetenzaspekte in jede Kommunikation eingeschlossen sind, was nichts anderes heißt als: Man kann nie kompetenzfrei kommunizieren. Besonders folgenreich und neuartig ist neben Regel 3, die den oft vergeblichen menschlichen Versuch kennzeichnet alles auf Kausalketten (Ursache- Wirkung) zu reduzieren, Watzlawicks Regel 4, die eine Unterscheidung von digitaler und analoger Kommunikation fordert. Entweder wir nennen klare, möglichst messbare Daten und Fakten (digitale Information) oder aber wir verwenden Bilder und Analogien, die Ähnlichkeiten und Bezüge zu einem bezeichneten Gegenstand haben (analoge Information). Letztere ist entwicklungsgeschichtlich älter und besitzt eine allgemeinere Gültigkeit als die viel jüngere verbal-digitale Sprache. Analoge Kommunikation ist immer mehrdeutig und, als Ausdrucksgeschehen, immer mit Wertaspekten behaftet. Zudem transportiert sie immer Aspekte der Ungleichheit oder Gleichheit der Kommunikationspartner, die nie vernachlässigt werden dürfen (Regel 5).