Gerd Lange

Radpilgern Extrem


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was soll ich machen? Wenn der Riese ausholt und dich trifft, dann ist deine Pilgerreise hier und heute vorbei.

      Da aber diese „preiswerte Bulgarische Hafen Etablissement Dame“ so meine Gedanken bzw. meine Signale überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt, auf die ich durch starkes Räuspern und Husten hinweise, platzt mir der Kragen.

      Der Pilgerstock im Arsch ersetzt kein Rückgrat und vollkommen egal, was mir da für ein Muskelpaket gegenübersitzt. Da die Sonne jetzt tief steht werfe ich als Zwerg auch einen großen Schatten und jetzt muss es raus: >> Also entweder machen sie die scheiß Zigarette SOFORT aus oder sie verlassen diesen Tisch <<, insistierte ich.

      Butterle erlaubt es sich doch, mich erst einmal von oben bis unten zu bemustern und sagt mir dann belanglos ins Gesicht: >>Nix verstehen! <<

      Jetzt kann ich nicht mehr innehalten und ich verspüre den Adrenalinschub und ergieße mich in etwas lauten Worten.

      >> Was ist denn an Zigarette ausmachen nicht zu verstehen? Ich erlaube, dass Sie sich an meinen Tisch setzten dürfen. Sie erweitern die Runde ohne mich zu fragen. Sie besitzen die Unhöflichkeit sich lautstark in ihrer Muttersprache zu unterhalten, obwohl sie temporär Gast an meinem Tisch sind. Dann stecken sie sich diese Billigkippe in den Hals und verpesten die Luft damit, wodurch ich keinen Bissen mehr runter bekomme, weil sich mir der Hals zuschnürt. Und dann sagen sie allen Ernstes: „NIX VERSTEHEN“<<

      Ich habe wohl sehr viel Metall in meiner Stimme gelegt, denn der mit Gästen prallvolle PVC- Saal ist auf einmal still, denn alle haben es mitbekommen und für kurze Zeit kann man die Achselhaare von Butterle wachsen hören.

      In der Erwartungshaltung, dass der Riese sich jetzt mir zuwendet und mir den Kopf vom Hals schlägt, verharre ich in der noch erregten Situation. Ich bin physisch wie psychisch auf alles vorbereitet. Ich hatte mir folgende Szenarien akribisch ausgemalt. Wenn Goliath den kleinen Tisch umwirft und ausholt, um mich in den Erdboden zu stampfen, sofort ausweichen. Der darf mich nicht zu packen bekommen, denn dann ist es äußerst schlecht um mich bestellt. Ausweichen und dann fliehen ist eine gute Alternative für den Ernstfall, um einer bevorstehenden Pulverisierung zu entkommen.

      Und dann, der Riese steht seelenruhig auf, und entgegen meiner Befürchtung, dass mein Leben nichts Gutes mehr für mich zu bieten hat, entschuldigte er sich mit tiefer Stimme für das Verhalten seiner Schwiegermutter bei mir und diktierte die beiden Damen vom Tisch.

      Ich nehme erst mal einen Schluck und merke wie sich mein Herz- und Pulsschlag langsam normalisiert, bin mir aber in keinster Weise einer Schuld bewusst, denn ich bin im Recht.

      Das Trio packt seine Habseligleiten zusammen und trottet ab. Die zugezogene Schlinge um meinen Hals löst sich und ich bekomme wieder Luft. Ich bemerke noch, dass der Fleischberg sein rechtes Bein nachzieht.

      >> Da lag ich also mit der Option „Weglaufen“ gar nicht so verkehrt. <<

      Also, wenn Blicke töten könnten. Einige Plätze weiter ein Migration-Rauchertisch. Dort rücken Sie zusammen und ich fühle mich noch den Stichen dieser Augen ausgesetzt, stehe aber jetzt über den Dingen und verspeise nach diesem kleinen Intermezzo mein fast kaltes Fleisch.

      Ein junges Pärchen, welches sich in Unwissenheit darüber was vor wenigen Minuten vorgefallen war, zu mir an den Tisch setzten will, wird von mir höflich aber bestimmend abgewiesen.

      Ich zücke noch schnell mein Tagebuch hervor und muss dieses Ereignis noch in Stichpunkten für die Nachwelt festhalten. Dabei komme ich zu folgendem Ergebnis:

      >>Jeder blamiert sich so gut er kann. <<

      Das war alles in allem heute ein sehr stimmungsreicher Tag. Ich beschließe zu zahlen, denn die Blicke sind nach wie vor kontaminiert und nichts spricht gegen einen Verdauungsspaziergang, bevor der Alkoholkonsum die Zunge meiner Kontrahentin doch noch löst.

      Nach einer Stunde habe ich für heute genug. Bewege mich also auf mein Zimmer. Dort packe ich alle meine Sachen schon grob zusammen, schlüpfe in meinen Seidenschlafsack und schlafe nach einer kurzen Weile ein.

      Fahrzeit am 20.07.2013: 00:00 h

      Höchstgeschwindigkeit: 00:00 km/ h

      Durchschnittsgeschwindigkeit: 00:00 km/h

      Tageskilometer: 00,00 km

       Gesamtkilometer: 359,91 km (immer noch)

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      5. Tag

      Sonntag der 21.07.2013

      Es ist 5:00Uhr, ich verliere noch ein paar Gedanken an Gestern und freue mich schon auf meine heutige Tages- Etappe nach Metz. Mal sehen, wie gut der Ruhetag meinen Beinen bekommen ist. Ich lege fest ab 6:30 Uhr wieder unterwegs sein zu wollen.

      Das übliche Szenario: Noch einmal ausgiebig duschen, verstauen der Klamotten und dann das Rad wieder freilegen. Das müsste doch alles schnell klappen. Also hoch „Gerd“

      >>Huch, was ist das denn!? Ich komme nur unter Schmerzen hoch. Ach du heilige Kacke, was ist das denn schon wieder? <<

      Ich taste meinen linken Brustbereich ab, denn von dort tritt der Schmerz bei Belastung auf. Ich kann aber nichts an Schwellungen oder Hämatomen feststellen und grenze somit ein, dass ich mich in diesem King Site Bett verlegt haben muss.

      Oder esoterisch betrachtet!

      >>Na Super, da haben die stechenden Blicke ja ihr Ziel erreicht, aber musste es denn unbedingt die Herzseite sein, Liebchen? <<

      Ich stellte für mich fest, dass ich keine Zeit für Befindlichkeiten habe und spreche zu mir:

      >>Das Jammern nutzt aber nichts, denn Frankreich und Metz warten schon auf mich, also Gas geben Jung<<.

      Ohne Unterhose und mit der neuen Erfahrung und Zuversicht, dass Staunässe und wund gefahrene Leisten in Zukunft der Vergangenheit angehören, schaffe ich es, dass ich um 6:30 Uhr abfahrbereit in den Startlöchern stehe. Das Fahrrad ist in Ordnung, also Schlüssel der „Kaschemme“, wie mit der Wirtin besprochen, in den Briefkasten geworfen und los geht`s.

      >> Und bloß nicht umdrehen, um denen „Im Stübchen“ kein auf Wiedersehen signalisieren zu müssen. <<

      Beim Aufsteigen auf das Fahrrad spüre ich >>schön<< meine linke Brustseite. Stelle jedoch mit Beruhigung fest, dass ich ohne Schmerzen trampeln kann. Ich halte auf den ersten Metern schon mal Ausschau nach dem ersten warmen Getränk, aber es ist noch viel zu früh, um meine Morgendröhnung zu finden. Wie ich nach kurzer Fahrzeit bemerke, ist der Fahrtwind noch etwas „kühl lala“. Also stoppe ich und ziehe eine leichte Softschell Jacke unter leichten Schmerzen an.

      Eine gute Entscheidung, denn jetzt läuft das Rad, während ich wieder der „Mosel“ entlangfahre, einwandfrei. Da es heute wieder 38° – 40°C werden soll, beschieße ich, nur dann eine Kaffeepause einzulegen, wenn ich ein geöffnetes Geschäft finde. Mir fallen zwei Nachtlager von einigen Wildcampern auf und dabei frage ich mich, ob die gestern auch zu viel Wein getrunken haben?

      So früh sind kaum Leute unterwegs und das Fahren an der Mosel entlang ist hier auch sehr abwechslungsreich und schön. Da laut Straßenschilder mein nächster Ort Konz sein wird, hoffe ich, hier meinen dringend benötigten Kaffee zu bekommen. Wie ich später erfahre, nicht Ort, sondern Stadt. Denn Konz hat durch die Eingliederung mehrerer Ortschaften 1959 die Stadtrechte erhalten. Hier in Konz mündet die Saar in die Mosel. Die Römer bauten für ihre Straße von Trier nach Metz über die Saar eine Steinbrücke mit sechs Bögen und