Magdalena Gräfenberg

Helen und die Häute der Frauen - Erster Teil: SOKO Haut


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auch nicht haben. Das muss alles schön glatt und samtig geschmeidig sein.“

      Helen resümierte weiter:

      „Ich ahne, dass du schon eingeplant hast, dass ich von den Kerlen gleich noch in der Sauna gevögelt werde. Was machst du dann solange?“

      Annegret antwortete:

      „Ich schaue zu! Nein, im Ernst, ich habe auch für mich gesorgt. Wir sind zu fünft. Ende jetzt, wir sehen uns.“

      Helen war damals nass geworden bei der Vorstellung, in der Sauna auf zu allem entschlossene Männer zu stoßen. Im Prinzip hatte Annegret sie schon verplant. Also musste sich Helen damals für den Abend besonders vorbereiten oder zu Hause bleiben. Der Gedanke, dass schon zwei Männer von Annegret auf sie angesetzt waren, die schon gewisse Erwartungen für den Saunabesuch hatten, machte sie einerseits richtig geil, andererseits hatte sie Bedenken, ob diese Kerle ihr auch gefallen würden. Und dann gleich zu zweit. Es dämmerte ihr, dass Annegret sie schon für den Freitag vorbereiten wollte. Den Freitag, an dem ihre bisherigen Phantasien Wirklichkeit und sie ein Objekt für alle anwesenden Männer werden würde - was sie sich ja vorgestellt hatte und was sie so unendlich geil gemacht hatte. Diesen Freitag hatte es aus Zeitgründen auch damals nicht gegeben.

      Es würde ihn auch diesmal aus Zeitgründen nicht geben können, das ahnte sie, nachdem sie den Aktenberg grob überflogen hatte.

      Die neugegründete „SOKO Haut“ würde den „alten Fall mit den neuen Vorzeichen“ bearbeiten. Sie ahnte, dass sie zunächst nur zusammen mit Borhagen die SOKO bilden würde, bis sie das erste Thema „Doktor von Eynim“ recherchiert hätte. Aber verdammt noch mal, warum sollte das alles so vertraulich sein? Es war doch angeblich ein alter Fall!

      Heute war wieder so ein Tag, an dem sie dankbar war, dass der Kaffeeautomat angeschafft worden war. Er war in einer an sich ziemlich nutzlosen Ecke installiert worden. Es gab einen relativ kurzen Weg zu den Treppen und Toiletten und einen Blick auf die Landschaft durch ein schmales Fenster. Alles in allem kein Ort, an dem sich übertrieben viel Kommunikation entwickeln konnte. Wohl auch nicht sollte, obwohl seit den Überlegungen von Steve Jobs auch andere im Toiletten- und Kaffeeautomatenbereich und den Gängen dorthin einen Kristallisationskern für intelligente Inspiration in einem Unternehmen sahen. Bei der Polizei war man noch nicht so weit. Es gab hier auch keine Ecke für Raucher. Raucher wurden

      diskriminiert. Sie mussten in den Innenhof. Helen war das recht.

      Gerade hatte sie es sich wieder mit einer weiteren Tasse Kaffee auf ihrem

      Schreibtischstuhl bequem gemacht und ging die restlichen Dokumente der ungarischen Polizei durch, als Borhagen anrief:

      „Guten Morgen, Helen, ich hoffe ich habe Ihnen nicht den Wochenplan versaut.

      „Doch, durchaus, Chef“, sagte Helen.

      „Hilft alles nichts, Helen, Sie müssen sich heute Nachmittag eine Stunde Zeit nehmen und sich bei mir dieses eine Video anschauen, bevor wir entscheiden, wie wir weiter vorgehen werden. Ich habe mir Gedanken gemacht, die etwas vom Üblichen abgehen und auch anders sind, als ich es Ihnen geschrieben habe. Wir ermitteln zunächst im kleinsten Kreise.“

      Aha, wusste ich doch, dachte Helen und war nicht überrascht.

      „Das heißt, die Arbeitsgruppe besteht zunächst aus Ihnen und mir. Genau wie im laufenden Programm. Eventuell nehmen Sie sich noch einen Helfer Ihrer Wahl dazu. Sie müssen ihn mir aber vorstellen, damit ich weiß, ob wir ihm trauen können. Mein Vorschlag wäre Stefan. Der ist neu und noch nicht richtig integriert, glaube ich. Sie führen die Recherchen alleinverantwortlich. Ich werde Ihnen meine Gründe noch näher erläutern. Es bleibt alles erst einmal nur unter uns beiden. Auch Moneypenny sollte weitgehend von Einzelheiten ausgeklammert werden. Nach der Video-Sitzung werde ich Ihnen einen Cognac servieren müssen. Ich mir auch. Den haben wir danach mit Sicherheit nötig. Ich erwarte Sie gegen 16 Uhr in meinem Büro.“

      „Gegen“ hieß in diesem Zusammenhang für BH immer pünktlich, auch wenn er selbst meistens dann nicht parat war. Dieses Büro lag auf der anderen Seite vom Schreibzimmer ihrer gemeinsamen Sekretärin Miss Moneypenny. Wenn sie und Borhagen ihre Türen geöffnet hatten, konnten sie sich gegenseitig am Schreibtisch beobachten, was so gut wie nie vorkam.

      Borhagen wartete ihre Reaktion nicht ab, sondern legte sofort auf.

      Na ja, dachte Helen, wer so drängt, hat Gründe. Borhagen hat sicher noch etwas in petto. Er hält sicher noch Informationen zurück. Ein angeblich alter Fall und doch so viel Aktivität. Hat er Sorge, dass wir einen Maulwurf haben? Sieht ganz so aus. Diesen Stefan kenne ich noch nicht wirklich. Habe ihn erst zweimal kurz gesehen. Etwas blass. Hat aber ein hübsches Gesicht und breite Schultern. Ein muskulöser Bursche mit schmalen Hüften. Eigentlich ein Typ, den man sich mal genauer vornehmen sollte.

      Sie hatte sich vorgestellt, dass er sie sehr fest halten könnte. Sie würde sehen, was sich da entwickeln würde.

      Helen machte sich einfach weiter an die Lektüre. Bis jetzt hatte sie nur die „harten Fakten“ durchgesehen und versucht, sich das Wichtigste zu merken.

      Helen war bei ihren Kollegen bekannt als Schnell- und Vielleserin, aber auch als Genau-Leserin. Ihre sprachlichen Vorlieben waren neben Deutsch auch Englisch und Französisch. Dazu war sie ein Freund von James Joyce, den sie am liebsten am Ende eines längeren Single Malt genoss. Whisky war nur in Form eines Islay ihre Leidenschaft, also weder „blended“ noch „irish“. JJ kann man eben nur mit dem nötigen Spiegel Alkohol verkraften bzw. verstehen, wie Raul immer zu sagen pflegte.

      Sie fand sich auch durchaus in der französischen Literatur zurecht, die sie im Originaltext lesen konnte. Hier gab es diverse Autoren wie Sartre, Camus und

      De Saint-Exupery neben De Sade und Francois Villon. An de Sade liebte sie die Beschreibungen der sexuellen Ausschweifungen, die eine Sprache fanden, von der die Franzosen sagen, dass man über alles schreiben kann, wenn man es nur auch entsprechend ausdrücken kann. Es musste eben lesbar sein. In besonderer Erinnerung war ihr Justine und der Wüstling de Bandol mit seiner beeindruckenden Anatomie, die Annegret kurz auf die Formel des Glücks brachte: LSD, lang-standfest-dick, oder lang und dick, der Frauen Glück. Freunde waren immer aufs Neue fasziniert von der Fülle erotischer Literatur in ihrer Bücherwand, in der nahezu zu jedem Thema etwas zu finden war.

      Das Telefon klingelte. Es war erneut Borhagen:

      „Habe eben noch mit Budapest telefoniert. Habe noch ein paar Details erfahren, die nicht aus den Unterlagen hervorgehen:

      Biometrische Daten des Gesichtes der Leiche des Maric Hödeny konnten nicht mit dem Passbild verglichen werden, da durch den Unfall der Gesichtsschädel bis zu den Ohren vollständig fehlte. Selbst von den Ohren war nur ein Ohrläppchen teilweise erkennbar. Man hatte sich auch nicht die Mühe gemacht, die fehlenden Teile des Gesichtes am Unfallort zu suchen.“

      Na, dachte Helen, da hätte man auch sie fragen können. Das war doch klar, dass man aus dem Gesicht nicht mehr viel machen konnte. Nur aus dem Ohr.

      „Die Ungarn versteifen sich auf von Eynim. Sie sehen ihn als Drahtzieher im Hintergrund. Ich kann das nicht ganz nachvollziehen, muss den Verdacht der Ungarn jedoch ernst nehmen und sehe in Doktor von Eynim den ersten Anker für die beginnenden Recherchen.“

      Helen sah das auch eher skeptisch.

      „Dann gab es von dem Kollegen noch den Hinweis“, sagte Borhagen, „dass bei der Polizei in Ungarn Korruption mit eindeutigen Beziehungen nach Deutschland vorliege. Hier sei die Abteilung organisiertes Verbrechen mit Schwerpunkt

      Frauenhandel und Drogenhandel betroffen.“

      Aha, dachte Helen, daher weht der Wind. In dem Bereich wurde auch das meiste Geld verdient. Das erschwerte die Arbeit natürlich erheblich.

      „Wissen wir Genaueres?“, fragte Helen nach.

      „Nein, leider nicht. Daher meine plötzliche Vorsicht.“

      Helen wollte ihre Recherche mit Uschi Steinmüller beginnen, die dem Doktor den Wagen überlassen