Magdalena Gräfenberg

Helen und die Häute der Frauen - Erster Teil: SOKO Haut


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teures Geschenk. Das müsste Hintergründe haben. War es eine Gegenleistung? Und wenn, für was?“

      Borhagen war einverstanden, dass Helen eine andere Reihenfolge vorzog.

      Borhagen erzählte dann, dass die Schneiderpuppen erst in einer zweiten Durchsuchung der Schneiderwerkstatt gefunden worden waren.

      „Das muss eine sehr beeindruckende Aktion gewesen sein. Ein riesiges Team der Semmelweiss Universität war zur Spurensicherung angereist.

      Wir wissen ja schon einiges aus der sehr umfangreichen Übersetzung des Protokolls über die Durchsuchung und die Funde in der Schneiderwerkstatt bei Szeged, aber nicht diese Details.

      Istvan Marek heißt der Kollege, fast wie der Dr. Maric Hödeny, schreibt sich mit e und k und spricht sehr gut Deutsch. Moneypenny wird Ihnen noch die Telefonnummer geben, vielleicht brauchen Sie noch Informationen. Schadet jedenfalls nichts, wenn Sie ihn anrufen müssen. Er ist sehr hilfsbereit. Er war sehr interessiert, als er hörte, dass eine Frau bei uns die Recherche leitet.

      Also dieser Marek, der selber mit dabei war, sagte folgendes:

      Spannend ist die geographische Lage der Schneiderwerkstatt. Vielleicht wird das noch wichtig. Dieses Dorf liegt direkt an der Grenze zu Rumänien und der Gebäudekomplex der Schneiderwerkstatt liegt direkt auf der Grenze mit einem weiteren Ausgang nach Rumänien. Oder Eingang von Rumänien, wenn man so will.

      Es war ein zweiter Besuch der Ermittlungsbeamten in der Schneiderwerkstatt notwendig, ausgelöst durch eine Überprüfung des Einsatzes, bei dem schlichtweg, aus welchen Gründen auch immer, ein ganzer Gebäudeteil übersehen worden war, der direkt auf der Grenze zu Rumänien lag. Vielleicht hatte da schon ein Maulwurf seine Finger im Spiel. Eine aufmerksame Beamtin hatte den Einsatzfehler entdeckt. Alles wurde nochmals auf den Kopf gestellt. In einem abgetrennten Gebäudeteil, der - Achtung! - eben auch den erwähnten, direkten Zugang von rumänischer Seite hatte, wurden diverse Schneider-Puppen gefunden, wie man sie zum Zuschneiden von Anzugsjacken, Blazern und Mänteln braucht. Es sah zunächst wie die Ausstellung einer neuen Kollektion aus. Sie standen alle nebeneinander in einem separaten, abgedunkelten und nicht einsehbaren Raum, der wie ein Museum wirkte. Alle mit zum Teil unfertigen, überlangen Damenanzugsjacken dekoriert, sodass man nur den Halsansatz und ein Stück vom Dekolletee sehen konnte. Einige hatten Blusen darunter. Etwas fiel auf, als die Jacken heruntergenommen wurden, sie waren alle aus Leder, weiblich, alle mit unterschiedlich großen Brüsten und rosa eingefärbten Brustwarzen. Das war schon sehr ungewöhnlich, wirkte sehr lebendig.

      Auf die Frage, wer diese Puppen benutzt, war die Antwort der befragten Mitarbeiterinnen: Keiner. Niemand hatte sie je vorher gesehen, geschweige denn mit ihnen gearbeitet. Niemand hatte diese Räume je betreten. Jetzt wurden sie genauer untersucht.

      Ich wiederhole das so ausführlich, weil der Kollege Marek mir das sehr emotional eben am Telefon geschildert hat. Die waren alle ziemlich mit den Nerven fertig. Er hat mir zu seinem Bericht auch einige Fotos über WhatsApp geschickt. Details von den Puppen. Zeige ich ihnen, wenn wir uns den Film anschauen. Ober besser leite ich sie Ihnen gleich weiter. Es sind beeindruckende Details. Die Puppen hatten neben den typischen Brustwarzen, die bei jeder Puppe anders aussahen, auch Beinansätze bis Mitte Oberschenkel und, wie festgestellt wurde, alle mit weiblichen Genitalien. Alle waren in der Mitte der Vorderseite mit einer Naht vom Halsansatz bis zur noch vorhandenen Klitoris zusammengenäht. Von da aus teilte sich die Naht und lief beidseits zum Ende an der Vorderseite der Oberschenkel. Dahinter die Schamlippen und der angedeutete Introitus. Der Anus war auch noch vorhanden. Eine weitere Naht lief vom Halsansatz seitlich bis über die Schultern und weiter bis zum Ende des Oberarmes beidseits. Die Armansätze reichten bei allen bis zur Mitte des Oberarmes. Alle Puppen trugen Piercingringe in den Mamillen und in der Klitoris. Manche auch am Bauchnabel und am Steißbein. Einige der „Leichenhaut“-Puppen waren darüber hinaus irgendwo tätowiert. Die Tätowierungen waren teilweise farbig, rot, grün, blau, schwarz. Alle Häute bis auf eine waren hellgrau wie Elefantenhaut gegerbt. Die Brüste waren sehr individuell, unterschiedlich groß, wie auch die Brustwarzen, die zart rosa eingefärbt schienen und eine gänsehauterzeugende Wirkung auf die Betrachter hatten. Die Präparationen waren so lebensnah, dass es die Untersucher erschütterte. Der grausige Verdacht erfasste alle Beamten. Die Individualität jeder einzelnen Puppe war so überzeugend, dass jeder der beteiligten Beamten sofort den gleichen Gedanken entwickelte und an menschliche Haut dachte. Diese Vorstellung wurde so unerträglich, dass zur Spurensicherung weitere professionelle Verstärkung angefordert wurde. Eine Abteilung der Zollfahndung, die Erfahrung mit menschlichen Häuten hat, die als Lampenschirme verarbeitet aus China kamen, wurde eingeschaltet. Der Verdacht bestätigte sich schnell. Es war weibliche, menschliche Haut. Das Gerichtsmedizinische Institut der Semmelweiss Universität bestätigte in ihrem Gutachten das Ergebnis der Zollfahndung.“

      Ganz schön gruselig“, meinte Borhagen, „nichts für schwache Gemüter.“

      Helen konnte sich in die Situation der Ermittlungsbeamten versetzen.

      Borhagen berichtete weiter:

      „Sie, die Puppen, die Häute oder die Frauen oder die Leichen, wie soll ich sagen, standen, eine jede, auf einer Stange mit großem, hölzernem Fuß. Die tragende hölzerne Stange steckte zwischen den weit geöffneten und sorgfältig präparierten Schamlippen, die sie quasi umschlossen, als ob hier ein Phallus symbolisiert werden sollte oder eine – oder die „Pfählung“. Man fand sechs Puppen und eine, die wohl noch neu war und erst angezogen werden sollte. Die letzte hatte eine helle, fast weiße Haut. Die entsprechenden Kleider lagen daneben auf einem Stuhl. Die Recherchen ergaben, dass wohl nur Maric Zugang zu diesem Raum hatte. Er wurde versiegelt, die Puppen fotographisch erfasst, dokumentiert und ins gerichtsmedizinische Institut geliefert.

      Marek hat sich dann genauer über die Tätowierung ausgelassen. Die „neue“ Puppe, die eine ganz normale, fast weiße Haut hatte, nicht so hellgrau gegerbt war, fiel weiter durch besondere Tätowierungen auf: Ein Skorpion, dessen gestachelter Schwanz sich rund um den Anus schlang, der Körper zur Vagina gerichtet und die geöffneten Zangen rechts und links der Schamlippen. Weiterhin eine Schlange eng um den Hof der linken Brustwarze geschlungen, wobei der Kopf mit züngelndem Maul nach oben und rechts gerichtet war, das Schwanzende mit Klapper nach links außen drohte. Die rechte Mamille war von einer Klapperschlange eng umschlungen, die sich nach mexikanischer Art in die Klapper biss. Ein großer, verchromter Piercingring war durch jede Mamille gezogen. Ein weiterer Ring gleicher Machart war unter der Klitoris hindurchgezogen. Die Schamlippen waren, wie die Brustwarzen, rot eingefärbt. Ein weiterer Ring war in der Mitte der Raute über dem Steißbein. Wie hieß diese Raute nochmal. Marek hatte es gesagt. Ich hab`s vergessen.“

      „Michaelis`sche Raute“, sagte Helen

      „Richtig, das war der Name. Man recherchierte, wer die Präparationen hergestellt hatte. Es gibt in Ungarn eine Menge guter Präparatoren. Keiner kam in Frage. Wer war der Lieferant, wer der direkte Auftraggeber, wer hatte die Häute dorthin gebracht, wer sie gegerbt, im Wissen um die Herkunft? Kaum vorstellbar, dass jemand nicht erkannte, was er präparierte. Aber in Afrika ist alles möglich. Oder? Was meinst Du, Helen?“

      „Keine Ahnung. War noch nicht in Afrika. Habe nur gehört, dass dort so manches möglich ist. Gegen Geld geht sicher viel.“

      BH fuhr fort mit dem, was Marek erzählt hatte. „Die Arbeiter und Arbeiterinnen konnten nur sagen, Lieferungen in Empfang genommen zu haben, die in großen Kisten ankamen, geliefert durch ein Subunternehmen der ungarischen Post. Die Lieferung war sicher mit Maric abgesprochen, denn er war zum Zeitpunkt der Lieferung immer anwesend, nahm sie in Empfang und brachte sie in diesen Raum.

      Dann meinte eine der Arbeiterinnen, einmal, vor Monaten, mitbekommen zu haben, dass die Kisten aus Afrika, aus Sambia kämen. Sie dachte an Jagdtrophäen, da Maric Jäger gewesen sei. Er habe ja auch ein Jagdgebiet bei Stuhlweißenburg, Szegedfehervar. Das wisse sie sicher. Er habe auch häufig ausländische Jagdgäste.

      Auf Grund dieses Hinweises wurde auch dort recherchiert. Diesen Bericht wollte der Kollege Marek noch faxen.“

      „Da bin ich gespannt.“

      „Ich auch. Soweit der Bericht von Istvan Marek“, sagte