Ursula Mahr

Alt, aber herrlich mutig


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hast du deinen nächsten Arzttermin?"

      "Ich soll nächste Woche in die Charité in Berlin. Dort bleibe ich dann für diverse Untersuchungen ein paar Tage."

      "Mehrere Tage? Und ganz nach Berlin?" Sie war beunruhigt. "Bisher musstest du noch nie länger im Krankenhaus bleiben. Hoffentlich finden sie bald etwas Konkretes. Ich meine", fügte sie entschuldigend hinzu, "eine konkrete Diagnose, damit sie endlich punktgenau behandeln können. Wissen die anderen schon davon?"

      Inge schüttelte den Kopf und seufzte: "Das würde doch auch nichts ändern."

      "Und wer fährt dich?"

      "Maja kommt", erwiderte Inge knapp.

      Die ungeliebte Maja, ging es Amelie durch den Kopf. Aber ihre Hilfe nimmt sie trotzdem in Anspruch.

      Als die beiden das Wohnzimmer betraten, war keiner da. Amelie ging zur Küche hinüber, um für Inge ein Brötchen zu buttern, das diese jedoch kaum anrührte. Sie hatte abgenommen in letzter Zeit und ihre Haltung hatte sich verändert. Ihr Rücken war unnatürlich krumm und immer wieder fiel ihr Kopf auf die Brust, als hätte sie nicht die Kraft ihn aufrecht zu halten.

      Inges Krankheit

      Als Inge in Berlin im Krankenhaus war, setzten sich die übrigen fünf zusammen, um über dieses Problem zu sprechen, welches sie alle zusammen ziemlich hilflos machte. Anne knetete ihre Hände und murmelte: "Was hat Inge bloß. Nichtsdestotrotz müssen wir uns etwas überlegen, denn sie kann immer weniger allein machen, geschweige denn bei irgendetwas helfen. Und wir selbst sind auch nicht mehr die Jüngsten. Wir brauchen einfach Hilfe. Jemand, der täglich kommt und ihr beim Waschen, Anziehen und so weiter hilft."

      "Und sie auf die Toilette bringt", brachte es Ursa auf den Punkt und ihr Gesicht verzog sich vor Ekel. "Ich meine, sie ist zwar unsere Freundin, aber ich bin keine Krankenschwester. Und mit ihren Toilettengängen will ich nichts zu tun haben", fügte sie rüde hinzu. "Was ist?" rief sie ungehalten, als sie die entgeisterten Gesichter der anderen sah.

      "Wie kannst du nur so reden", empörte sich Amelie aufgebracht. "Sie ist unsere Freundin, und nicht nur in guten Zeiten."

      Sofort meldete sich Ursas schlechtes Gewissen. Das erste richtige Problem tauchte auf, und schon versagte sie. Wütend über diese ganze unerfreuliche Situation, aber hauptsächlich auf sich selbst, sprang sie auf, rief "Trigger, komm!" und stürmte aus dem Haus. Mit weit ausholenden Schritten eilte sie zum Strand hinunter. Trigger lief ihr voraus. Erst als sie direkt am Wasser stand, beruhigte sie sich. Tief atmete sie ein und genoss die frische, salzige Luft. Die war anders als der Geruch von Inge in letzter Zeit. Sie roch. Sie roch nach Krankheit. Nach schlimmer Krankheit und das machte ihr verteufelte Angst. Trigger kam zu ihr und rieb seine Schnauze an ihrer Hand, so dass sie sich niederkniete, ihren Hund umarmte und sich Trost bei ihm holte.

      Inzwischen redeten die anderen weiter über Inge und ihre mysteriöse Krankheit.

      "Im Grunde hat Ursa doch recht. Ich habe auch keine Lust und auch nicht unbedingt die Kraft, Inge in die Badewanne zu hieven und sie auf die Toilette zu begleiten", sagte Lisa leise.

      "Ich würde das machen", rief Amelie aufgebracht, doch Lisa lachte kurz auf. "Du?" schnaubte sie erbarmungslos. "Du gehst am Stock und brauchst bald selbst Hilfe. Woher willst du denn die Kraft dafür nehmen?"

      "Du brauchst mich jetzt nicht zu beleidigen", setzte sich Amelie empört zur Wehr.

      "Entschuldigung, war nicht so gemeint", sagte Lisa zerknirscht. "Aber dieses Problem ist doch um einiges größer, als wir es uns haben vorstellen können."

      Anne meldete sich zu Wort: "Fakt ist doch, dass wir, dass Inge Hilfe braucht. Und das so schnell wie möglich. Wenn Inge aus Berlin zurück ist, werden wir das in Angriff nehmen." Mit diesem Zwischenresultat waren erst einmal alle einverstanden.

      Der Hühnerstall war fertig, aber noch keine Hühner eingezogen, da las Ursa in der regionalen Zeitung, dass südlich von Hamburg ein Geflügelmarkt stattfinden sollte. "Das ist doch genau das Richtige für uns", rief sie begeistert. Doch Amelie war mit ihren Gedanken bei Inge, die immer noch im Krankenhaus war, aber heute oder morgen wieder nach Hause kommen sollte. Sie hatten es sich so schön vorgestellt, ihren Lebensabend. Aber eigentlich hätten sie damit rechnen müssen, dass die eine oder andere krank werden würde. Doch eine so schlimme Krankheit ohne offensichtliche Diagnose? Ursa hatte eine Krebserkrankung überwunden. Amelie selbst hatte COPD, eine Lungenerkrankung, bei der sich die Bronchien verengen, ja sogar verkrampfen und dadurch manchmal schwere Atemnot auftrat. Außerdem benutzte sie nach einer missglückten Bandscheiben-OP eine Gehhilfe. Die übrigen Frauen litten unter den fast normalen Zipperlein, die man eben im Alter aushalten musste. Alle kamen mehr oder weniger gut damit zurecht. Selbst Inge klagte kaum. Das Schlimme war nur, dass ihre Krankheit noch keinen Namen hatte und somit nicht richtig behandelbar war.

      Ursa war fertig mit dem Durchblättern der Zeitung. Schwungvoll erhob sie sich, ließ die Zeitung auf den Tisch fallen und meinte: "Ich frag mal Markus, ob wir zu dieser Geflügelschau fahren und uns mal umschauen wollen. Willst du mit?"

      Amelie schüttelte den Kopf. Sie war immer noch in Gedanken bei Inge. "Nein, ich bleibe hier und warte auf Inge. Vielleicht kommt sie ja heute Nachmittag zurück."

      Ursa wollte diese schrecklichen Dinge nicht so sehr an sich heranlassen. Sie wollte sich lieber um das kümmern, was für sie alle wichtig war, wozu sie überhaupt hier waren: den Aufbau des Hofes. Sie schlenderte hinüber zum Weidezaun, an dem Markus werkelte. "Wäre es schlimm, wenn Sie Ihre Arbeit unterbrechen würden?" fragte sie, legte ihre Unterarme auf den Zaun und schaute blinzelnd in die Ferne.

      "Nein", antwortete Markus, unterbrach seine Arbeit und schaute sie fragend an.

      "Südlich von Hamburg in einem kleinen Dorf findet eine Geflügelschau und ein kleiner Viehmarkt statt. Ich wollte mich mal dort ein bisschen umsehen."

      "Und ich soll mitkommen?"

      "Genau", strahlte sie ihn an. "Vielleicht können wir zuerst zum Hof Ihres Bruders fahren und ein größeres Auto ausleihen, damit wir eventuell gekaufte Tiere sofort transportieren können." Sie grinste ihn an. "Der Hühnerstall wirkt so verwaist."

      Markus schien unmerklich zu zögern, doch dann war er einverstanden. Er mochte Ursas etwas burschikose Art und ging gern darauf ein: "Na, dann mal los." Ohne den anderen Bescheid zu geben, fuhren sie in Lisas altem Auto zunächst zum Kröger-Hof, wo sie den fahrbaren Untersatz wechseln wollten.

      Der Viehmarkt war recht klein. Großvieh wie Pferde und Kühe gab es kaum, dafür unzählige Schafe und einige Ziegen. Das kam Ursas Wünschen entgegen, denn vor zu großen Tieren hatten die Frauen ein bisschen Angst, Großstadtkinder eben, und die wollten sie eher nicht auf dem Hof haben. Und Kühe schon gar nicht, denn keine von ihnen konnte mAnitan, schon gar nicht wollten sie zweimal am Tag diese Arbeit erledigen müssen. Das erwähnte sie auch Markus gegenüber, als sie an den wenigen Kühen vorbeischlenderten, aber der schüttelte lachend den Kopf. "Ihr habt aber auch wirklich keine Ahnung. Eine Kuh gibt nur Milch, wenn sie ein Kalb geboren hat."

      "Wirklich? Das würde ja bedeuten, dass eine Milchkuh ihr Leben lang jedes Jahr ein Kalb zur Welt bringen muss, damit wir Menschen Milch, Käse und Joghurt zur Verfügung haben!" staunte Ursa.

      "Richtig", meinte Markus ernst. "Und das Kalb wird ihr sofort weggenommen und in einen kleinen Verschlag gesperrt. Es kann nicht hüpfen und springen und dadurch seine Muskeln stärken. Warum, meinst du, können Kühe oftmals so schlecht laufen? Und wenn die Mutterkuh zu alt für ein neues Kalb wird, aber eigentlich sonst noch völlig gesund ist, wird sie geschlachtet. Dann hat sie ausgedient. Für Kühe gibt es keinen Gnadenhof."

      Ursa schluckte. Das hatte sie nicht gewusst. Auch wenn die Kuh noch gesund war, aber keine oder nur noch wenig Milch gab, wurde sie einfach getötet. Sofort beschloss sie, auch Kühe zu retten. Weideland hatten sie schließlich genug.

      Doch zunächst fiel ihr eine Ziege auf, weiß mit großen kaffeebraunen Flecken, die gerade an einen Zaun herangeführt und dort mit sehr kurzem Strick angebunden wurde, so