sie ihn.
Der Mann schaute sie verständnislos an. "Wie bitte?" Er schaute sie von oben bis unten an, und amüsiert fügte er hinzu: "Bist wohl aus der Stadt, min Deern, und nur zu Besuch hier."
Das ärgerte Ursa. Sah man ihr wirklich sofort an, dass sie Städterin war und keine Ahnung hatte? "Okay, keinen Namen" sagte sie unwirsch. "Wie viel kostet sie?" Der Bauer nannte seinen Preis, schien sich aber immer noch zu amüsieren.
"Das ist zuviel", murmelte Markus, der plötzlich hinter ihr stand. Lauter sagte er: "Na, Hannes, du willst meine Chefin doch nicht übervorteilen." Er kannte den Bauern. Mit seinen Kleintieren stand er öfter auf kleinen Viehmärkten.
"Ach, das ist deine Chefin?" prustete der hinter vorgehaltener Hand.
"Eine meiner Chefinnen."
"Sind die alle so? Ich meine, soo städterisch?" Er schien sich köstlich zu amüsieren.
Ursa fand das gar nicht lustig. "Und, Meister, wollen Sie Ihre Ziege nun verkaufen oder nicht?" fragte sie verärgert.
"Sie sollten vielleicht die andere nehmen, die ist kräftiger." Er konnte das Lachen kaum unterdrücken.
Ursa beugte sich zur zweiten Ziege hinunter, die der Bauer anzubieten hatte, strich ihr leicht über den Rücken und schien zu überlegen. "Hm, im Grunde ist dieses Tiere doch ebenso wenig wert. Die taugt doch nur noch für den Schlachter. Wie ist der Schlachtpreis?" Sie drehte sich zu Markus um und zwinkerte ihm zu.
"Nicht halb so viel wie er verlangt", ging Markus auf das Spiel ein und nickte in Richtung des Bauern.
"Okay", sagte Ursa forsch und richtete sich wieder auf, "ich lege noch einen Zehner drauf und sie geben mir die zweite Ziege dazu, denn die sieht doch ziemlich mickrig aus." Sie war jetzt nicht mehr zu bremsen.
Das Lachen verging dem Bauern und er schaute Markus beinahe Hilfe suchend mit großen Augen an. Doch der grinste jetzt und zog stumm in gespieltem Unverständnis die Schultern hoch. "Ja, also", stammelte der Bauer völlig überrumpelt, doch Ursa unterbrach ihn rüde: "Entweder jetzt sofort die Hand drauf", sie blickte dem Bauern direkt in die Augen, "oder ich kaufe keine und das Geschäft kommt nicht zustande. Also?" drängte sie und hielt ihm die Hand hin.
Verdattert schlug der Bauer ein. Er wusste, diese beiden Ziegen hätte er nur mit Glück an jemand anderen verkaufen können oder wieder mit nach Hause nehmen müssen. Sofort band Ursa beide Ziegen los und machte beim Weggehen Markus ein Zeichen, dass er bezahlen sollte. Er holte das Geld aus seiner Hosentasche, reichte es dem Bauern und meinte grinsend: "Städterin halt, Hannes."
Nachdem sie beide Ziegen auf dem Stroh der Ladefläche des Trucks verstaut und angebunden hatten, meinte Ursa lachend: "Eigentlich wollten wir ja Hühner kaufen."
"Können wir doch", meinte Markus munter. Ihm gefiel ihre Art.
An Hühnern gab es einige Rassen zur Auswahl. Ursa ging davon aus, dass alle Rassen mehr oder weniger legefreudig sein würden - viele Eier brauchten sie ja eh nicht -, deshalb achtete sie mehr auf das Aussehen. Markus mischte sich nicht weiter ein, denn schließlich sollte mit den Hühnern kein Geld verdient werden.
"Die sehen doch niedlich aus", sagte Ursa und zeigte auf einen Käfig, in dem schwarz-weiß gesprenkelte Hühner hockten, dicht an dicht.
"Das sind Wyandotten", erklärte Markus.
"Was für ein komischer Name", lachte Ursa, "dann können wir ja gleich eines Dotty nennen."
"Sie wollen den Hühnern auch Namen geben?"
"Natürlich", antwortete sie aufgeräumt. "Es sind ja nur sieben." Sie schlenderten von Anbieter zu Anbieter und Ursa staunte, wie viele Rassen es gab mit so unterschiedlichen Namen wie Deutsches Lachshuhn, Brügger Kämpfer, Ostfriesische Möwen, aber auch einfach Hamburger oder Italiener. Ursa konnte nicht verhehlen, dass sie nur wegen des Rassenamens einen schneeweißen Italiener als Hahn haben wollte. Die weiblichen Hühner suchte sie nach Farbschlägen aus: es gab welche in goldlack, silbersprenkel, blau-gebändert, gelb-sperber, weiß-schwarz gescheckt und rost-rebhuhnfarbig. Nur bei einer Rasse riet Markus ab, da dieses Huhn zu einer Kampfhuhnrasse gehörte und sich mit den anderen schlecht vertragen würde. Natürlich ließ sich Ursa durch seine Sachkenntnis überzeugen und ließ von diesem Kauf ab. Ein großer Transportkäfig wurde gleich dazu gekauft.
"Jetzt müssen wir uns aber beeilen um nach Hause zu kommen, damit die Tiere nicht so beengt sein müssen", sagte Ursa besorgt.
Sie fuhren gerade in den Hof ein, da sahen sie das Auto von Maja stehen, die gerade ihrer Mutter beim Aussteigen half. Ursa ging hinüber und überließ es Markus, die Tiere abzuladen. "Inge, wie geht es dir?" fragte sie und führte sie Richtung Haus. Maja folgte stumm mit der Tasche. Die Tür öffnete sich und Anne und Amelie standen dort mit fragenden Gesichtern. Lisa wartete in der Küche und setzte sofort Kaffeewasser auf.
"Wo ist Anita?" fragte Inge sogleich. "Ich muss euch nämlich etwas mitteilen."
"Anita ist noch in Hamburg. Du weißt doch, ihr Freund....."
Inge nickte, seufzte und ließ sich auf einen Sessel nieder. "Also, um es kurz zu machen - ich habe ALS."
"ALS? Was ist das?" fragte Lisa, die gerade mit einem Tablett, auf dem Kaffeebecher und eine Kanne standen, an den Couchtisch kam und sich ebenfalls setzte.
"Also, die Ärzte wollten zunächst nicht so richtig mit der Sprache herausrücken, aber ich habe keine Ruhe gegeben, bis sie es doch getan haben. Ich habe nur soviel verstanden, dass diese Krankheit das Nervensystem zerstört und nach und nach die Muskulatur des gesamten Körpers ausfällt, weil die Verbindung zwischen Nervenzellen und Muskulatur nicht mehr funktioniert."
"Das ist ja furchtbar", murmelte Anne. Sie mochte sich das Ausmaß dieser Krankheit gar nicht ausmalen.
"Die gesamte Muskulatur? Bedeutet das, dass du irgendwann im Rollstuhl landest?" fragte Amelie ängstlich.
"Auszuschließen ist das nicht", antwortete Inge mit schleppender Stimme, ein Symptom dieser Krankheit.
"Und warum haben die das nicht schon eher in den unzähligen Kliniken, in denen du bereits warst, festgestellt und haben etwas dagegen unternommen?" fragte Lisa erschüttert über diese Hiobsbotschaft.
"Weil meist Männer diese Krankheit bekommen und sie in der Regel in den Beinen beginnt. Deshalb sind die Ärzte überhaupt nicht auf die Idee gekommen, diese Krankheit in Erwägung zu ziehen."
"Deshalb konntest du auch in letzter Zeit deine Arme so schlecht heben und nichts richtig festhalten", murmelte Ursa nachdenklich.
"Ach Inge!" Anne beugte sich über den Tisch und griff mit Tränen in den Augen mit beiden Händen nach deren Hand und drückte sie. Amelie, die direkt neben Inge saß, legte ihr den Kopf auf die Schulter. Sie war total erschüttert und konnte nichts sagen.
"Was machen wir denn nun?" fragte Lisa. "Was können wir für dich tun?"
Inge zuckte traurig lächelnd die Schultern. "Gar nichts. Man kann diese Krankheit nicht aufhalten. Ich muss einfach damit zurecht kommen. Wenn ihr nur dafür Verständnis habt, dass ich bei einigen Dingen nicht mehr so helfen kann."
Im Nu wirbelten alle Stimmen durcheinander und überschlugen sich beinahe. "Natürlich helfen wir dir, wo wir nur können." Anne drückte noch einmal Inges Hand, die sie bisher noch nicht losgelassen hatte. "Ja natürlich". "Na klar". Zustimmung von allen, und Inge lächelte dankbar. "Jetzt würde ich mich gern ein bisschen hinlegen. Ich bin müde."
"Dann fahr ich mal wieder", meldete sich Maja leise. Sie hatte die ganze Zeit kein Wort gesagt und stand jetzt auf. Amelie begleitete Inge in ihr Zimmer, um ihr beim Auskleiden zu helfen. Anne, Lisa und Ursa saßen noch wie betäubt am Tisch.
"Wie wird das bloß werden, wenn die Muskulatur noch weiter nachlässt und sie nicht mehr richtig schlucken kann. Kann sie dann überhaupt noch normale Nahrung zu sich nehmen?" fragte Anne, ohne eine von ihnen direkt anzusprechen.
"Wir werden das Essen für sie pürieren müssen", überlegte Ursa nachdenklich.