Madeleine Abides

Ein gefährliches Spiel


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klang, als hätten wir schon die ganze Zeit darüber gesprochen gehabt, was aber keineswegs der Fall war. So brauchte ich denn auch eine Weile, um mich von meiner Verblüffung halbwegs zu erholen. Dann erwiderte ich hastig:

      „Natürlich, das ist … schon wichtig.“

      „Ich würde mich keinem Mann jemals hingeben, solange ich nicht mit ihm verheiratet bin.“

      Ich musste den Fahrer nicht ansehen, um zu wissen, dass er die Ohren auf Aufnahme geschaltet hatte. Ums Haar wäre mir trotzdem die Frage herausgerutscht, ob sie selbst ihrem hohen Anspruch überhaupt noch gerecht werden konnte. Denn wenn das der Fall war, dann würde sie in Kürze zur ersten Jungfrau werden, die ich geknackt hatte.

      Als ich in Gedanken schon begann, mir das ein wenig auszumalen, fing ich ihren Blick auf, der ebenso verschmitzt wie verschwörerisch war. Und ich sah, dass sie mir zuzwinkerte, während sie sich schelmisch lächelnd auf die Unterlippe biss.

      Jetzt erst begriff ich: Sie wollte den Kerl aufziehen, dem mit Sicherheit nicht entgangen war, welch ein Klasseweib er da gerade aufgeladen hatte. Das Aufziehen ging natürlich am besten, wenn ich möglichst überzeugend mitmachte. Also holte ich tief Luft und sagte:

      „Manche Männer sind aber auch zu unverschämt. Sie denken immer nur an sich.“

      „Ja, nicht wahr“, erwiderte sie mit der Originalstimme des heiligen Unschuldslämmchens. „Dabei ist es doch wundervoll, sich enthaltsam füreinander aufzusparen und dann gemeinsam das erste Mal die Wonnen der Liebe zu erleben.“

      Das musste sie aus einem Groschenroman haben, und mir fiel kein Klischee ein, das es auch nur ansatzweise damit aufnehmen konnte. Also sagte ich nur phantasielos:

      „Ist ja auch viel schöner.“

      „Natürlich muss man sich beherrschen können“, dozierte sie weiter, „gerade der Mann. Er ist es, der seine Triebe im Griff haben muss. Aber das ist leicht, wenn er weiß, dass er nach Jahren des Werbens in der Hochzeitsnacht seine jungfräuliche Braut überallhin küssen darf.“

      Nun übertrieb sie wirklich. Aber der Fahrer stieg darauf ein. Seine Miene spiegelte Unglauben wider, vielleicht sogar Entsetzen, obwohl er scheinheilig vorgab, von Geburt an vollständig taub zu sein und nichts anderes in der Welt wahrzunehmen als seine Fahrerei und den Weg, den er gerade einzuschlagen hatte.

      „Manche Männer“, fuhr sie fort, „sind heutzutage so unkeusch, dass sie ein Mädchen schon am ersten Abend küssen wollen. Das ist die Verderbnis der ungezügelten Fleischeslust!“

      Der Fahrer sah auffallend starr geradeaus. Offenbar war er im Begriff, loszuprusten. Was er mittlerweile über mich dachte, hätte ich erst gar nicht erfahren wollen.

      Dabei konnte er noch nicht einmal sehen, wie entzückend sie jetzt ihre Schultern hin und her warf, um mir herausfordernd die vom Mantel halb verdeckte, wippende Pracht ihres Klassebusens zu präsentieren. Grinsend, doch in umso ernsterem Tonfall fügte sie hinzu:

      „Die Frau muss dem Mann von Anfang an jede körperliche Annäherung untersagen. Das lehrt ihn Disziplin und die nötige Selbstbeherrschung. Gewährt sie ihm auch nur die kleinste Vergünstigung, so wird er bald immer mehr von ihr fordern, bis er ihren hehren Leib am Ende monatlich zu besudeln trachtet.“

      „Davon habe ich auch schon gehört“, warf ich ein, um diesen aberwitzigen Vortrag wenigstens für eine Sekunde zu unterbrechen. „Aber natürlich mag ich etwas so Ungeheuerliches gar nicht glauben.“

      „Nur wenn die Frau den Mann von Beginn an unerbittlich zur Selbstkasteiung anhält, wird er lernen, seine infernalische Triebhaftigkeit zu bezwingen und ihr jenen Respekt zu erweisen, den er ihr als Überbringerin des Lebens schuldet.“

      Sie war wie ein Tonband aus der Hölle. Wo hatte sie nur all diesen verqueren Schwachsinn aufgeschnappt?

      „Trotzdem gestatten manche Frauen, die ich kenne, Männern unter bestimmten Umständen den Handkuss.“

      „Nein, wirklich?“, erwiderte ich.

      „Doch! Und stellen Sie sich vor: sogar wenn sie mit einem Mann nicht verheiratet sind. Also ich würde so etwas niemals dulden. Deshalb bin ich ja so froh, dass ich Sie kennengelernt habe. Sie wissen, dass Sie einem sittsamen Mädchen den gebotenen Respekt zu erweisen haben, damit es seine Reinheit bis zur Hochzeitsnacht bewahren kann. Nicht wahr?“

      „Aber natürlich, wofür halten Sie mich denn?“, gab ich zurück. „Ein Handkuss, … also … das wäre doch wollüstig!“

      So froh ich war, dass mir auch einmal ein knackiges Wort eingefallen war, so unangenehm traf es mich, dass ich mich damit vor dem Fahrer wie ein kastrierter Idiot gebärden musste. Aber ich wollte ihr Spiel lieber nicht ruinieren. Sie hatte sich so leidenschaftlich hineingesteigert, dass sie jetzt die richtigen Stichworte von mir schon regelrecht zu erwarten schien. Also gab ich ihr lieber, was sie wollte, um sie nicht ausgerechnet jetzt noch zu verärgern. Es waren nicht einmal mehr zwei Kilometer zu mir nach Hause.

      Aber wir hielten gerade an einer roten Ampel. Und sie hatte, wie es schien, nach wie vor nicht genug:

      „Eine verheiratete Frau kann mit ihrem Ehegemahl Sex haben, wann immer sie will. Der Mann hat nur dann Sex, wenn die Frau es erlaubt.“

      Wieder biss sie sich schelmisch auf die Lippen, wieder wackelte sie aufreizend mit ihrem grandiosen Dekolleté.

      War das etwa schon als halbe Erlaubnis aufzufassen?

      Schon vor der Hochzeit?

      Dann schließlich sagte sie, den Kopf leicht in den Nacken legend:

      „Keine Frau von Anstand darf sich ihrem Gatten jemals im Zustand der Nacktheit zeigen. Die Beiwohnung darf ausschließlich im ehelichen Bett stattfinden. Selbstverständlich bei völliger Dunkelheit.“

      „Da kann man sich beim Küssen aber heftig die Nasen stoßen“, gab ich belustigt zu bedenken.

      „Jeder Kuss außer dem einfachen Begrüßungskuss auf die Wange ist natürlich ebenfalls verboten. Ganz besonders der Zungenkuss!“ Sie leckte sich vielsagend über ihre schimmernden Lippen: „Sonst würde der Mann sehr schnell jede Achtung vor seiner ihm angetrauten Gemahlin verlieren.“

      „Das wollte ich damit …“

      „Der Mann darf der Ehefrau teure Geschenke machen, um von ihr die Erlaubnis zur Beiwohnung zu erbitten. Aber er muss geduldig warten, ob sein Werben erhört wird. Nur wenn sie die Gnade hat, ihm die Beiwohnung ausdrücklich zu gestatten, darf er sich ihr einmalig nähern. Es wird für ihn eine hohe Ehre sein, und von der Erinnerung daran wird er sehr lange ehrfurchtsvoll zehren können. Deshalb wird er sie nach vollzogener Beiwohnung natürlich nochmals fürstlich beschenken.“

      Mir blieb allmählich die Luft weg und mein Mund wollte bei so viel gequirltem Unsinn unbedingt offen bleiben. Ich musste ihn willentlich schließen, um nicht endgültig das Bild eines Vollidioten abzugeben.

      „Jede Wollust ist verderblich“, rief mein blonder Engel jetzt leidenschaftlich aus, „die körperliche Vereinigung muss allein dem Zeugen der Kinderschar vorbehalten sein.“

      „Gewiss“, pflichtete ich hölzern bei. „Welcher Mann könnte schon eine Frau respektieren, die sich ihm zu einem anderen Zweck als dem der Zeugung hingibt?“

      Jetzt strahlte sie über das ganze Gesicht. Offenbar hatte ich endlich den richtigen Ton getroffen.

      „Oh, ich bin so glücklich, dass Sie den wahren Platz des Mannes kennen. Ich könnte niemals beruhigt unter Ihrem Dach schlafen, wenn ich fürchten müsste, Sie könnten sich an meiner Unschuld vergehen.“

      Sie konnte sich das Lachen jetzt kaum noch verbeißen, und so war es eine glückliche Fügung, dass wir fast am Ziel waren. Der Fahrer hatte trotz aller Ablenkung die richtige Ausfallstraße erwischt, und nun musste ich ihm nur noch zeigen, wo der Waldweg abging, an dem Tante das Haus hatte errichten lassen. Er setzte uns ab, und von da an war ich mit meinem bezaubernden Engel allein.