Madeleine Abides

Ein gefährliches Spiel


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verschwunden. Auf dem Weg zum Haus hatten wir zuerst noch viel gelacht darüber, wie wir den Fahrer aufgezogen hatten und was er nun wohl seinen Kollegen erzählen würde. Aber dann hatte ich ihre Sachen reinschaffen müssen, und statt mir wieder alles auf einmal aufzuladen, war ich lieber gleich zweimal gelaufen, während sie schon mal ins Haus gegangen war, um sich, wie sie gesagt hatte, „ein wenig umzusehen“.

      Endgültig zurück im Haus konnte ich sie erst einmal nicht finden. Zunächst suchte ich sie in den unteren Zimmern, dann rief ich nach ihr.

      Keine Antwort.

      Ich suchte sie weiter, rief noch einmal nach ihr.

      Wieder, richtig: keine Antwort.

      Erst nach einer ziemlichen Weile kam sie die Treppe heruntergeschwebt, und sie sah wundervoll aus in diesem kurzen Rock mit diesen ellenlangen studentischen Beinen. Allerdings verlor sie kein einziges Wort darüber, warum es so lange gedauert, was sie schon so alles besichtigt oder warum sie auf meine Rufe nicht geantwortet hatte.

      Aus ihrer Sicht gab es wohl nichts zu sagen.

      Stattdessen streifte sie den Mantel ab, faltete ihn beiläufig zusammen und legte ihn mir im Vorübergehen auf den Arm:

      „Hängst du ihn bitte gleich über einen Bügel, er ist sehr empfindlich.“

      Auf eine Antwort wartete sie erst gar nicht, sondern warf nacheinander prüfende Blicke in die offenen Türen zum Wäscheraum und zur Küche.

      „Da ist grade nicht aufgeräumt“, sagte ich entschuldigend, weil ich ihren missmutigen Blick aufschnappte.

      „Das sehe ich“, erwiderte sie nur.

      Na ja, es war wohl wirklich nicht die intelligenteste Bemerkung des Tages gewesen, die mir da über die Lippen gekommen war. Beim nächsten Mal sollte ich es besser machen.

      „Hast du auch nichts vergessen“, fragte sie argwöhnisch, indem sie ungeduldig mit kreisendem Zeigefinger auf die Ansammlung ihres Gepäcks wies. Es war drollig anzusehen, wie ihr Kopf unwillkürlich die Kreisbewegung des Fingers aufnahm. Doch ich verkniff mir eine launige Bemerkung darüber, weil ich nicht sicher war, wie sie darauf reagiert hätte.

      „Nein, nein“, erwiderte ich eifrig, „ich hab extra zweimal nachgesehen.“

      „Das war klug von dir“, antwortete sie milde lächelnd. „Du lernst schnell.“

      Für einen Moment herrschte danach betretenes Schweigen. Vermutlich wäre es an mir gewesen, den nächsten Schritt zu wagen. Doch ich war seltsam verunsichert, weil ich nicht recht wusste, wie ich es anfangen sollte. Und natürlich auch, weil ich bei ihr in der kurzen Zeit nun doch schon ein paarmal ins Fettnäpfchen getreten war.

      So besann ich mich auf meine Rolle als Gastgeber und fragte betont weltmännisch:

      „Soll ich dir erst mal dein Zimmer zeigen?“

      „Das wäre schön. Ich bin ja so erledigt.“

      Ich führte sie nach oben in eines der Gästezimmer, und was soll ich sagen: Ich erwischte ausgerechnet dasjenige mit dem größten, stabilsten und einladendsten Bett. Schon erstaunlich, wie das Leben manchmal so spielt.

      „Bring mir doch gleich meine Sachen“, flötete sie dann, „ich will sehen, ob auch wirklich nichts fehlt.“

      Ich erfüllte ihr den Wunsch nicht bloß – nein, ich legte auch noch anständig Tempo vor dabei. Je eher ich fertig war, desto eher konnten wir uns dem eigentlichen Inhalt des Abends widmen.

      „Bist du so lieb und lässt mich allein?“, fragte sie ein wenig ungeduldig, als ich die letzte Tasche abgestellt hatte. Es klang verheißungsvoll in meinen Ohren, ins Hochdeutsche übersetzt etwa wie: ‚Lass mich noch kurz allein, ich möchte nur rasch die Reizwäsche anziehen’.

      „Klar, klar“, sagte ich daher. „Du kommst doch dann noch runter?“

      „Mal sehen“, gab sie spitz zurück, aber das meinte sie nicht so. Natürlich würde sie kommen.

      *

      Weil ich so gar keine Vorstellung hatte, wie es nun weitergehen konnte, machte ich mich erst einmal daran, hastig etwas Ordnung zu schaffen. Die Putzfrau kam nur zweimal im Monat, und das Haus war wirklich nicht für Besuch vorbereitet. Wie hätte ich auch ahnen sollen, dass mir das Schicksal unversehens einen blonden Engel der Premiumklasse buchstäblich frei Haus liefern würde.

      Ich räumte weg und putzte, so gut es eben ging, wobei ich ständig nach oben lauschte, ob vielleicht Schritte von der Treppe her zu vernehmen waren. Das war nicht der Fall, und so konnte ich wenigstens in der Küche und im Wohnzimmer die gröbsten Spuren meines Alleinlebens beseitigen. Anschließend stellte ich schon mal zwei mächtige Weingläser bereit, die beim Aneinanderstoßen einen wunderbaren Klang ergaben. Solche exklusiven – und teuren – Stücke hatte sie vermutlich nie zuvor in der Hand gehabt. Den Gedanken, dass sie vielleicht doch nicht mehr herunterkommen würde, schob ich so gut es ging beiseite.

      Während ich so vor mich hinräumte, gingen mir einer nach dem anderen diese absurden Sprüche durch den Kopf, die sie im Taxi von sich gegeben hatte. Ein gelungener Spaß auf Kosten des Taxifahrers, sicherlich, bei näherem Hindenken aber doch auch ein wenig gruselig. Allein schon wenn ich an den Bräutigam dachte, der ‚nach Jahren des Werbens in der Hochzeitsnacht seine jungfräuliche Braut überallhin küssen’ durfte!

      Der arme Kerl!

      Ich kannte die Kleine erst zwei oder drei Stunden und wusste bereits, dass ich sie zwar möglicherweise auch auf die eine oder andere nur schamhaft preisgegebene Stelle küssen würde. Dass ich sie aber auf gar keinen Fall ohne angemessene Samenspende wieder auf die böse, kalte Welt da draußen loslassen durfte, in der eine gut gewachsene junge Frau ständig in Gefahr schwebte, von den falschen Männern belästigt zu werden. Die falschen Männer, das waren im Fall dieses phänomenalen kasachischen Qualitätsimports so ziemlich alle Männer außer mir.

      Wobei ‚kalt’ in Bezug auf die Welt da draußen gerade nicht ganz stimmte, denn es war eine laue Sommernacht, die zu allem geeignet war, bloß nicht dazu, sie mit Schlafen zu vergeuden. Im Haus freilich war es vergleichsweise kühl, obwohl den ganzen Tag die Sonne geschienen hatte: Zu dieser Jahreszeit hatte der Wald sein Gutes, denn wie hoch die Sonne auch am Himmel stand, die Bäume ringsum spendeten immer hinreichend Schatten.

      Trotz der späten Stunde herrschte da draußen zwischen den Bäumen ordentlich Betrieb. Wenigstens im Kleinen. Durch das Panoramafenster im Wohnzimmer konnte ich die Glühwürmchen sehen, die nicht müde wurden, einander zuzublinken, dass sie zur Paarung bereit waren.

      Das war ich auch.

      In manchen Monaten umtanzten die Glühwürmchen das Haus im Wald wie eine lebendige Festbeleuchtung. Sie gehörten zum Haus wie dessen Erker oder der Geruch nach gutem, altem Holz, und so hatte ich sogar schon einmal nachgelesen, wie die possierlichen Tierchen so lebten. Viel hatte ich nicht im Kopf behalten, aber der Name des Stoffes, der sie leuchten ließ, war mir in Erinnerung geblieben: Luciferin.

      Irgendwas Teuflisches also.

      Und noch etwas fiel mir jetzt ein: Unter den unzähligen Leuchtkäferarten gab es eine mit einem lateinisch klingenden Namen, die anders war als alle anderen. Die Weibchen dieser speziellen Art waren in der Lage, die Paarungssignale einer anderen, verwandten Art heimtückisch nachzuahmen. Was sie auch taten. Allerdings nicht etwa, um sich mit den angelockten Männchen zu paaren, sondern um dieselben ratzeputz zu verspeisen.

      Ziemlich gruselig.

      Menschliche Weibchen hatten auch so ihre Signale, um zu verkünden, dass sie zur Paarung bereit waren. Leider waren die für einen Mann wie mich allzu kompliziert. Sie waren sogar so schwer zu verstehen, dass ich die Einführung eines verbindlichen Blinksignals jederzeit befürwortet hätte.

      Seltsam, dass ich gerade jetzt wieder daran denken musste, welch abstruse Worte die Kleine im Taxi noch so alles herausgekramt hatte: Fleischeslust, die Wonnen der Liebe, Kasteiung, Triebhaftigkeit – alles Begriffe aus einer anderen, einer schrecklich verklemmten Welt. Sie passten