97
Die Einnahmen, die in den Haushaltsplan einzustellen sind, sind die im Rechnungsjahr objektiv zu erwartenden Mittel aus Steuern und anderen Abgaben, darüber hinaus auch einmalige Einnahmen, etwa aus Verkäufen, und Einnahmen aus der Kreditaufnahme[308]. Nicht zu erfassen sind demgegenüber Kassenkredite, die nur der Zwischenfinanzierung dienen. Gleiches gilt für durchlaufende Posten[309], zu denen auch die Ergänzungsanteile bei der Umsatzsteuer und der Umsatzsteueranteil der EU im Rahmen des Eigenmittelsystems gehören[310].
98
Die in den Plan einzustellenden Ausgaben sind die Geldzahlungen, die im Rechnungsjahr voraussichtlich zu leisten sind; dies nach dem Kriterium der Notwendigkeit zur Erfüllung der Aufgaben (§ 5 HGrG, § 6 BHO und entsprechendes Landes- und Kommunalhaushaltsrecht)[311].
99
Dass auch die voraussichtlich zur Aufgabenerfüllung in der Haushaltsperiode benötigten (§ 5 HGrG, § 6 BHO und entsprechendes Landes- und Kommunalhaushaltsrecht) Verpflichtungsermächtigungen in den Plan eingestellt werden müssen, folgt einfachrechtlich aus § 8 Abs. 2 Nr. 3 HGrG und § 11 Abs. 2 Nr. 3 BHO (entsprechend im Landes- und Kommunalhaushaltsrecht). Streitig ist, ob es darüber hinaus eine verfassungsrechtliche Anforderung ist, Verpflichtungsermächtigungen in den Haushaltsplan aufzunehmen[312]. Richtigerweise ist dies zu bejahen, weil Verpflichtungsermächtigungen zu Bindungen führen, die künftig kassenwirksam werden und damit das parlamentarische Budgetrecht betreffen. Zu rekurrieren ist zur verfassungsrechtlichen Fundierung deshalb unmittelbar auf das parlamentarische Budgetrecht. Ob der Ausgabenbegriff gemäß Art. 110 Abs. 1 Satz 1 HS 1 GG (und gemäß den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Vorschriften) Verpflichtungsermächtigungen umfasst[313], kann aufgrund dessen dahinstehen[314]. Die Höhe der zulässigen Verpflichtungsermächtigungen ergibt sich wiederum aus dem Kriterium der Notwendigkeit zur Aufgabenerfüllung in der Haushaltsperiode[315].
100
Bei doppischem Rechnungswesen bezieht sich der Vollständigkeitsgrundsatz auf die geplanten Erträge und Aufwendungen im Erfolgsplan und die geplanten Ein- und Auszahlungen im Finanzplan. Untergliedert sich der Haushalt nicht in Titel, sondern in Produkte (Produkthaushalt), bezieht sich der Grundsatz der Vollständigkeit auf die Produkte und die jeweils zugewiesenen Mittel.
II. Bruttoveranschlagung
101
Das Vollständigkeitsgebot wird durch das Prinzip der Bruttoveranschlagung konkretisiert, das dem Vollständigkeitsgebot erst zu voller Wirksamkeit verhilft[316]. Einnahmen und Ausgaben sind danach in voller Höhe grundsätzlich getrennt voneinander, nicht dagegen saldiert, im Haushaltsplan aufzuführen. Weder dürfen Ausgaben vorweg abgezogen noch Einnahmen vorweg angerechnet werden[317].
102
Auch die Bruttoveranschlagung ist, mit Blick auf das parlamentarische Budgetrecht, verfassungsrechtlich verlangt[318]. Bei einer Nettoveranschlagung fehlten dem Parlament die erforderlichen Informationen für gehaltvolle Haushaltsentscheidungen. Es käme im Ergebnis zu Haushaltskreisläufen außerhalb des Budgets. Bei systematischer Verfassungsinterpretation ergibt sich der Verfassungsgehalt des Prinzips der Bruttoveranschlagung auch aus einem Umkehrschluss aus Art. 110 Abs. 1 Satz 1 HS 2 GG. Einfachrechtlich ist der Grundsatz der Bruttoveranschlagung in § 12 Abs. 1 Satz 1 HGrG, in § 15 Abs. 1 Satz 1 BHO, in den entsprechenden Landeshaushaltsordnungen und im kommunalen Haushaltsrecht aufgenommen.
103
Als Prinzip ist der Grundsatz der Bruttoveranschlagung offen für verfassungsrechtlich gerechtfertigte Ausnahmen. So brauchen auf Bundesebene nach der ausdrücklichen Regelung des Art. 110 Abs. 1 Satz 1 HS 2 GG bei Bundesbetrieben und Sondervermögen nur die saldierten Zuführungen oder Ablieferungen eingestellt zu werden (Art. 110 Abs. 1 Satz 1 HS 2 GG). Bundesbetriebe sind Wirtschaftseinheiten der Bundesverwaltung mit erwerbswirtschaftlicher Ausrichtung, die also ein Angebot von Waren oder Dienstleistungen gegen Entgelt vorhalten[319]. Sondervermögen dienen, inhaltlich weitergreifend, ihrerseits bestimmten Aufgaben und werden aufgrund eines Gesetzes getrennt verwaltet. Auf Landesebene gilt Entsprechendes. Ungeachtet der verfassungsrechtlichen Fundierung in Art. 110 Abs. 1 Satz 1 HS 2 GG und dem entsprechenden Landesverfassungsrecht fordern Sondervermögen die demokratisch und rechtsstaatlich verwurzelten Haushaltsgrundsätze der Bruttoveranschlagung und auch der Einheit heraus und erscheinen deshalb problematisch (Rn. 108 f.).
104
Auf Grundlage von § 12 Abs. 1 Satz 2 HGrG, § 15 Abs. 1 Satz 2 BHO wird darüber hinaus auch die staatliche Kreditaufnahme im Wege der Nettoveranschlagung im Haushalt abgebildet[320]. Das Umschuldungsgeschehen bleibt damit unberücksichtigt. Wenngleich die materielle Regelung der Schuldenbremse in Art. 109 Abs. 3 GG zu Recht auf die Höhe der Nettoneuverschuldung abstellt, weil sich vorrangig aus ihr Gefahren für die Zukunft der Staatsfinanzierung ergeben, steht das Gebot der Bruttoveranschlagung doch in einem anderen verfassungsrechtlichen Zusammenhang. Dem hier zentralen parlamentarischen Budgetrecht wäre durch eine – technisch problemlos mögliche – Bruttoveranschlagung der Kreditaufnahme besser gedient. Umschuldungsmanöver würden in ihrer Bedeutung und Tragweite, auch in ihren Risiken transparenter werden[321].
105
Zu einer zumindest effektiven, die parlamentarische Budgetgewalt verkürzenden Nettoveranschlagung führen schließlich Subventionen, die im Wege der Steuervergünstigung überbracht werden[322]. Der Haushaltsgesetzgeber weiß regelmäßig nicht, welche finanziellen Auswirkungen die Einrichtung einer steuerlichen Verschonungssubvention hat[323]. Wenngleich bei formaler Betrachtung bereits keine staatlichen Einnahmen und auch keine staatlichen Ausgaben vorliegen, die miteinander saldiert würden, ereignet sich die Saldierung hier im Ergebnis auf noch weiter abgekürztem Zahlungsweg, im Bereich des Steuerpflichtigen selbst[324].
106
Bei doppischem Rechnungswesen verlangt der Grundsatz der Bruttoveranschlagung eine getrennte Aufführung von Erträgen und Aufwendungen im Erfolgsplan und von Ein- und Auszahlungen im Finanzplan. Im Produkthaushalt sind die zur Produkterstellung vorgesehenen Mittel in voller Höhe und getrennt voneinander zu veranschlagen (ausdrücklich § 12 Abs. 1 Satz 1 HGrG).
III. Einheit
107
Nach dem Grundsatz der Haushaltseinheit sind die grundsätzlich vollständig und in einer Bruttoaufgliederung zu erfassenden staatlichen Einnahmen und Ausgaben in einen einzigen Haushaltsplan einzustellen. Historisch geht der Einheitsgrundsatz auf die Entwicklung der kameralistischen Gesamthaushalte in der Zeit des Absolutismus zurück, die ihrerseits mit der Loslösung der Steuereinnahmen von Zweckbindungen und allgemein mit der Überwindung der Fondswirtschaft im Zusammenhang steht (Rn. 8). Im parlamentarisch-demokratischen Regierungssystem gewährleistet der Grundsatz der Haushaltseinheit, dass im ersten Schritt die Regierung und sodann das demokratisch primär legitimierte Parlament zwischen den in Betracht kommenden Finanzierungsbedarfen abwägen und Prioritäten setzen kann[325]. Auch der Grundsatz der Haushaltseinheit hat deshalb Verfassungsrang[326]. Art. 110 Abs. 1 Satz 1 HS 1 GG und die entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Vorschriften bestätigen dies. Einfachrechtlich ist der Grundsatz der Haushaltseinheit in § 8 Abs. 1 HGrG, § 11 Abs. 1 BHO und im entsprechenden Landes- und Kommunalhaushaltsrecht aufgenommen („Für jedes Haushaltsjahr ist ein Haushaltsplan aufzustellen.“)[327].
108
Einnahmen- und Ausgabenkreisläufe außerhalb des Gesamthaushalts, also Nebenhaushalte oder Parafisci,