die voraussichtlichen Aufwendungen, insbesondere auch für geplante Großprojekte, nach bestem Wissen und Gewissen anzusetzen.
117
Im Hinblick auf den Grundsatz der Klarheit und Wahrheit problematisch erscheint die Praxis, den formalen Haushaltsausgleich (Rn. 141 ff.) durch die Veranschlagung globaler Minderausgaben zu erreichen[344]. In der Sache wird die Exekutive hier zu Einsparungen verpflichtet, deren Realisierung vielfach ungewiss sein dürfte. Verfassungsrechtlich fragwürdig ist danach jedenfalls die Veranschlagung globaler Minderausgaben, die über die Abschöpfung des am Ende der Haushaltsperiode nach verlässlichen Statistiken zu erwartenden „Bodensatzes“ hinausgeht[345].
118
Auch die Bildung verdeckter stiller Reserven verstößt grundsätzlich gegen den Grundsatz der Klarheit und Wahrheit[346]. Ein Beispiel bildet die vorsorgliche Berücksichtigung von Lohn- und Gehaltserhöhungen, die aus strategischen Gründen im Rahmen der Tarifverhandlungen der Gegenseite nicht bekannt werden soll[347]. Im Rahmen der kameralistischen Haushaltsplanung, die keine Rückstellungsbildung kennt, ist in diesem Fall – soweit keine anderweitige Deckung möglich ist – ein Nachtragshaushalt erforderlich, der im Übrigen die haushaltsbelastende Wirkung von Tarifabschlüssen transparent macht[348].
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Berührt wird der Grundsatz der Klarheit und Wahrheit des Haushalts schließlich auch durch die Aufgabenverlagerung auf Private, die dann staatlicherweise alimentiert werden, ohne dass der Haushalt den Zweck der Alimentierung im Einzelnen erkennen ließe[349], und mehr noch durch Steuervergünstigungen, die die staatliche Aufgabenerfüllung auf verkürztem Zahlungsweg zu erreichen suchen und das tatsächliche Ausmaß des staatlichen Finanzierungsvolumens verschleiern.
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Klarheit und Wahrheit sollen durch das doppische Rechnungswesen und die Haushaltsdarstellung nach Produkten in besonderer Weise befördert werden. Sobald – vor allem auf kommunaler Ebene – mehr praktische Erfahrungen vorliegen, wird sich zeigen, inwieweit sich diese Hoffnung bestätigt.
V. Sachliche und zeitliche Spezialität
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Der Haushaltsgrundsatz der Klarheit und Wahrheit konkretisiert sich im Grundsatz der Spezialität der Haushaltsansätze, nach dem die einzelnen Haushaltsansätze so spezifiziert wie möglich aufgeführt sein müssen. Auch der Spezialitätsgrundsatz ist verfassungsrechtlich begründet[350], weil die Titelspezialität unabdingbare Voraussetzung dafür ist, dass das Parlament die Ausgabenseite der Staatsfinanzen wirksam steuern und kontrollieren kann.
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Der Spezialitätsgrundsatz verlangt zum einen die sachliche, zum anderen die zeitliche Spezialität der Haushaltsansätze. Die sachliche Spezialität bezieht sich auf die Zwecksetzungen der Ansätze und die veranschlagten Summen. Einfachrechtlich sieht § 12 Abs. 4 Satz 1 HGrG, entsprechend § 17 Abs. 1 Satz 1 BHO und das Landes- und Kommunalhaushaltsrecht vor, dass die Einnahmen nach dem Entstehungsgrund, die Ausgaben und die Verpflichtungsermächtigungen nach Zwecken getrennt zu veranschlagen und, soweit erforderlich, zu erläutern sind; die Erläuterungen können ausnahmsweise selbst für verbindlich erklärt werden (§ 12 Abs. 4 Satz 2 HGrG, § 17 Abs. 1 Satz 2 BHO und das entsprechende Landes- und Kommunalhaushaltsrecht). Aufgrund dessen werden im Haushaltsplan Titel gebildet, die sich aus der Zweckbestimmung (Dispositiv[351]) und dem dafür bewilligten Betrag zusammensetzen[352]. Die Einzelveranschlagung begründet eine entsprechende sachliche Bindung im Haushaltsvollzug. So dürfen nach § 27 Abs. 1 Satz 1 HGrG, § 45 Abs. 1 Satz 1 BHO und dem entsprechenden Landes- und Kommunalhaushaltsrecht die Ausgaben- und Verpflichtungsermächtigungen nur zu den im Haushaltsplan bezeichneten Zwecken in Anspruch genommen werden. Dass die Exekutive durch die Haushaltstitel zur Mittelverausgabung nicht verpflichtet, sondern hierzu allein ermächtigt wird, ist freilich mit dem Spezialitätsgrundsatz zu vereinbaren. Die Beschränkung auf die Ermächtigungswirkung ist dem Haushaltsrecht immanent; die sachliche Steuerung der Verwaltung, die Handlungsverpflichtungen umfassen kann, ist Gegenstand des Verwaltungsrechts (Rn. 87 ff.).
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Die zeitliche Spezialität verlangt eine genaue zeitliche Umgrenzung der Ausgabenermächtigung. Diese Umgrenzung entspricht im Grundsatz dem Haushaltsjahr (§ 8 Abs. 2 HGrG, § 11 Abs. 2 BHO und das entsprechende Landes- und Kommunalhaushaltsrecht). Im Vollzug führt die zeitliche Spezialität der Bewilligungen dazu, dass diese nur bis zum Ende des Haushaltsjahres geleistet oder in Anspruch genommen werden dürfen (zeitliche Bindung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 HGrG, § 45 Abs. 1 Satz 1 BHO, entsprechend das Landes- und Kommunalhaushaltsrecht). Die zeitliche Begrenzung der Ausgaben- und Verpflichtungsermächtigungen kann zu dem Phänomen führen, das als „Dezemberfieber“ kritisiert wird: In Voraussicht des Wegfalls der Ermächtigungen werden zum Ende des Haushaltsjahres überhastete, unwirtschaftliche Ausgaben- und Verpflichtungsentscheidungen getroffen.
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Dem „Dezemberfieber“ und entsprechend auch sachlichen Mittelbindungen, die sich im Vollzug als hinderlich erweisen, stehen – zunehmend – Flexibilisierungen in sachlicher und zeitlicher Hinsicht gegenüber. Derartige Ausnahmen vom Spezialitätsgrundsatz sind angesichts seiner Bedeutung für eine wirksame Ausübung des parlamentarischen Budgetrechts nur aus zwingenden Gründen zulässig. Die Exekutive darf, so das Bundesverfassungsgericht deutlich, keine „unangemessene Verfügungsmacht“ über die Haushaltsmittel erlangen[353]. Dieser Maßstab ist an jedwede Form der Flexibilisierung von Haushaltsansätzen anzulegen, die der Exekutive Spielräume bei der Bewirtschaftung geben.
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Zu einer Flexibilisierung in sachlicher Hinsicht führen die Vorschriften über die einseitige oder gegenseitige Deckungsfähigkeit von Haushaltsansätzen, die es erlauben, bewilligte Mittel einem anderen Zweck zuzuführen als im Haushaltsplan zunächst vorgesehen (§ 46 BHO und das entsprechende Landesrecht). Kraft Gesetzes sind die in § 20 Abs. 1 BHO (entsprechend das Landes- und Kommunalhaushaltsrecht[354]) genannten Ausgaben (Personalausgaben) gegenseitig oder einseitig deckungsfähig. Darüber hinaus kann die Deckungsfähigkeit von Ansätzen im Haushaltsplan erklärt werden, wenn ein verwaltungsmäßiger oder sachlicher Zusammenhang besteht oder eine wirtschaftliche und sparsame Verwendung gefördert wird (§ 15 Abs. 3 Satz 1 HGrG, § 20 Abs. 2 BHO und das entsprechende Landes- und Kommunalhaushaltsrecht). Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen, die ohne nähere Angabe des Verwendungszwecks veranschlagt sind, dürfen demgegenüber nicht für deckungsfähig erklärt werden (§ 15 Abs. 3 Satz 2 HGrG, § 20 Abs. 3 BHO und das entsprechende Landes- und Kommunalhaushaltsrecht). Im laufenden Vollzug können schließlich, auch dies begründet eine sachliche Flexibilisierung, Mittel und Planstellen (im Haushaltsplan ausgewiesene Stellen für Beamte) umgesetzt werden, wenn Aufgaben von einer Verwaltung auf eine andere Verwaltung übergehen oder in einer anderen Verwaltung ein unvorhergesehener und unabweisbarer vordringlicher Personalbedarf entsteht (§ 50 BHO, entsprechend das Landes- und Kommunalhaushaltsrecht).
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In zeitlicher Hinsicht gilt dies für die Vorschriften, die eine zeitliche Übertragung von Ausgaben- und Verpflichtungsermächtigungen in das nächste Haushaltsjahr zulassen. Übertragbar sind kraft Gesetzes die Ausgaben, richtig: Ausgabenbewilligungen, für Investitionen und aus zweckgebundenen Einnahmen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 HGrG; § 19 Abs. 1 Satz 1 BHO und das entsprechende Landeshaushaltsrecht; im Kommunalhaushalt sind regelmäßig die Ansätze des Vermögenshaushalts übertragbar). Andere Ausgaben können durch einen Vermerk im Haushaltsplan für übertragbar erklärt werden, wenn dies ihre wirtschaftliche und sparsame