Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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einem Regal standen Flaschen mit Rum, Gin, Whisky, Kognak und Likör. Uerdinger, davon genehmigte ich mir mal einen Schluck, wovon ich erst husten und dann reihern mußte. Ich schaffte es aber noch bis zum Lokus. Torte, Pizza, Milka, Frühstücksei, alles kam wieder raus, in umgekehrter Reihenfolge.

      Puh. Vom Uerdinger würde ich in Zukunft die Finger lassen. Eine halbe Rolle Klopapier ging drauf, bis Deckel, Brille und Becken wieder sauber waren.

      Ich setzte mich auf den Wannenrand zum Verschnaufen.

      Elidor und Badedas. Odol gibt sympathischen Atem.

      Jeden Abend regte Tante Dagmar sich über die Rentnerinnen auf, die erst kurz vor Ladenschluß einkaufen gingen, wenn die berufstätige Bevölkerung Feierabend habe. »Und dann stehen sie am Tresen und können sich nicht entscheiden: Ach, geben Sie mir doch noch hundert Gramm Kalbsleberwurst, oder nein, warten Sie mal, ich nehm doch lieber nur fünfzig Gramm, oder haben Sie Gänseleberpastete im Sonderangebot? Ja, dann davon dreißig Gramm. Oder doch besser vierzig. Oder wissen Sie was, ich seh gerade, Sie haben auch Preßsack, dann geben Sie mir doch davon sechzig Gramm …«

      Wenn sie selbst auf ihre alten Tage mal Gesellschaft oder Ansprache brauche, werde sie lieber Radio hören oder die Telefonseelsorge anrufen, als im Supermarkt den Steh-im-Weg zu spielen, sagte Tante Dagmar. »Und falls ich mir das als Rentnerin anders überlege, sollte jemand die Güte besitzen, mich zu entmündigen!«

      Tante Gisela brachte uns nach Jever, wo es erst Suppe mit Eierstich und dann Kartoffelpuffer gab. Ich hatte mich darauf gefreut, Oma im Malefiz zu schlagen, aber das war fast unmöglich. Onkel Immo hatte ihr einen selbstgebastelten Elektrowürfel geschenkt mit sechs roten Lämpchen vorne, die auf Knopfdruck aufblinkten und anzeigten, was man gewürfelt hatte. Der Würfel arbeitete nach dem Zufallsprinzip, bloß kamen nie zwei oder drei Sechsen nacheinander oder zwei oder drei Einsen, die bei Malefiz so wichtig waren, wenn man Palisaden weghauen wollte. Mit Würfeln herkömmlicher Bauweise hatte ich mehr Glück gehabt, aber Oma wollte nur noch mit dem Elektrowürfel spielen, erst recht, als sie mich zweimal nacheinander besiegt hatte.

      Onkel Immo war Erfinder und hatte auch mal ein Patent angemeldet für eine Waschmaschinenvorrichtung und damit viel Geld verdient. Dagegen gab es ja nichts einzuwenden, aber der Würfel war eine Fehlkonstruktion.

      Mit Tante Giselas Auto machten wir einen Ausflug nach Neuharlingersiel und besuchten auch das Buddelschiffmuseum. Hansekoggen, Gaffelschoner, Flöße, Dschunken, Dampfer und phönizische Galeeren, die alle durch die engen Flaschenhälse gepaßt hatten. Das Kontiki-Floß und der Untergang der Titanic. Da schwammen Figürchen von Ersaufenden im Wasser.

      Wir düsten noch weiter rum in der Landschaft, und dann wollte Oma einen Spaziergang am FKK-Gelände machen.

      Auf dem Deich fuhr ein dicker nackter Radfahrer lang. Als er vorbei war, sagte Tante Gisela: »Das konnt ich mir aber auch nicht verkneifen, da mal ’n Blick drauf zu werfen.« Und Tante Dagmar sagte: »Was hätte der denn machen sollen? Sich das dahinterklemmen?«

      Gustav war in Göttingen und studierte, aber er hatte alle seine Platten in Jever gelassen. Die Beatles, die Dubliners und die Wombles. Bin i Radi – bin i König und Magical Mystery Tour. Die Singles mit klassischer Musik steckten in Sichthüllen in einem rotkarierten Album mit Druckverschluß. Beethoven, Romanze Nr. 2 F-Dur für Violine und Orchester. Leider wußten auch Oma und Opa nicht, wie Gustavs Plattenspieler anging.

      Bist du Radi, bist du Depp, König ist der Maier Sepp.

      An dem Tag, als Wiebke mit dem Zug in Jever ankam, brachte der Paketbote ein Päckchen mit einem Radio, das Opa in einem Preisausschreiben von Lux Filter gewonnen hatte, aber er konnte sich nicht daran erinnern, an dem Preisausschreiben teilgenommen zu haben.

      Das Radio kam auf den Eckschrank in der Veranda. Der Empfang war gut. Isch sah das Leben und die Welt, und plötzlisch hab isch festgestellt, wie sehr mir deine Liebe fehlt, o Mamy – isch fühl misch so allein!

      Oma und Opa zogen plattdeutsche Sendungen mit Ewald Christophers vor.

      Dann kam auch Gustav. Er hatte Semesterferien, wie die Studenten früher in der ZDF-Serie Semesterferien, und er hatte sich einen Schnäuzer wachsen lassen, den Oma zu burschikos fand, aber als sich rausstellte, daß das neue Radio Gustav zu verdanken war, weil er in Opas Namen eine Karte an Lux Filter geschickt hatte, fiel Oma Gustav um den Hals, und das Thema Schnoddenbremse war vom Tisch.

      Ich wollte auch was gewinnen, nur hätte man gar nicht meinen sollen, wie wenig Preisausschreiben es gab. Allein in der Hörzu, hatte ich gedacht, stünden die auf jeder zweiten Seite, aber ich mußte lange blättern, bis ich welche fand. Bei Reyno und bei Milka konnte man zehntausend Mark gewinnen und bei Gervais Obstgarten zehntausend Früchte-Sets: Wie muß der Quark sein, damit die Früchte am besten schmecken? Die richtige Antwort – fest, locker-leicht oder trocken – brauchte man bloß anzukreuzen.

      Eine andere Preisfrage lautete: Warum brauchen Kinder auch im Sommer Nimm 2? Zu gewinnen gab es da Aufblaskissen und Wasserbälle. Beim Hörzu-Preisrätsel des Monats winkten als Gewinne ein Farbfernseher, fünf Radiorekorder und fünfzig Schallplatten und beim Hörzu-Ferien-Preisausschreiben drei Urlaubskoffer voller Spezialitäten aus Bayern und fünfzig handsignierte Schallplatten: Lach mit Peter Frankenfeld.

      Ich legte viel von meinem Taschengeld in Postkarten an und machte überall mit. Das war immer noch gescheiter, als Katjes-Pennys zu sammeln, so wie Wiebke, und sich für hundert Stück davon in grauer Zukunft die Bilderserie Pennys liebste Tiere zu bestellen.

      Dumm und dämlich konnte man sich auch mit Witzen verdienen, wenn sie in der Bildzeitung abgedruckt wurden. Da gab’s für jeden einzelnen zwanzig Mark. Ich schickte den mit Lupo und der Briefmarke ein.

      Wenn Oma und Opa sich zum Mittagsschlaf hingelegt hatten, ging es den Keksen und den Erdnüssen im Wohnzimmerbüfett an den Kragen. Die Tür knarrte, aber Oma und Opa waren schwerhörig.

      Auch die verglaste Tür vom Bücherschrank knarrte. Morgens um sieben ist die Welt noch in Ordnung, Hitler von Alan Bullock und die Bibel in unse Moderspraak: Ganz in den Anfang hett Gott Himmel un Eer maakt. Un up de Eer seeg dat wirr un wööst ut, un över dat Water weer dat pickendüster. Aver Gott sien Geist sweev över de Floot.

      In der Küchenschublade Omas Notizheft mit den Rommézahlen der letzten zwanzig Jahre.

      Ich öffnete auch die Schränke im Keller. Eine uralte Bildzeitung: Kennedy erschossen! Dramatische Fotos vom Attentat, und untendrunter die Meldung: Deutsche Möbelkonferenz tagt hinter verschlossenen Türen. Und eine Anzeige: Kräftige Rentner als Leichenträger gesucht.

      Oder Gustavs alte Bravos. Jungens sollten sie lernen: Die Zeichensprache der Liebe. Mädchen berichten: Mein erstes Erlebnis. Das führte ich mir im Kartoffelkeller zu Gemüte. Aktion Anonym.

      Nachmittags pflanzte Opa im Garten Gurken und Blumen und kam danach die Kellertreppe mit zwei Flaschen Bier hoch, einer für sich und einer für Gustav, der in seinem Zimmer saß und Gesetzestexte büffelte. »Zum Genuß!« sagte Opa und reichte Gustav die Flasche rein.

      Dann machte Opa es sich an seinem Schreibtisch in der Veranda bequem und entnahm seiner Zigarrenkiste wählerisch Zigarren, die er Rauchwaren nannte. An der Wand hing eine eingerahmte Bleistiftzeichnung: Opa mit Helm auf, noch aus dem Ersten Weltkrieg.

      Seine zitternde rechte Hand hielt Opa mit der linken fest.

      Oma zerkleinerte unterdessen Petersilie in der Küche oder kämpfte mit dem widerspenstigen Waschmaschinenschlauch.

      Wiebke lag auf dem Wohnzimmersofa, las Mecki im Schlaraffenland und kaute an ihren Zöpfen.

      Einmal kriegte Oma Besuch von zwei anderen Omas. Sie verbrachten fast zwei Stunden damit, alles über ihre Kinder und Enkelkinder durchzuhecheln und sich über Rheuma, Ischias und Gicht zu unterhalten.

      »Da kann ich auch ein Lied von singen, Frau Lüttjes!«

      Schlafsaft und Eigenblutspritzen.

      Opa stellte mir Denksportaufgaben.