Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Socken stopfen.

      Das Spiel endete 0:0. In der 75. Minute war Del’Haye ins Spiel gekommen. Weshalb Helmut Schön den nicht öfter und früher aufstellte, war mir schleierhaft.

      Flammendes Inferno lief jetzt im Kino. Sowas hätte ich auch gerne mal gesehen, statt immer nur die Bilder im Schaukasten.

      Gegen Köln schlug Gladbach sich im Müngersdorfer Stadion ganz hervorragend. 0:1 Simonsen (3.), 1:1 Löhr (37., fragwürdiger Foulelfmeter), 1:2 Danner (59.). Tabelle: Mönchengladbach 42–18, Hertha 40–20.

      Nur bei Grün-Weiß Vallendar war tote Hose. Ich fragte den Trainer, wann wir wieder ein Spiel hätten, aber der kratzte sich nur an der Backe, wo er eine Warze hatte, und ließ uns Ecken und Elfer üben, und als er krank wurde, fiel auch noch das Training aus.

      Am Muttertag schickten wir Mama noch vorm Frühstück auf Schnitzeljagd. Das war Renates Idee gewesen.

      Aus dem Eierwärmer fiel Mama ein Zettel in die Hand, und sie sagte: »Nanü?« Auf dem Zettel stand, daß unter dem Don Quichotte im Bücherregal eine Überraschung liege. Da lag aber nur der nächste Zettel: Liebe Mama, wirf doch mal im Hobbyraum einen Blick unters Sofa! Da der nächste Zettel: Hallo Mama, oben in Volkers Zimmer wartet was im Mikroskopkoffer! Und da dann: Na, schon müde? Du hast es bald geschafft! Zieh doch mal in der Garage links an der Wand die Schublade mit den Mutterschrauben auf! Und so weiter, Treppe rauf, Treppe runter, bis Mama schon fast keine Lust mehr hatte.

      Am Ende stand auf der Fensterbank im Wohnzimmer eine Schachtel Mon Cherié, für die wir alle zusammengeschmissen hatten, das heißt Wiebke nur zwei Pfennig. Mehr hatte sie nicht erübrigen können.

      Bei Spargelcremesuppe mußte ich schon vom Geruch fast kotzen.

      Komm, Herr Jesus, sei unser Gast.

      Und die Rotzglocken hochziehen.

      »Reiß dich zusammen! Oder hol dir ’n Taschentuch!«

      Im Kicker stand, daß Netzer verletzt war und am Länderspiel gegen Holland nicht teilnehmen konnte. Für Netzer hatte Helmut Schön Dietmar Danner nachnominiert. Bernard Dietz war wieder nicht im Kader. Bei den Holländern fehlten Cruyff und Neeskens, und so war das ganze Spiel ein trübes Gestocher. 1:0 Wimmer (8.), 1:1 van Hanegem (56.). Wenigstens spielte Uwe Kliemann von Anfang bis Ende mit und war der beste Mann auf dem Platz. Hatte ich doch gleich gesagt.

      Renate war Pfingsten zelten gewesen, mit Olaf und noch anderen Typen, irgendwo im Westerwald neben einer alten Silbermine. Spießbraten hatten sie da zubereitet, am offenen Feuer, und der Wind hatte sich immer so gedreht, daß sie den Rauch ins Gesicht gekriegt hatten, und dann waren sie noch Eis essen gewesen, für jeden einen Riesenerdbeereisbecher.

      Was Renate schon alles durfte. Oma Schlosser hatte kurz vor Pfingsten angerufen und versucht, den Plan mit dem Zeltlager zu vereiteln, aber aus der Entfernung hatte sie nicht mehr dagegen angekonnt.

      Beim zweiten Endspiel in Enschede kriegten die Holländer von Gladbach was auf den Deckel. 0:1 Simonsen (3.), 0:2, 0:3, 0:4 Heynckes (9., 50. und 59.), 1:4 Drost (76.), 1:5 Simonsen (87., Foulelfemeter). Das war der UEFA-Pokal-Sieg, der erste einer deutschen Mannschaft, und an diesem Tag hätte ich was darum gegeben, Jupp Heynckes zu sein. Sonst wäre ich am liebsten entweder Pele oder Muhammad Ali gewesen oder Eddy Merckx. Ich selbst zu sein war aber auch okay, bei allem, was ich noch vorhatte. Ich konnte auch damit leben, daß es keine Ritterturniere mehr gab, bei denen man mit der Streitaxt auf Normannen losgehen oder welche mit der Lanze vom Pferd hauen mußte, so wie Ivanhoe, der schwarze Ritter, der in dem Film am Sonntag im Zweiten immer viel zu lange mit seinem auserkorenen Burgfräulein geturtelt und nicht oft genug gekämpft hatte.

      Renate war schon wieder Spießbraten essen, in einem Ort namens Rhens. Ob es da einen Fußballverein gab? Grün-Weiß-Vallendar war ja schon dürftig genug, aber VfL Rhens? Oder FC Rhens 07? Wenn man da was zu werden hoffte, hätte man auch gleich in die Steckdose pissen können.

      Grandios war dann am Samstag Gladbachs Heimspiel gegen Wuppertal. 1:0 Simonsen (13., Foulelfmeter), 2:0 Simonsen (18.), 2:1 Berghaus (25.), 3:1 Heynckes (41.), 4:1 Heynckes (51.), 5:1 Simonsen (53.), 5:2 G. Jung (65.), 6:2 Heynckes (88.).

      Neue Tabelle:

1. Gladbach 77:38 Tore, 44–18 Punkte,
2. Hertha 53:39 Tore, 40–22 Punkte,
3. Eintracht 84:44 Tore, 39–23 Punkte.

      Und Jupp Heynckes stand mit 24 Toren an der Spitze der Torjägerliste.

      Es lief alles wie am Schnürchen. Allerdings mußte Gladbach am Samstag auswärts gegen Schalke spielen, und Schalke hatte in dieser Saison noch kein Heimspiel verloren. Der Heimnimbus war ein wichtiger psychologischer Faktor. Aber Gladbach war eine der wenigen Mannschaften mit Auswärtsnimbus, und es konnte ja sein, daß sich die beiden Nimbusse gegenseitig neutralisierten, psychologisch gesehen. Für Gladbach würde ein Sieg bereits die Meisterschaft bedeuten, weil Hertha BSC dann wegen des schlechteren Torverhältnisses nach menschlichem Ermessen nicht mehr an Gladbach rankommen konnte.

      Am Montag stand im Kicker, Hennes Weisweiler werde zum Saisonende Gladbach verlassen und zum FC Barcelona gehen. Waren die denn wahnsinnig geworden am Bökelberg? Einen besseren Trainer als Weisweiler konnten die doch mit der Lupe suchen!

      Ich verstand aber auch Weisweiler selbst nicht. Gladbach hatte Riesenerfolge und nach dem UEFA-Pokal auch schon fast die Meisterschaft im Sack. Was wollte der Weisweiler jetzt auf einmal in Barcelona? Bloß weil in Spanien alles billiger war als bei uns? Konnte das der Grund sein? Der schnöde Mammon?

      Ich hatte so gehofft, mit Weisweiler als Trainer für Gladbach stürmen zu dürfen. Wen die da jetzt wohl hinholten an dessen Stelle? Ob ich Lust hätte, mir von dem was sagen zu lassen, mußte sich erst noch rausstellen. Dabei hatte ich immer fest vorgehabt, als Profi der Borussia die Treue zu halten und niemals ins Ausland zu wechseln, auch bei noch so guten Angeboten nicht, weil ich doch Gerd Müllers Torrekord in der Bundesliga brechen wollte.

      Beim Endspiel gegen Leeds United um den Europapokal der Landesmeister schoß Gerd Müller auch wieder ein Tor, das 2:0, aus fünf Metern Entfernung, nach einer Flanke von Jupp Kapellmann, und was störte, war nur Renate, die mit ihrem Abiturzeugnis rumwackelte.

      Sie wollte Lehrerin werden, aber vor dem Studium noch nach Birkelbach auf die Hausfrauenschule gehen, um Kochen und Backen zu lernen und wie man Hemden bügelt und Silber putzt. Als junge Frau war da auch Oma Schlosser hingegangen.

      Die Nachfolge von Hennes Weisweiler sollte Udo Lattek übernehmen. Das war ein schweres Amt, das sowohl Ehre als auch Verpflichtung war. Darüber mußte sich der Lattek im klaren sein.

      Renate hatte Olaf und dessen Eltern zu uns eingeladen, damit Mama und Papa die mal kennenlernten. Von dem Marmorkuchen, den Mama dafür gebacken hatte, durfte man nur abbeißen, wenn man dabei die Luft anhielt, sonst flogen einem die Brösel im Hals rum, und man mußte husten.

      Weil Papa schon nach zehn Minuten wieder im Keller verschwunden war, gab es am Abend noch einen lautstarken Streit.

      Ich stand mit Wiebke oben an der Kellertreppe. Irgendwann wurde die Garagentür zugeknallt, und Mama kam weinend die Stufen hoch.

      »Schert euch ins Bett«, sagte sie bloß und stürmte ins Elternschlafzimmer, das sie von innen zuschloß.

      Ob das in anderen Familien auch so war? Und wo Papa wohl schlafen ging. Hinten im Peugeot? Oder auf dem Sofa im Hobbyraum?

      Im Juni wollte Renate mit Olaf an die Côte d’Azur fahren und nähte schon Gardinen für Olafs gebraucht gekauften VW-Bus.

      »Und mit der alten Schindmähre wollt ihr nach Frankreich?« fragte Papa, als er den VW-Bus zum erstenmal bei uns in der Einfahrt stehen sah, aber Renate kümmerte sich nicht