Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Olympique Marseille, das hörte sich doch anders an als FC Schweinfurt 05 oder SpVgg Fürth.

      Überhaupt die Namen. Matthias Sindelar, Stan Libuda, Josip Skoblar, Sandro Mazzola und Giuseppe Meazza (355 Tore für Inter Mailand und zweimal Weltmeister). Über Luigi Riva hieß es in einem der Bücher, daß er schnelle Autos und die Einsamkeit liebe und jeden Tag zweihundert Liebesbriefe kriege.

      Weil Günter Netzer so lange Haare hatte, sollte Alan Ball ihm 1972 beim Viertelfinale in der Europameisterschaft im Wembley-Stadion immer zugerufen haben: »Na komm, deutsches Frollein!« 1971 hatte Gladbach Inter Mailand im Europapokal der Landesmeister mit 7:1 geschlagen, aber das Ergebnis war annulliert worden, weil irgendwer dem Italiener Boninsegna eine Getränkebüchse an den Kopf geworfen hatte, und nach dem Wiederholungsspiel war Gladbach ausgeschieden. Fairplay war was anderes.

      Gustav zeigte mir auch sein Autogrammkartenalbum. Billy Mo, Willy Brandt, Herbert Wehner, Helmut Schmidt, Peggy March, Otto von Habsburg, Willy Millowitsch, Bruce Low, Wolfgang Overath, Ernst Mosch, Esther und Abi Ofarim, Vico Torriani, Max Greger, Hans-Joachim Kulenkampff, Golda Meir und Hellmut Lange, der Lederstrumpf gespielt hatte. Sogar Johnny Weismüller, Franz Beckenbauer und die Beatles waren da vertreten.

      Autogramme sammeln wollte ich jetzt auch. Omas Putzfrau, die ich um ihr Autogramm bat, wunderte sich und fragte dreimal nach, bevor sie den Staubsauger ausstellte und ihren Namen auf das hingelegte Papier schrieb.

      Schriftproben konnten auch in Kriminalfällen wichtig sein, wenn Erpresser Briefe geschrieben hatten.

      Um sich was leisten zu können, hatte Gustav mal in der Baumschule Meyer gearbeitet, an der man vorbeikam, wenn man nach Jever reinfuhr. Baumschule. Als ob da die Bäume Unterricht kriegten.

      In Sesamstraße fand er Oskar, Grobi und das Krümelmonster am besten. Wieso, weshalb, warum? Wer nicht fragt, bleibt dumm.

      Den Trick, den Kopf in den Nacken zu legen und so zu tun, als schlucke man ein Messer, das man aber bloß an der anderen Seite vom Hals nach unten schiebt, kannte Oma noch nicht, und als ich ihr den Trick mit dem Brotmesser vormachte, rief sie: »O Junge, tu dir nichts!« Für solche Darbietungen war Oma immer das dankbarste Publikum.

      Wenn sie keine Kreislaufprobleme hatte, nahm sie mich zum Einkaufen mit. Beim Schlachter wurde mir Fleischwurst angeboten, die ich aber nicht mochte, weil ich noch immer an die Wurst aus dem Fleischsalat auf der Horchheimer Höhe denken mußte. Die Einkäufe packte Oma in ihren Kartoffelmercedes.

      Einmal gingen wir über den Friedhof. In einem Grab lagen Papas Urgroßeltern und Papas Opa. Den Grabstein hatte Papa selbst entworfen. Papas Opa war Sanitätsrat gewesen. Papas Oma hätte da auch im Grab liegen sollen, aber die war auf der Flucht aus Ostpreußen gestorben.

      Ich hatte für eine Single gespart, aber Platten konnte man in Jever nur in einem kleinen Elektrogeräteladen kaufen, und wenn man sich die ankucken wollte, wurde man gleich angepupt: »Darf’s was sein, junger Mann?«

      Die konnten sich da nicht vorstellen, daß ein Purks wie ich Geld in der Tasche hatte.

      Meine Wahl fiel auf eine Single von Tony Christy. Don’t go down to Reno, stay a little bit longer. Auf der B-Seite war der Song Sunday Morning. Ich hörte mir die beiden Seiten auf Gustavs Plattenspieler an und erfuhr erst später von Mama, was es mit dem Song auf der A-Seite auf sich hatte. In Reno konnten sich Ehepaare billig scheiden lassen, und Tony Christy wollte seine Frau dazu auffordern, sich das nochmal zu überlegen.

      Im UEFA-Pokal-Rückspiel hatte Banik Ostrau gegen Gladbach das Nachsehen. 1:0 Micka (10., Eigentor), 2:0 Heynckes (46.), 3:0 Vogts (50.), 3:1 Hudecek (67.). Der HSV war nach dem 0:0 gegen Turin leider ausgeschieden. Dafür war Amsterdam gegen Köln mit 2:3 untergegangen, und Ararat Erewan konnte gegen Bayern München nur ein 1:0 rausholen, was nicht reichte. Als das Tor fiel, kam Oma gerade vom Klo zurück und wurde von Gustav angebrüllt: »Geh raus! Du bringst Unglück!«

      Die Pohlekinder wollten mich beim Go-Cart-Fahren im Garten als Schiedsrichter haben, aber ich hatte keine Meinung.

      Das Spiel Bochum – Gladbach ging 0:0 aus, und nach einem 2:0-Sieg über Wuppertal rückte Hertha bis auf einen Punkt an Gladbach ran. Nur einen Punkt dahinter lagen jetzt der HSV und Kickers Offenbach.

      Jetzt kam alles auf Gladbachs Heimspiel gegen Fortuna Düsseldorf an, und das verlief bestens. 1:0 Jensen (11.), 2:0 Heynckes (40.), 3:0 Heynckes (48.), 3:1 Hesse (90.). Und den Verfolger HSV hatte Köln mit 4:0 geschlagen.

      Bei Tolksdorff kaufte ich mir Die Johan Cruyff Story von Ulfert Schröder. Da stand drin, daß Cruyff als Junge freiwillig die Schuhe der Spieler von Ajax Amsterdam geputzt hatte.

      Und so sah meine Weltelf aus:

      Maier

      Beckenbauer

      Netzer, Overath, Puskas, Bobby Moore

      Eusebio, Pele, Cruyff, Müller, Garrincha

      Ganz ohne Verteidiger. Auf der Reservebank hätten Sir Stanley Matthews, Fritz Walter und Helmut Rahn gesessen. Oder Schnellinger. Als Gustav mir seinen Uwe-Seeler-Starschnitt aus dem Kicker schenkte, nahm ich Seeler nachträglich rein in die Weltelf und Bobby Moore wieder raus. April, April.

      Nach den Osterferien spielte ich auf dem Pausenhof Fußball mit einem Brötchen, das da im Dreck gelegen hatte, aber dann hielt mich einer von den älteren Schülern am Arm fest und rief: »Du hast wohl nicht mehr alle Eier im Sack!«

      Ein guter Spruch. Gesagt wurde jetzt auch oft: »Das schockt alles in die Ecke.«

      In Sport spielten wir Sitzfußball, und mir gelang ein Torschuß, volley und unhaltbar, den ich abends im Hobbyraum nachspielte. Mehr denn je war es mein Plan, als Kapitän der Nationalelf 1982, 1986, 1990, 1994 und 1998 die Weltmeisterschaft zu gewinnen und in jedem Endspiel einen Hattrick hinzulegen, drei Tore nacheinander in einer Halbzeit.

      Michael Gerlach hatte ein Skateboard gefunden. Darauf übten wir auf der abschüssigen Straße vorm Schwimmbad, und einmal fuhr Michael gegen das Geländer, fiel hin und war eine Minute lang ohnmächtig. Danach gingen wir ins Wambachtal und versenkten das Skateboard im Wambach, wo er am tiefsten und am strudeligsten war, damit sich nicht noch irgendein anderes Kind an dem Ding vergriff und womöglich tödlich verunglückte.

      In der Bundesliga machte Gladbach Offenbach lang. 1:0 Heynckes (18.), 2:0 Simonsen (19.), 2:1 Kostedde (24.), 3:1 Wittkamp (45.), 3:2 Schmidradner (68.), 4:2 Simonsen (79., Elfmeter), 5:2 Heynckes (87.). Heynckes führte jetzt auch die Torjägerliste an, mit 21 Treffern, Gladbach war seit 16 Spielen ungeschlagen und hatte 37–15 Punkte, und Hertha war von Bremen 4:0 geschlagen worden und folgte in der Tabelle mit schlappen 34–20 Punkten.

      Im Europapokal der Landesmeister holte Bayern München im ersten Halbfinalspiel auswärts gegen St. Etienne ein 0:0 raus. Tags darauf empfing der 1. FC Köln Borussia Mönchengladbach zum Hinspiel im UEFA-Pokal-Halbfinale und bekam Gladbachs legendäre Auswärtsstärke zu spüren: 0:1 Simonsen (23.), 0:2 Danner (34.), 1:2 Löhr (52.), 1:3 Simonsen (60.).

      In der Rhein-Zeitung stand am Wochenende eine Anzeige, die Mama und Papa aufgegeben hatten:

      MODERNES, GROSSZÜGIGES EINFAMILIENHAUS IN VALLENDAR, RUHIGE HÖHEN- U. AUSSICHTSLAGE, ZU VERMIETEN, SPÄTER GGF. ZU VERKAUFEN. WOHNFLÄCHE ÜBER 200 QM, NOCH AUSBAUFÄHIG, 2 BÄDER, 3 WC, HOBBY-RAUM, DOPPELGARAGE, ÖL-ZH, GROSSER GARTEN. ZUSCHRIFTEN UNTER ZK 2087 AN D. RZ, 54 KOBLENZ, POSTFACH 1540.

      Das Nachholspiel gegen Gladbach riß Bayern in der letzten Minute noch rum. 0:1 Kulik (80.), 1:1 Müller (90., Foulelfmeter).

      Zu meinem Geburtstag wollte ich auch den Jochimsen, den Kowalewski und den Schmitz wieder einladen, aber dann kriegte ich einmal mit, wie die über mich herzogen auf dem Jungsklo im Eichendorff. Die wußten nicht, daß ich da am Kacken war, während sie am Waschbecken mit Wasser rumspritzten und sich Sachen über mich erzählten. »Soll ich mal vormachen, wie der sich die Zähne putzt?« fragte der Jochimsen und gurgelte rum, und dann brüllten alle drei vor Lachen, die Ärsche.

      Mittags