Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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30:14 Punkten bloß noch einen Punkt hinter Gladbach (31:13).

      Einmal drehte ich im Bus an der Kurbel hinten und verstellte die Liniennummer, und der Busfahrer sprang fast im Dreieck: »Mit dir fahr isch Schlidden! Schlidden fahr isch mit dir!«

      Im UEFA-Pokal-Viertelfinalspiel gegen Banik Ostrau glückte Jupp Heynckes in der 51. Minute ein schönes Kopfballtor. Im großen und ganzen konnte man nicht klagen als Deutscher. Köln – FC Amsterdam 5:1, Bayern München – Ararat Erewan 2:0. Nur Hamburg hatte verschissen: Juventus Turin – HSV 2:0.

      Ich sollte was in Renates altes Poesiealbum schreiben, das sie wieder ausgebuddelt hatte. Wiebke hatte schon was reingepinselt: Gibt Gott Häslein, so gibt er auch Gräslein.

      In das Poesiealbum einer Klassenkameradin sollte Papa mal den Merksatz geschrieben haben: Lebe, wie du, wenn du stirbst, wünschen wirst, gelebt zu haben. Diese Seite sollte das betreffende Mädchen dann aus dem Album rausgerissen und sie Papa vor die Füße geschmissen haben, mit den Worten: »Wie du, wie die, wenn die! Das ganze Album hast du mir kaputtgemacht!«

      Katche fiel aus, weil die Frischke Grippe hatte. Das stand auf einem Zettel, der an der verrammelten Tür vom Gemeindehaus hinter der Kirche hing. Ich war froh, aber ich hätte mir den ganzen Weg nach Vallendar sparen können, wenn die Frischke bei uns angerufen hätte, die dumme Nuß.

      Auf dem Heimweg kam mir Michael Gerlach entgegen. Auch das noch. Er ging immer weiter auf mich zu, und es gab keinen Seitenweg mehr zum Ausweichen.

      »Katche fällt aus«, sagte ich, als wir uns gegenüberstanden.

      Das sei ja fast zu schön, um wahr zu sein, sagte Michael, und wir gingen zusammen durchs Wambachtal zurück. Gerlachs hatten sich einen Wellensittich zugelegt, den ich mir noch ansah. Der pickte immer nach einem kleinen Spiegel in seinem Käfig.

      Gegen Rot-Weiß Essen spielte Gladbach nur unentschieden. 1:0 Heynckes (14.), 1:1 Wörmer (25.). In der Torjägerliste lag Heynckes mit 17 Toren gleichauf mit Sandberg. Danach kamen Gerd Müller und Dieter Müller (je 14), Fischer (13), Kostedde und Balte (12) sowie Burgsmüller, Lippens, Simonsen, Ohlicher, Geye, Hölzenbein und Stolzenburg (11).

      Wenn Michael eine Stunde mehr hatte, pflanzte ich mich auf dem Schulhof vom Max von Laue auf eine Bank hin und las den Kicker oder kuckte den Idioten zu, die da freiwillig Basketball spielten. Blöder als Basketball waren nur noch die Sportarten Skispringen und Dressurreiten, und am blödesten war, wie sich die Waltons unterhielten, die jetzt sonntags abwechselnd mit Bonanza liefen: »Elizabeth, würdest du mir den Vanille-Extrakt geben?« Wenn das der Wilde Westen war, wollte ich lieber in Koblenz bleiben.

      Am ersten Osterferientag übte Renate im Garten ihre Reifenkür fürs Sportabitur und mußte sich vom rasenmähenden Walroßfilius anstarren lassen, der Renate auch was zurief von wegen mal ’n Täßchen Kaffee trinken gehen zusammen, und sie mußte dem verklickern, daß sie bereits in festen Händen sei.

      Abends spielte Deutschland gegen England, in London, auf nassem, matschigem Boden, ohne Dietz, und Heynckes wurde erst in der 70. Minute für Kostedde eingewechselt, und das Ergebnis war dann auch danach. 1:0 Bell (26.), 2:0 Macdonald (66.). Nie und nimmer hätte ich vorm eigenen Strafraum so riskant quergepaßt wie Bonhof und Körbel.

      Papa brachte Wiebke und mich nach Jever. Auf dem Fernsehgerät stand eine Vase mit Weidenkätzchen, und an der Wand hing ein wertvolles Ölgemälde, das Opa darstellen sollte, von Arthur Eden Sillenstede gemalt, aber das hatte nicht viel Ähnlichkeit mit Opa. Die Augen waren falsch, das Kinn war viel zu dick, und Opas Kopf war nicht so eckig wie auf dem Bild.

      Daneben hing ein Wappenteller, den Opa 1974 für seine Verdienste als Ortsbeauftragter der Lebensabendbewegung gekriegt hatte.

      Wow. Ein Teller für zum An-die-Wand-Hängen!

      In den Schloßgarten ging Gustav nur einmal mit. Er hatte sich in Göttingen als Studiosus eine Wampe angefressen oder angesoffen, und wenn er nicht für sein Jurastudium ochste, saß er vorm Fernseher, mit dem Pfeifenwagen neben der Sessellehne. Drei Dinge braucht der Mann. Gustav rauchte aber lieber Hickory Hill als Stanwell. In Reserve hatte er auch eine Tabaksdose, auf der ein Bobby abgebildet war. Exclusiv de Luxe.

      Zum Speien fand Gustav alle Politiker von der SPD und besonders Horst Ehmke. Gustav war für die CDU. In der Bundesliga war er neutral. In Hannover hatte er im Niedersachsenstadion das WM-Spiel Holland gegen Uruguay gesehen, und da waren ihm die holländischen Schlachtenbummler auf den Zeiger gegangen mit ihrem Gebrüll: Oranje went de Wereld-Cup …

      Über Fußball wußte Gustav alles, auch über den Bundesligaskandal, wie Tasmania Berlin die Lizenz entzogen worden war, und über das Wembley-Tor, das Deutschland 1966 den Sieg in der Weltmeisterschaft gekostet hatte, obwohl der Ball nur von der Latte auf die Torlinie und dann ins Feld zurückgeprallt war.

      Schön war es, in Gustavs vielen Fußballbüchern zu schwelgen. »Die fangen immer bei Adam und Eva an«, sagte er, und das stimmte. Eins begann mit einem Ausspruch des chinesischen Dichters Li Yu (50–136 n. Chr.): Ein runder Ball und ein viereckiges Tor seien Symbole für Yin und Yang. Der Ball gleiche dem vollen Mond, wenn die beiden Seiten sich begegnen.

      Die Großen im Tor. Gordon Banks, Gyula Grosics und Lew Jaschin, der Stürmerschreck, von Autogrammjägern umlagert. Heiner Stuhlfauth, nach dem in Nürnberg eine Straße benannt worden war, Toni Turek, der Fußballgott, Hans Tilkowski, der Mann ohne Nerven, und Petar Radenkovic vom TSV 1860 München: An den Armen hängen Hände vom Format mittlerer Bratpfannen.

      Sepp Maier, fangsicher im wildesten Schlachtgetümmel.

      Fußballkanonen – Fußballasse. Die Großen im Sturm. Ihr Ruhm klingt fort in Palästen und Hütten, er überspannt Ozeane und Kontinente.

      Sir Stanley Matthews. Von der englischen Königin zum Ritter geschlagen. Beherrschte als Rechtsaußen alle Tricks der Körpertäuschung und spielte noch als alter Mann, mit vierzig Jahren, für die englische Nationalmannschaft.

      Oder Ademir. Oder George Best, der einmal einen Schiedsrichter mit Schlamm beschmissen hatte. Oder Bimbo Binder, der Freistoßspezialist: 1006 Tore!

      Vor entscheidenden Spielen hatte sich Bobby Moore nie rasiert, so daß er 1966 unrasiert der englischen Königin gegenübertreten mußte.

      Bobby Charlton, 106 Länderkämpfe. Jahreseinkommen über 100000 Mark.

      Eusebio von Benfica Lissabon. Acht Geschwister. Hatte mit 15 sein erstes Paar Schuhe bekommen. Torschützenkönig der WM 1966. Der schwarze Panther. Den mußte man auch vergöttern, so wie Just Fontaine, Francisco Gento, Sándor Kocsis und die schwarze Perle Pele. Der sollte seine ersten Fußballschuhe im Tausch für eine Holzeisenbahn bekommen haben und hatte schon mit 17 Jahren bei der WM in Schweden mitgespielt.

      Ferenc Puskás, der Major unter den Csárdásfürsten. Enkel des schwäbischen Einwanderers Franz Purzel. Schoß mit links, genau wie ich. Konnte Bällen Effet geben und hätte es 1954 verdient gehabt, als Weltmeister vom Platz zu gehen. Danach hatte Puskás für Real Madrid gespielt und war 1960, 1961, 1963 und 1964 Torschützenkönig geworden. Vier von sieben Toren hatte er allein im Europapokalfinale am 18. Mai 1960 in Glasgow gegen Eintracht Frankfurt geschossen. Die anderen drei Tore für Real Madrid hatte Alfredo di Stefano beigesteuert. Im Garten von di Stefanos Villa stand ein Fußball aus Marmor auf einem Sockel, mit den eingemeißelten Worten: Dir verdanke ich alles.

      Aber auch die Deutschen konnten sich sehen lassen. Helmut Rahn, genannt der Boß, oder Morlock, Posipal, Turek, Liebrich und Schäfer. Max Morlock hatte rund 700 Tore für den 1. FC Nürnberg geschossen! Und dann Fritz Walter oder Uwe Seeler erst als Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft. Als Seeler 1965 die Achillessehne gerissen war, hatte man den Knall noch unterm Tribünendach gehört, und bei der WM in Mexiko hatte Seeler ein Tor mit dem Hinterkopf erzielt. Oder Gerd Müller: Der hatte als Sechzehnjähriger für den TSV Nördlingen einmal 197 Tore in einer Saison geschossen, davon 17 in einem einzigen Spiel. Ein Goalgetter mit untrüglichem Torinstinkt.

      Die ausländischen Vereine hatten allerdings fast alle elegantere Namen als die deutschen.