gefällst du dir?« fragte Mama. Sie hatte mir zugekuckt, und da hätte ich am liebsten den Spiegel zerschmissen.
Als die ersten Gäste klingelten, Onkel Walter und Tante Mechthild samt Trabanten, thronte Mama auf dem Lokus, und dann klingelte noch das Telefon.
Erst kamen alle zu uns, Onkel Rudi und Tante Hilde mit Franziska, Alexandra und Kirstin, Tante Dorothea und Onkel Jürgen, Onkel Dietrich und Tante Jutta, und als zu guter Letzt Onkel Edgar mit Tante Gertrud, Oma Schlosser und dem zarten Bodo ankutschiert kam, sollte die ganze Sippe wieder in die Autos einsteigen und zum Restaurant Humboldthöhe fahren zum Mittagessen. Da hätten wir uns gleich mit allen Mann versammeln können, aber hinterher ist man immer schlauer.
Ein Großonkel war unter den Gästen, Heinrich Schlosser, mit Haaren wie aus Zuckerwatte. Tante Gertrud war operiert worden.
Ich durfte bei Onkel Dietrich mitfahren.
In dem Restaurant standen Platzkarten auf den Tischen. Oma saß am Kopfende und ich in der Mitte zwischen Mama und Bodo und gegenüber von Renate.
Vom Fenster aus konnte man den Rhein und die Insel Niederwerth sehen, aber ich mußte mit dem Rücken zum Fenster sitzen, und aufstehen und rumrennen durfte ich nicht. Der Tisch war mit Rosengestecken geschmückt.
»Wenn du dich hier mit irgendwem in die Wolle kriegst, setzt’s was«, sagte Mama, als Bodo sich ein Schinkenröllchen von meinem Teller geklaut hatte.
Es gab auch Rinderzunge, was Renate widerlich fand. Da sei jahrelang Rindersabbel drauf rumgelaufen. Wiebke hatte sich den ganzen Teller vollgeladen, aber nach den ersten drei Bissen konnte sie schon nicht mehr. »Da waren wohl die Augen größer als der Magen«, rief Onkel Edgar von hinten.
Onkel Jürgen rechnete im Kopf den Schlankheitsgrad von allen Verwandten aus. Körperlänge geteilt durch Gewicht. Die Ergebnisse krakelte er mit Kugelschreiber auf einen Untersetzer. Wer am fettesten war. »Man zeigt nicht mit dem nackten Finger auf angezogene Leute!«
Papa stand auf und hielt eine Rede über die Vergangenheit der Familie in Schirwindt und Lötzen und Marienwerder, und wir sollten alle das Glas erheben auf Oma, aber meins war schon leer.
Dann ging es bei uns im Wohnzimmer weiter mit Kirschtorte und Erdbeertorte. Papa hatte Metallklemmen für die Tischtücher beschafft.
Onkel Heinrich und Onkel Dietrich rauchten Zigarre. Tante Jutta, die ein feuerrotes Kleid anhatte, paffte Zigaretten.
Für die Stücke, die Renate und ich im Hobbyraum auf dem Klavier vorspielten, wurden wir mit Applaus überschüttet, aber beim Spielen hatten alle gequatscht.
Die beiden unordentlichen Bodenräume wurden beim Rundgang durchs Haus ausgelassen. Aus Renates Zimmer nahm Onkel Jürgen ein Pippi-Langstrumpf-Buch mit und las laut daraus vor: Große Menschen haben niemals etwas Lustiges. Sie haben nur einen Haufen langweilige Arbeit und komische Kleider und Hühneraugen und Kumminalsteuern.
Mama hatte Schnittenteller und Schüsseln mit Erdnußflips auf den Wohnzimmertisch gestellt, und Papa öffnete die Falttür, damit man auch sein Arbeitszimmer sehen konnte und die Regale mit den gebundenen Jahrgangsbänden der VDI-Zeitschrift.
Neun Leute übernachteten bei uns. Im Hobbyraum hatte Mama für alle Kinder ein Luftmatratzenlager aufgebaut und mußte noch achtmal runterkommen und mit uns schimpfen, bis Ruhe war. Die Großen lärmten oben aber noch viel länger und lauter als wir.
Nach dem Frühstück wurde lebhaft über die besten Fahrtrouten nach Dortmund und Hannover und Bielefeld diskutiert. Volker sollte den Shell-Atlas aus dem Peugeot holen, aber der Shell-Atlas war nicht da. Papa mußte selbst hingehen, und dann fahndeten wir alle fieberhaft nach dem verschwundenen Shell-Atlas. Onkel Edgar hatte auch einen im Auto, aber das war ein ganz oller, noch von 1957, mit dem er keine große Ehre einlegen konnte.
Als alle weg waren, kuckten wir Derrick. Da wurde eine Internatsschülerin von einem Triebtäter kaltgemacht. Doof war, daß es nichts zu raten gab, weil man den Mörder schon von Anfang an kannte.
Wie sich Gladbach in Offenbach gehalten hatte, konnte ich erst dem Kicker entnehmen. 1:0 Hickersberger (2.), 1:1 Allan Simonsen (34.), 1:2 Simonsen (41., Foulelfmeter), 2:2 Ritschel, (47., Foulelfmeter), 2:3 Simonsen (57.), 3:3 Kostedde (70.), 4:3 Schwemmle (78.). Damit war Gladbach auf den zehnten Tabellenplatz zurückgefallen.
Am letzten Herbstferientag jedoch schlug Gladbach Olympique Lyon im UEFA-Cup mit 1:0. Weiter so! In der 74. Minute war Del’Haye für Kulik gekommen.
Im Europapokal der Pokalsieger unterlag Eintracht Frankfurt Dynamo Kiew mit 2:3 (1:1), und im Europapokal der Meister besiegte Bayern München den 1. FC Magdeburg mit 3:2 (0:2). Nach Toren von Hoffmann und Sparwasser hatte Gerd Müller mit einem Tor und einem verwandelten Foulelfmeter den Gleichstand erzielt, und in der 69. Minute hatte einer von den doofen Magdeburgern noch ein Eigentor geschossen. Leider nicht Sparwasser. Das hätte ich dem gegönnt.
Sparwasser, was das schon für ein Name war, verglichen mit Beckenbauer.
Mit dem Surges machten wir einen Klassenausflug zum Schloß Stolzenfels. Erst mit dem Bus und dann zu Fuß den Berg hoch, unter einem Viadukt durch oder was das war. Boris Kowalewski meldete sich mit Magenschmerzen ab und durfte nachhause, dabei war er nur zu faul, die steile Straße raufzugehen. Dann wollte sich auch Erhard Schütz mit Magenschmerzen abmelden, aber weil er eben noch laut gelacht und mit Kastanien geworfen hatte, glaubte ihm der Surges nicht.
Oben von der Brüstung aus konnte man die Horchheimer Höhe sehen. Die anderen wohnten da wahrscheinlich immer noch, Stracks und Kasimirs und alle, nur wir nicht. Kalli mit seiner Lakritzekiste. Auf welche Schule Uwe jetzt wohl ging?
Im Schloß mußte man Pantoffeln anziehen. So ähnlich hatte es wohl auch in der Sporkenburg ausgesehen, als die noch in Schuß gewesen war. Wie die Leute früher gelebt hatten, ohne Heizung und Fernsehen, aber alles voll mit Ritterrüstungen, Schwertern, Wendeltreppen und Gemäldeschinken. Die Ausgießung des Heiligen Geistes an der Wand und im ganzen Schloß kein Klo.
Der Surges hastete immer von einer Ecke in die andere und schwitzte Blut und Wasser vor Angst, daß wir was umschmeißen könnten.
Als Mama mir mittags aufmachte, sah ich sofort, daß sie drauf und dran war, mich einen Kopf kürzer zu machen. Was war denn jetzt schon wieder los?
»Du brauchst mich gar nicht so scheinheilig anzukucken«, sagte sie. »Komm mal mit!« Sie führte mich in die Küche, und da lag das gesamte zeichnerische Werk von Boris Kowalewski und mir, Blatt für Blatt, ein Fickbild neben dem anderen, vom Brotschapp bis zur Heizung.
Dat bringt Kinner.
Ich ließ meine Schultasche fallen, rannte in mein Zimmer und wollte die Tür zuschließen, aber Mama hatte nicht nur meinen Schrank durchwühlt, sie hatte auch den Türschlüssel konfisziert.
Als sie zum Essen klingelte, ging ich nicht hin, auch nach zweimaliger Aufforderung nicht. Meinen Teller kriegte ich später von Renate gebracht. Pichelsteiner Topf.
Mein Zimmer verließ ich erst, als ich mußte. Die Küchentür stand offen, und die Zettel waren weg. Im Wohnzimmer unterhielten sich Renate und Mama. Durch die Tür war nicht viel zu verstehen, nur Genuschel und Klingklang von Löffeln und Kaffeetassen.
Da herrschte wohl noch immer dicke Luft.
Ich beschloß, ein artiger Junge zu werden. So wie Hansjoachim. Gute Zensuren nachhause bringen, viel Klavier üben, freiwillig zum Friseur gehen und immer gehorchen. Nie wieder Wiebke ärgern, Scheiße sagen oder den Staubsaugerstecker am Kabel aus der Steckdose ziehen. Im Fernsehen nur noch ernste Sachen kucken, Gesundheitsmagazin Praxis oder Ehen vor Gericht statt Trickfilmzeit mit Adelheid, und als Belohnung dafür nachts den Boxkampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman.
Lammfromm werden. Die Kinderbibel lesen: Jetzt mußt du einmal gut zuhören. Denn ich werde dir erzählen, wer alles erschaffen hat. Weißt du wohl, woher dein Essen kommt? Das dicke Butterbrot, das du gerade gegessen hast? Nun, die Mutter hat es dir fertiggemacht,