Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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extra Papierhülle.

      Wenn ich Mama gewesen wäre, hätte ich alles auf einen Satz aufgefressen, aber Mama ließ sich nur ein einziges Exemplar auf der Zunge zergehen und versteckte die angebrochene Schachtel.

      Ich suchte überall, aber das Versteck war zu gut.

      Mit Michael Gerlach war ich wieder viel im Wambachtal und im Wyoming. So hatte ich den Wald getauft, der hinter der Straße zwischen Vallendar und Hillscheid anfing.

      Michael zeigte mir, wie man Autofahrern einen Streich spielen konnte. Wir stellten uns gegenüber an den Straßenseiten hin und taten so, als hielten wir ein über die Fahrbahn gespanntes Seil fest. Wenn die Fahrer dann auf die Bremse latschten, waren sie reingefallen. Einige hupten oder brüllten irgendwas, aber einmal lachte auch einer und schlug sich an die Stirn. Der hatte auch nicht NR-CR auf dem Nummernschild stehen, sondern K wie Köln. Von den Fahrern mit NR-CR als Kennzeichen lachte nie einer. Das waren allesamt Griesgrame und Sauertöpfe.

      Im Straßengraben fanden wir ein dunkelgrünes Buch. In Farbe war vornedrauf ein strotzendes Paar Brüste abgebildet. Die Seiten waren zum Teil schon bröselig, aber die meisten konnte man noch gut entziffern.

      Wir suchten uns eine stille Stelle im Wyoming, und dann lasen wir uns gegenseitig das Buch vor, immer Michael ein Kapitel und ich eins. Das Buch handelte von einem Mann, der sich vorgenommen hatte, jeden Tag eine andere Frau zu ficken, und jedesmal anders. Von unten, von oben, von vorne, von hinten und in den Mund und ins Arschloch. »Ich bin ja mal neugierig, welche Löcher der jetzt noch finden will«, sagte Michael. Da hatten wir das Buch erst zur Hälfte durch.

      Im nächsten Kapitel wurde ein Tittenfick beschrieben. Der Typ saß in einem Hotelzimmer in Paris auf dem Bauch von einer Stewardeß, die er im Flugzeug aufgegabelt hatte, und träufelte ihr Öl auf die Möpse, um sie flutschiger zu machen. Es war schon spät, als wir das Kapitel durchhatten, und ich wollte die erste Folge von Die Gentlemen bitten zur Kasse kucken.

      Wir versteckten das Buch in einer Kuhle im Wyoming. Als wir wieder hingingen und weiterlesen wollten, war das Buch nicht mehr da. Wir wühlten die ganze Kuhle durch und ließen keinen Stein auf dem andern, aber das Buch war futschikato. Das hatte sich irgendein Sittenstrolch unter den Nagel gerissen.

      Schöne Scheiße. Jetzt würden wir nie erfahren, was der Typ noch alles angestellt hatte.

      Bei Gerlachs stand jetzt eine Tischtennisplatte im Keller. Wenn der Ball von der Netzkante aus auf die gegnerische Hälfte purzelte, mußte man »Sorry« sagen. Vorne, hinten und an den Seiten standen Wäscheständer und Vitrinen im Weg und ein zersessenes Sofa, und man mußte permanent auf dem Fußboden rumkriechen und die Bälle suchen, die sich oft auch unter der Bügelmaschine verkeilt hatten, wo man schlecht drankam.

      Oder Fußballspielen auf der Straße. Da flog der Ball halt manchmal in die Vorgärten der Nachbarn, und der eine, so ein Arsch mit Ohren, der sich viel auf seine Rosenzucht einbildete, rief mir zu, daß er den Ball, wenn er das nächste Mal in den Rosen lande, persönlich mit dem Küchenmesser in Stücke schneiden werde.

      Vorm Haus übte ich Pässe mit einem siebenjährigen Mädchen von gegenüber, das hart schießen konnte und einen Haarschnitt hatte wie Mireille Mathieu. Ob die Eltern das mitkriegten, daß deren Lütte hier mit einem viel älteren Jungen Fußball spielte?

      Einmal kam der Ball hoch an, und als ich ihn auffangen wollte, knickte mir der linke Zeigefinger nach hinten um. Mama fuhr mich ins Krankenhaus. Da wurde der Finger geröntgt, und ich kriegte einen Gipsverband, meinen allerersten.

      Für den Garten wurden neun Tonnen Sand geliefert und mußten eimerweise verteilt werden. Renate trug 138 Eimer voll, Volker 152 und ich nur 43, weil ich immer noch den Gipsfinger hatte.

      Das Handgelenk unterm Gips tat mir weh. Beim Abnehmen zeigte sich, daß er gebrochen war und die Haut eingeklemmt hatte. Die lag wie ein Regenwurm auf dem Gelenk und mußte mit Jod behandelt werden.

      »Nun tu nicht so, als ob du hier ermordet wirst«, sagte Mama, als ich aufjaulte. Um mir Mitleid zu verdienen, hätte ich hungern müssen wie Papa im Krieg, bis man die Rippen einzeln zählen konnte.

      Einmal rief Tante Dagmar an und wollte Mama sprechen. Das Telefonat dauerte fast eine Stunde. Danach setzte Mama sich ins Wohnzimmer und las den Stern.

      Was die wohl zu bekakeln gehabt hatten. Als ich Mama fragte, sagte sie: »Das laß mal meine Sorge sein.«

      Vielleicht hatte Tante Dagmar von ihr wissen wollen, ob es was ausmache, wenn beim Geschlechtsverkehr einige Tröpfchen Harn in die Scheide gelangten.

      »Aha!« rief ich aus und wollte die Tür hinter mir zuziehen, aber ich wurde zurückgepfiffen.

      »Was soll das bitte heißen, dieses Aha?«

      »Gar nichts.«

      »Dann tu auch nicht so altklug.«

      Der Fußballverein bei uns hieß Grün-Weiß Vallendar. Wenn ich da eintreten wollte, brauchte ich Fußballschuhe, aber bevor Mama mir welche kaufte, mußte ich ihr versprechen, mindestens ein Jahr lang durchzuhalten in dem Verein. Hatte die ’ne Ahnung! Aber das war typisch Mama. Hatte einen kommenden Weltmeister leibhaftig vor sich stehen und fing an, über den hohen Preis von Fußballschuhen zu lamentieren.

      Ich wollte Schuhe von Puma haben, weil die leichter zu putzen waren als die von Adidas mit den schmalen weißen Längsstreifen. Bei den Pumas waren es nur zwei breite Querstreifen pro Schuh. Da kam Deckweiß drauf, und zum ersten Mal im Leben hatte ich Lust, in der Waschküche zu stehen und meine Schuhe zu bürsten. Lieber als welche mit Gummistollen hätte ich aber welche mit Schraubstollen gehabt.

      Irgendwann würden meine Pumas mal in einem Museum stehen. »Mit diesen billigen Galoschen hat der Junge damals seinen ersten Tore geschossen, und dann ist er fünfmal nacheinander Weltmeister geworden!«

      Mama rief bei Grün-Weiß Vallendar an, und ich wurde zum Training der C-Jugend bestellt. Da sollten Elfmeter geschossen werden. Mama kam mit. Ich lief an und schoß mit rechts, weil ich dachte, das gehöre sich so, aber mit rechts war bei mir kein Bums dahinter. Der Fußball trudelte in die Arme des Torwarts, und ich wurde der D-Jugend zugeteilt.

      Der Trainer hieß Schreiner. Das war ein Opa mit Schiebermütze, der beim Laufen immer seine Trainingshose hochzog, wobei ich einmal seinen blanken Arsch sehen konnte. Unter der Trainingshose hatte der Schreiner keine Unterhose an.

      Wir machten Liegestütze und übten Eckstöße.

      Ich hätte einen sagenhaft lahmen ersten Schuß abgegeben, sagte Mama abends, und da sei sie nachhause gegangen.

      Weiß der Kuckuck, weshalb ich nicht gleich mit links geschossen hatte.

      Trainieren und spielen mußten wir auf Schlacke. Es waren nicht immer Tornetze da, und es wurde oft gestritten, ob der Ball innen oder außen am Pfosten vorbeigeflogen war.

      In der D-Jugend hatten die meisten keinen blassen Schimmer vom Fußballspielen. Der beste Stürmer war ein Knabe, der im Asozialenhochhaus wohnte, und ich war auf der Hut vor dem. Nachher war das noch ein Vetter vom Ventilmops oder ein Neffe vom Trebitsch.

      Kapitän war ein Blondschopf mit Quadratlatschen, der gleich im ersten Spiel ein Eigentor schoß. Wir gewannen mit 2:1, aber ich wußte nicht mal, gegen wen.

      Beim Training übte der Schreiner mit uns Ballannahme, Elfmeter, Doppelpaß und weiten Einwurf. Sich freilaufen und wie man eine Mauer baut und die Hände zum Schutz vor die Eier hält.

      Auf der Hutablage eines Autos sah ich in Koblenz den neuen Kicker liegen, mit Karl-Heinz Schnellinger auf der Titelseite.

      Gustav als größter Fußballfachmann der Sippe hatte in Jever schon eine ganze Sammlung von alten Kickern. Jetzt wollte ich mir auch eine zulegen. Ich hatte noch genug Taschengeld, um mir am Busbahnhofskiosk den Kicker zu kaufen.

      In der Galerie der Weltmeister war ein Farbfoto von Sepp Maier. Rausreißen und aufhängen? Oder den Kicker lieber unversehrt sammeln?

      Mann