Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Roos, Roberto Blanco, Graham Bonney, Lena Valaitis, Rex Gildo und Karel Gott, und alles schön in Farbe.

      Im neuen Jahr wurde Renate der Gips abgenommen. Der Arzt schnitt ihr dabei mit seiner elektrischen Säge ins Bein.

      Einmal rund um das eigene Zimmer, ohne den Boden zu berühren. Start auf dem Kleiderschrank, von da auf den Sessel, dann auf der Fensterbank bis zum Tisch balancieren und sich am Fenstergriff festhalten. Vom Tisch auf den Schiebeschrank und aufs Bett. Mit dem Fuß die Zimmertür öffnen, auf jeden Türgriff einen Fuß setzen und an die Tür geklammert zum Kleiderschrank rüberschwingen.

      Obendrauf lag ein alter Stern, in dem drinstand, daß Enid Blyton schon 1968 gestorben sei. Mir blieb bald das Herz stehen.

      Dann würde es auch nie mehr ein neues Rätselbuch geben. Und ich hatte gedacht, das würde immer so weitergehen.

      Zum Geburtstag kriegte Volker die LP Drums Drums Drums. Ich kriegte auch was, einen neuen Füller, weil mein alter hin war. Ein roter Pelikan. »Den mußt du in Ehren halten«, sagte Mama. Sonst werde sie mir die Flötentöne beibringen.

      Bei 3 × 9 reparierte der Zauberer Uri Geller eine Uhr nur durch Handauflegen und zerbrach eine Gabel, indem er mit dem Mittelfinger drüberstrich.

      Papa sagte, das sei Tinnef. Mit Abrakadabra Besteck zu zerbrechen, das gebe es nicht.

      Der Bosch kuckte mich mit dem Arsch nicht mehr an und hatte mich auch nie wieder nach Ehrenbreitstein mitgenommen, aber eine Eins in Musik bekam ich dann doch auf dem Halbjahreszeugnis. Auch in Sport. Zweien hatte ich in Deutsch und Physik und Betragen. Und eine Vier in Mathe.

      »Sonderlich mit Ruhm bekleckert hast du dich da nicht«, sagte Mama.

      Volkers Zensuren waren besser geworden. Deutsch, Mathe und Französisch 3, Englisch 4, aber dafür Bio 2 und Physik 1. Er kam auch langsam in den Stimmbruch und ließ sich ein Radiergummibärtchen stehen, und abends ging er manchmal mit Renate zur Jusoversammlung oder zum Kegeln.

      Im Stern war eine Reportage über Uri Geller. Minutenlang starrte Geller auf die Schalttafel der Hochfellner Seilbahn. Plötzlich hielt die Bahn an.

      Papa sagte wieder, das sei fauler Zauber, und wir sollten nicht alles glauben, was in der Zeitung stehe. Das täten nur abergläubische Landpomeranzen.

      Bei Volkers Geburtstagsparty spielte Renate den Disc-Jockey. Nach Hansjoachim, Kalli und Michael Gerlachs Bruder Harald kamen noch zwei aufgedonnerte Weiber, die ich nicht kannte. Auf welches von den Weibsen Volker wohl ein Auge geworfen hatte?

      Um elf Uhr sprach Papa ein Machtwort und bereitete dem Affentanz im Hobbyraum ein Ende.

      Der Kli-Kla-Klawitter-Bus war ein Riesenmist. Wir wollen lachen, lernen, lesen, schreiben, rechnen fast bis zehn, wir wollen Straßen, Städte, Länder, Menschen ganz genau besehn …

      Wer war schon so meschugge, freiwillig in einen Bus zu steigen, um dadrin mit Klicker und Klamotte Rechenaufgaben zu lösen?

      Aller Wahrscheinlichkeit nach blieben wir nun doch in Koblenz wohnen. Papa baute die Garage zur Werkstatt aus und zimmerte Regale an die Wände.

      Wenn Olaf zu Besuch kam, weil er wieder was von Renate wollte, kriegte Papa das gar nicht mit. Und daß Muhammad Ali Joe Frazier nach Punkten besiegt hatte, erfuhr Papa erst von uns.

      Es plästerte. Wiebke half Olaf beim Verteilen von SPD-Reklame, mit Südwester auf, und mobilisierte auch ihre Freundin Nicole, die jüngere Schwester von Stephan Mittendorf. Als die dann bei sich selbst was in den Briefkasten stopfte und Frau Mittendorf das mitkriegte, ging es rund, und es hätte nicht viel gefehlt, daß Frau Mittendorf Olaf angezeigt hätte wegen Verführung Minderjähriger.

      Das schöne alte rote Sofa aus dem Keller kam auf den Sperrmüll. Aus meinem Zimmerfenster sah ich zu, wie es in die Walze hinten auf dem LKW befördert und zermalmt wurde.

      Dafür kam das schwarze Sofa von oben in den Hobbyraum. Fürs Wohnzimmer hatte Mama eine Sitzlandschaft bestellt, mit beliebig kombinierbaren Elementen aus braunem Feincord. Die lose aufliegenden Polster rutschten aber immer runter von ihren Blöcken, wenn man nicht stillsaß.

      Da sitze man ja wie der Affe auf dem Schleifstein, sagte Papa, als er die neuen Polstermöbel getestet hatte, und dann war er noch bis in die Puppen mit der Reparatur der Strickmaschine beschäftigt.

      Als fällig betrachtete Mama für 1974 auch eine neue Waschmaschine und verkniff sich deswegen die geplante Reise nach Venezuela.

      An Weiberfastnacht kam Papa schlechtgelaunt nachhause. Zwei Frauen hätten versucht, ihm auf dem Parkplatz vorm BWB den Schlips abzuschneiden, und als er denen die Autotür vor der Nase zugeschlagen habe, seien sie noch frech geworden und hätten ihm nachgekiffen, daß er wohl keinen Spaß verstehe.

      Ich ging Karneval als Pirat. Wiebke ging als Micky Maus, und Renate und Mareike gingen als Rockerbräute. Renate hatte sich breite Litzen dafür an die Hosenbeine genäht. Beim Karnevalszug in Koblenz fiel aber keiner von uns auf.

      Volker hatte vor, in den Sommerferien auf einem Frachtkahn zu arbeiten und was von der Welt zu sehen. Mama erkundigte sich bei Verwandten in Hooksiel. Die sagten, das gehe durchaus, aber es sei kein Job für Sensibelchen.

      Renate wollte mit den Jusos nach Paris reisen. Alle hatten was vor, nur ich nicht, bis ein Anruf kam von Uwe Strack, ob ich Lust hätte, in einem Jugendzentrum in Pfaffendorf einen Western mit Charles Bronson zu kucken.

      Uwe und sein Vater holten mich im Auto ab. An den Oberarmen hatte Uwe Muckis gekriegt, fast wie Popeye, wenn der seine in den Oberarmen gehabt hätte statt in den Unterarmen. Gewachsen war Uwe mehr in die Breite als in die Länge, und er hatte immer noch ein grünes und ein blaues Auge.

      Spiel mir das Lied vom Tod hieß der Film. Da wußte man nie, was Rückblenden waren und was nicht, und nach zwei Stunden tat einem der Hintern weh vom Sitzen.

      Uwe fand Charles Bronson gut. Ich nicht so. Ich fand auch Uwe Strack nicht mehr so gut wie früher.

      »Da mach dir man nichts draus«, sagte Mama, als sie mich wieder nachhause brachte. Das sei der Lauf der Welt.

      Zum Klassentreffen in Jever fuhr Mama alleine. Papa wollte nicht durch halb Deutschland zigeunern, bloß um einen Abend lang irgendwo rumzuschwofen.

      Ich hatte noch Taschengeld übrig und durfte schon wieder ins Kino, zusammen mit Volker und Renate und vier Typen aus Renates Clique, Olaf und Hopper und Didi und Motz. Im Bus las Renate denen Lehreraussprüche vor, die sie im Unterricht mitgeschrieben hatte. »Als Napoleon gestorben war, beschloß man, daß er Frankreich nie mehr betreten durfte.« Oder: »Die Form der Samenschale ist weißgefärbt.« Oder: »Noch nicht ganz verstanden? Oder fehlt da irgendwo eine Lücke?«

      Die Abenteuer des Rabbi Jacob. Da schlidderten welche über eine Rutschbahn in einer Kaugummifabrik in einen Kessel mit flüssiger grüner Kaugummimasse rein, zum Kranklachen.

      Ich legte mir wieder ein Tagebuch zu und stellte über Nacht einen Becher in den Garten, um die Niederschläge zu messen und im Tagebuch notieren zu können. Das wollte ich jetzt immer machen. Nächtliche Niederschläge und dreimal am Tag die Außentemperatur. Einkleben konnte ich auch alle von Mamas Einkaufszetteln.

      Um neuen Stoff für mein Tagebuch zu kriegen, sah ich mir im Hobbyraum den blauen Bock an. Oben durfte ich das nicht.

      Frauen im Dirndl und der dicke Heinz Schenk. Die Becher hießen Bembel, und innendrin war Äppelwoi.

      Renate kam rein und schüttelte den Kopf. Ich hätte wohl ’ne Meise unterm Pony. »Sitzt im Keller und kuckt den blauen Bock!«

      Den fanden alle doof. Eben deshalb hätte ich ihn gerne gut gefunden, aber das war zuviel verlangt. Nach einer halben Stunde hatte ich genug davon für den Rest des Lebens.

      Flitzer waren jetzt in. Rannten nackt rum, bis sie verhaftet wurden, nur auf dem Mallendarer Berg nicht.

      Die Osterferien