Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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auf, die vorhandenen Pfeifen unseres Vaters einer genauen Inspektion zu unterziehen und dann wiederzukommen.

      Wir stahlen uns davon. Wie bei Kalle Blomquist war das ganz und gar nicht gewesen, eher wie im Mainzelmännchen-Minikrimi. Aber irgendwas ging da nicht mit rechten Dingen zu, das sagte mir mein sechster Sinn. Der Kleiber hatte Dreck am Stecken.

      Interpol einschalten? Scotland Yard und das FBI? Hallo, hier spricht Spezialdetektiv Martin Schlosser?

      Nach Indizien suchte ich überall, auch in den verwaisten Gastarbeiterbaracken oberhalb der Gartenstadt.

      Ich stieg durch ein Fensterloch ein. Auf dem Boden lagen ausländische Zeitschriften rum und angegammelte Postkarten. Caro Paolo, tutti noi siamo felice di leggere che stai in buona salute. Wenn der Trebitsch eine internationale Verschwörung angezettelt hatte, konnte jede einzelne Karte wichtig sein. Erpressung oder Diamantenschmuggel. Und die Polizei war am Pennen, wie gewöhnlich.

      Leider waren die meisten Postkarten schimmelig. Ich hätte auch nicht gewußt, wohin damit, und wer sollte die übersetzen?

      Plötzlich rüttelte jemand an der Türklinke.

      Ich hielt den Atem an und stand stocksteif an der Wand.

      Es wurde weiter an der Klinke gerüttelt.

      Jetzt kommt das dicke Ende, dachte ich, und der Trebitsch macht mich alle, aber als ich lange genug dagestanden hatte, kehrte wieder Ruhe ein, und ich lief nachhause.

      Vielleicht hatte der Trebitsch ja auch einfach nur seine Frau gekillt. Einen ganzen Nachmittag lang suchten Michael Gerlach und ich den Friedhof in Vallendar nach Grabsteinen mit dem Familiennamen Trebitsch ab. Das war eine schweißtreibende Angelegenheit. Welcher Idi hatte sich bloß einfallen lassen, den Friedhof am Hang anzulegen, mit einer Milliarde Treppenstufen?

      Wir fanden keinen einzigen Trebitsch auf dem ganzen gottverfluchten Friedhof, und als ich aus dem einen Wasserhahn was trinken wollte, schnauzte mich eine Oma an. Als ob ich der ihr Blumenwasser weggesoffen hätte.

      Bei Aktenzeichen XY hielt ich Papier und Bleistift bereit. Sachdienliche Hinweise nahmen alle Polizeidienststellen und die Aufnahmestudios entgegen. Für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führten, konnte man mitunter bis zu tausend Mark kassieren. Ich wartete auf ein Phantombild vom Trebitsch. Dann hätte ich sofort Eduard Zimmermann, Werner Vetterli und Teddy Podgorsky informiert.

      Es ging aber immer nur um Verbrechen in anderen Städten, um Morde und Einbrüche und raffiniert eingefädelte Betrügereien, begangen von Tätern mit ausgeprägter Stirnwinkelglatze, die eine vermögende Witwe mit der Strumpfhose erdrosselt oder beim Einbruch Tatwerkzeuge hinterlassen hatten, Schraubenzieher oder Vorschlaghämmer oder Fleischmesser, von denen ich nicht wußte, ob sie dem Trebitsch gehörten.

      Erste Ergebnisse kamen erst nach zehn Uhr abends, wenn ich nicht mehr aufsein durfte.

      Am letzten Herbstferientag wollten Michael und ich wieder zum Fernsehturm wandern. Unten im Wambachtal fanden wir eine Schnecke mit Häuschen. Ich schleuderte sie weit weg, und man hörte es pulschen, als sie genau in den Wambach fiel.

      »Du Idiot«, sagte Michael, und da mußte ich ihm leider recht geben.

      Der Attila war älter und müder geworden, der kläffte uns nur noch schlapp und der Form halber an.

      In Hillscheid stand ein Bagger, aber der sprang nicht an, auch wenn man noch so kräftig an den Kupplungshebeln rüttelte.

      Auf dem Rückweg fing es an zu regnen. Scheiße mit Reiße. Michael wollte seinen Vater anrufen, daß der uns mit dem Auto abholen kommt, aber wir fanden keine Telefonzelle in Hillscheid. Es gallerte aus allen Rohren, und wir konnten uns nirgendwo unterstellen.

      Ein Neger mit Gazelle zagt im Regen nie.

      Weil Oma und Opa Jever sich einen Farbfernseher gekauft hatten, holte Papa mit dem Auto deren altes Schwarzweißgerät ab und schloß es bei uns im Hobbyraum an. Der Apparat hatte zwei Klappen zum Zumachen und war altersschwach. Wenn man drei Augenpaare übereinander sah, mußte man ausschalten und abwarten. Je länger man wartete, desto länger blieb das Bild danach klar.

      Jetzt konnte man in den Hobbyraum gehen, wenn man in Ruhe den rosaroten Panther kucken wollte. Zu Gast bei Paulchens Trickverwandten. Denn du bist, wir kennen dich, doch nur Farb und Pinselstrich! Am besten gefiel mir die blaue Elise, die auf Ameisen scharf war.

      In der Stadtbücherei in Koblenz konnte man sich über Kopfhörer Platten anhören, aber die fünf Kopfhörer waren immer besetzt. Ich lieh mir eine Musiklehre für Jedermann aus und eine Biographie von Mozart.

      Romanische Quadratnoten. Dorisch, Phrygisch, Lydisch, Äolisch und Jonisch. Durkreis und Mollkreis. Das Glissando.

      Als ich das Buch über Mozart las, war ich erkältet. Ich hatte mich unten im Doppelstockbett hingelegt und preßte das Buch beim Lesen mit den Füßen oben ans Drahtgitter, damit ich die Hände freihatte zum Naseputzen.

      Klavier hatte Mozart schon als Kleinkind mit verbundenen Augen spielen können, mit einem Tuch über den Tasten. Da mußte ich mich aber ins Zeug legen, wenn ich Mozart das nachmachen wollte, bevor ich erwachsen war.

      Im November standen die Chancen für einen Umzug nach Meppen fifty-fifty. Die getrennte Lebensweise sei doch großer Käse, sagte Mama, trotz Trennungsentschädigung.

      Zum Geburtstag kriegte Papa von seinen Kollegen einen Freß- und Saufkorb geschenkt und von Renate ein Pling-Plong, das Happy Birthday spielte, wenn man an der Kurbel drehte.

      Im Zweiten kam ein Film über ein Pferd, das beim Stierkampf draufgehen sollte, und der Film war so traurig, daß ich weinen mußte. Auch Michael Gerlach hatte geweint, das gestand er mir morgens im Bus. Da hätte man aber auch ein Herz aus Stein haben müssen, um da nicht bei zu weinen.

      Wegen der Ölkrise durften sonntags keine Autos fahren. Am Dienstag kam ein Schneesturm auf, und am Freitag hatten wir rodelfrei. An der Todesbahn traf ich Michael Gerlach, der mich fragte, was mir lieber wäre, ein Jahr lang Keuchhusten haben oder nie wieder Sensationen unter der Zirkuskuppel und Väter der Klamotte kucken dürfen, sondern bloß noch Türkiye mektubu und Jugoslavijo, dobar dan.

      Als ich vom Rodeln wiederkam, saß Mama am Eßtisch und spickte den Adventskranz mit Tannengrün. Renate und Wiebke bastelten Strohsterne.

      Papa streute Sand auf die Treppe vorm Haus. Bodenfrost, Rauhreif und Glatteis. Auf dem Weg zur Bushaltestelle fror man sich einen Ast, und der Bus kam regelmäßig mit einer Viertelstunde Verspätung.

      Unter Lebkuchen, Schokoladenkugeln, Mandarinen und Haselnüssen lag am Nikolaustag ein Fünfmarkstück ganz unten in meinem Stiefel, eins von den neuen, wo der Adler nicht mehr so stachelig aussah. Fünf Mark nur für mich. Fünf Mark!

      Dann mußten wir zum Fotografen. Es sollte ein Bild von allen Kindern aufgenommen werden, für die Verwandten zu Weihnachten.

      Die Ohren machte Mama mir mit einem Q-Tip sauber. Dann sollte ich das braune Hemd mit den weißen Punkten anziehen, das ich zum Kotzen fand. Ich wollte nicht, und Mama ging die Decke hoch. Fuchsteufelswild würde ich sie machen. »Gleich rutscht mir die Hand aus!« Bockbeinige Kinder könne sie auf den Tod nicht ausstehen. »Du kannst einen wirklich zur Weißglut treiben! Keine Widerrede mehr! Du kommst jetzt mit! Und jedesmal, wenn du später das Bild siehst, sollst du daran denken, wie du heute deine arme alte Mutter gequält hast!«

      Wenn ich mal Kinder hätte, würden die mir alles heimzahlen. Darauf freue sie sich schon.

      Wiebke schmierte auf der Kellertreppe um und mußte in Koblenz noch eine neue Strumpfhose gekauft kriegen.

      Weil ich so dickfellig und obstinat gewesen war, durfte ich am Sonntag Don Blech und der goldene Junker nicht kucken.

      Nach dem Essen kam die Bekanntgabe der Hauptgewinner der Deutschen Fernsehlotterie, mit Hellmut Lange, Reinhard Mey, Udo Jürgens und Cindy & Bert. Um Mama versöhnlich zu stimmen, kochte ich Tee in der Küche und brachte die Kanne