Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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sagte Papa.

      Wiebke weinte und durfte vorne auf Mamas Schoß sitzen, aber das war auch keine Dauerlösung. »Nehmt mir mal diesen Heizofen ab«, sagte Mama und reichte uns die schweißnasse Schwester zurück nach hinten.

      Schlimm waren auch deutsche Autofahrer mit Hut.

      Cuiseaux hieß der Ort und Hotel du Commerce das Hotel, wo wir uns einquartierten. Da waren die Hauswände von Efeu überwuchert, was gut aussah, aber Mama meinte, durch solches Gestrüpp kämen bloß Käfer und Spinnen ins Haus.

      Wir kriegten Limo und Pommfritz. Weniger gut war, daß es wieder nur ein Lochklo gab.

      Am zweiten Rückreisetag ging es Renate so miserabel, daß sie sich quer hinter Wiebke und mir und Volker auf die Rückbank legte. Wenn wir pupen mußten, sollten wir Renate warnen.

      Pupen mußten wir unzählige Male. Nach einem besonders üblen Furz von mir kurbelte Papa sein Fenster runter und rief: »Da kriegt man ja das kalte Kotzen!«

      Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen.

      »Man soll nicht immer von sich auf andere schließen«, sagte Volker, wenn er selbst einen ziehengelassen hatte. »Wer’s als erster hat gerochen, dem ist’s hinten rausgekrochen.«

      Haha. Selten so gelacht.

      »Könnt ihr nicht mal aufhören, euch zu kabbeln?« fragte Mama. »Und mein Nervenkostüm zu strapazieren?«

      Zuhause stank’s wahrscheinlich total, da war ja drei Wochen lang nicht gelüftet worden. Ich wollte mit angehaltenem Atem in alle Zimmer rennen, die Fenster aufreißen und Durchzug machen, aber Mama hielt mich am Arm fest. »Benimm dich gefälligst!«

      Mein Stierkampfplakat hängte ich neben dem Kleiderschrank an die Wand, über die Siegerurkunde von den Bundesjugendspielen im Stadion Oberwerth. Oder lieber an die Tür?

      »Das kannst du halten wie ’n Dachdecker«, sagte Mama.

      Im Krankenhaus kriegte Renate die Mandeln raus. Da machte ihr Olaf seine Aufwartung. Das war er seiner neuen Flamme ja wohl auch schuldig.

      Massaker in Mosambik. Im Stern waren Fotos davon, aber Mama klebte die Seiten mit Uhu zu und sagte, wir würden nie wieder Taschengeld kriegen, wenn wir es wagen sollten, die aufzupulen.

      Im Falle eines Falles klebt Uhu wirklich alles.

      Ich zeigte Michael Gerlach meinen Stier, die Schatzkiste und das Plakat, und er sagte, daß er von sowas nur träumen könne. Mit seinen Eltern und drei von seinen fünf Geschwistern war er in den Ferien nur bei seiner Oma in Ransbach-Baumbach gewesen.

      Dafür hatte er im Wambachtal eine Hütte entdeckt, die wie geschaffen war für unsere Zwecke, und noch eine andere, in der außer leeren Underbergflaschen und einer siffigen Matratze auch Werkzeug rumlag. Hämmer und Zangen und Schrauben und Nägel, die wir uns in die Taschen stopften, um die Beute zu unserer neuen Hütte zu schleppen, wie Ahörnchen und Behörnchen den Vorrat für den Winterschlaf.

      Auf dem Weg begegneten wir einem Mann mit Schäferhund. Daß wir was in den Taschen hatten, war nicht zu übersehen. Wenn das der war, dem das Werkzeug gehörte, hetzte der vielleicht noch seinen Hund auf uns, und wir gingen schneller.

      Wo wir unseren Staudamm gebaut hatten, lag ein rostiger Gasherd im Wambach. »Tjaja, die Leutchen«, sagte Michael.

      Die Hütte wollten wir uns wohnlich einrichten. Da stand auch schon ein Stuhl drin, mit angekokelten Beinen.

      In einer Ecke fanden wir ein Heft: Prinz Eisenschwanz. Darin wurde von den Schicksalen eines Prinzen berichtet, der soviele Frauen gevögelt hatte, daß er nach seinem Tod in eine Brunnenfigur verzaubert worden war, mit einem ewiglich sprudelnden Schwanz aus Eisen.

      Ein Pferd, das auf der Anhöhe hinterm Attila mutterseelenallein in der Koppel stand, fütterten wir mit Grasbüscheln. Ich stieß mit einem Stock den Pferdepimmel an, was sich das Pferd auch gefallen ließ, und mit einemmal verlängerte sich der Pimmel bis fast zum Boden. Vor Schreck ließ ich den Stock fallen, weil ich dachte, ich hätte was demoliert an dem Pferd. Aber das machte nur große Augen und blieb wie angewurzelt stehen.

      Auf dem Rückweg machte Qualle sich vor uns breit, das Arschgesicht vom Dienst, und fing an, mit Steinen nach uns zu werfen. Das Revier hier sei seins, und wir sollten uns dünnemachen.

      Wir warfen die Steine zurück, bis Qualle mich am Kopf traf. Es tat nicht weh, aber ich blutete wie ein abgestochenes Schwein. Das sehe böse aus, sagte Michael. Wenn er ich wäre, würde er schnurstracks heimgehen und sich verarzten lassen.

      Als Qualle das viele Blut sah, rief er, das sei doch alles nur Spaß gewesen. Das fand ich gut. Der sollte ruhig ein schlechtes Gewissen haben, der alte Schubiack.

      Zuhause kuckte ich mich im Garderobenspiegel an. Ich sah gemeingefährlich aus. Kopf und Hals, Hände und Hemd und Hose, alles war voller Blut.

      Ich öffnete die Wohnzimmertür, ging aber noch nicht rein.

      »Mama?«

      »Hier bei der Arbeit!« rief sie, weil sie das immer rief, auch wenn sie nur im Sessel saß und den Spiegel las.

      »Ich komm jetzt gleich rein, aber du darfst dich nicht erschrecken.«

      »Und wieso sollte ich das?«

      »Weil ich was abgekriegt hab.«

      Das glaubte sie mir nicht. »Jetzt mach nicht so ’n langes Gewese, komm einfach rein!«

      Ich kam rein, und Mama sprang vom Sofa hoch. »Ogottogott!«

      Ich kriegte einen Kopfverband.

      Was war besser, nett zu sein wie der Bastian in der einen Fernsehserie oder stark wie der Seewolf? Mit Zeitgenossen wie Qualle und dem Ventilmops wäre der Seewolf leichter fertig geworden als der Bastian, aber ich hätte auch keinen Bock darauf gehabt, pausenlos die Besatzung zu schurigeln und notgedrungen kein Fernsehen kucken zu können in der Robbenjagdsaison. Gepfiffen hätte ich auf Kinderkram wie Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt, aber nicht auf Jim Sonett, Skippy, Lassie und Klimbim.

      An ihrem siebzehnten Geburtstag, der auf den letzten Sommerferientag fiel, ließ sich Renate auf dem Rasen mit Jeansjacke, Minirock, Clogs und über der Schulter hängender Patchworktasche knipsen.

      Volker saß auf der Terrasse und obduzierte sein Kofferradio. Widerstand und Ohm. Wiebke hüpfte durch den Wasserschleier aus dem tickenden Rasensprenger.

      Meine Olympiamünze war inzwischen vielleicht schon mehr als zehn Mark wert. Eine Kapitalanlage fürs Leben. Oder sollte ich die doch lieber verscherbeln?

      Zu Beginn des neuen Schuljahrs suchte ich mir einen Platz ganz hinten im Klassenzimmer, wie Mama es mir geraten hatte. Alles schön vor einem haben und den Paukern nicht vor der Nase rumsitzen.

      Geschichte hatten wir bei einem backenbärtigen Stöpsel, der uns was von Romulus und Remus vorstotterte. Daß die als Säuglinge an den Zitzen einer Wölfin genuckelt und dadurch Rom begründet hätten. Patrizier und Plebejer. Und daß auch Koblenz einmal eine Römerstadt gewesen sei, Confluentes geheißen, weil hier bereits in der Antike Rhein und Mosel zusammengeflossen seien. Daher der Name Kowelenz oder hochdeutsch Koblenz.

      In Deutsch nahmen wir ein Micky-Maus-Heft durch. Kater Karlo war da in Aktion zu sehen gegen Micky. Willi Dickhut meldete sich und sagte, daß in einem Bild die Schatten der Figuren in verschiedene Richtungen fielen. Willi Dickhut war oft schwer von Begriff, aber das mit den Schatten stimmte. Da wurde man ja nach Strich und Faden verscheißert. Ich nahm mir vor, bei Comics jetzt immer auf die Schatten zu achten, wohin die fielen.

      Dienstags war Erdkunde. Rotes Karo für Kupfererz, oranges für Zinn, grünes für Nickel, gelbes für Gold, blaue Flecken für Buntmetallverhüttung und braune Kreise für Aluminiumindustrie. In den Aralsee hatte Volker Hammer und Sichel gepinselt, und die Asienkarte zum Ausklappen war abgerissen.

      Im Physikhörsaal hatte ich mich auf einen Platz ganz hinten oben gepflanzt,