Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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weil sie auch in Spanien Ferien auf Saltkrokan kucken wollte. Als sie hörte, daß man das da nicht empfangen könne, kriegte sie einen Tobsuchtsanfall. Volker und ich mußten auch auf unsere Lieblingssendungen verzichten, er auf Cannon und ich auf Die Spur des Jim Sonnett, aber Wiebke fing nur immer irrer an zu brüllen, und Mama rief, wir sollten augenblicklich aufhören, Wiebke zu triezen.

      Wie man’s macht, macht man’s verkehrt.

      Sachen packen. Strümpfe, Hemden, Unterbüxen, als wichtigstes Utensil die Badehose und zum Lesen alle von Walt Disneys Lustigen Taschenbüchern, aber da machte Mama mir einen Strich durch die Rechnung: »Soweit kommt das noch, daß wir mit Achsenbruch liegenbleiben, bloß weil du zehn Zentner Schundhefte im Gepäck hast!«

      Ich wählte Onkel Dagoberts Millionen aus, weil ich das noch nicht so oft gelesen hatte wie die restlichen Taschenbücher.

      Volker wusch den Peugeot, und Renate machte trotz Kopfweh Kartoffelsalat.

      »Ich möchte ja nur mal wissen, was ich in Spanien verloren hab«, sagte Papa. Da stumpfsinnig in der Sonne zu schmoren, obwohl noch so unendlich viel am Haus zu tun sei. »Und wenn wir wiederkommen, hat sich hier ’ne Hippiekommune eingenistet.«

      Für alle Fälle sollten Rautenbergs einen Schlüssel kriegen.

      Meine größte Sorge war, daß mir in den drei Wochen ohne Klavierstunde beim Vogel die Finger einrosteten.

      Renate aß abends nicht mit. Sie hatte sich mit dickem Hals und Fieber ins Bett gelegt. Ob sie sich das bei Bodo geholt hatte? War Mandelentzündung ansteckend?

      »Mach mich nicht schwach«, sagte Mama. Monatelang alles geplant bis ins kleinste und jetzt das. Sie sehe schon unsere ganzen Felle davonschwimmen.

      Am Morgen mußte Renate mit Kamillentee gurgeln.

      Vom Mallendarer Berg nach Tossa de Mar. Um acht sollte es losgehen. »Alles eingepackt? Auch euer Zahnputzzeug?«

      Meine Waschtasche war weg.

      »Das heißt nicht was, das heißt wie bitte!«

      Um neun stand das Auto immer noch in der Einfahrt, mit uns auf der Rückbank. Renate und Volker an den Fenstern, Wiebke und ich in der Mitte.

      Papa ging auf Nummer Sicher, testete den Luftdruck, sah zum hundertsten Mal nach dem Reservereifen und zog die Schrauben am Gepäckträger an. Der saß schon bombenfest, aber Papa sagte, der wackele noch wie ein Lämmerschwanz.

      Als wir dann endlich rückwärts auf die Straße setzten, brach der Blinker hinterm Lenkrad ab.

      »Es ist doch nicht zu fassen«, sagte Mama. »Ob wir hier wohl noch jemals zu Potte kommen?«

      Papa suchte in der Garage nach einem Ersatzblinker. Dann mußte Wiebke aufs Klo. Renate wollte sich nochmal schlafen legen, aber das kam nicht in die Tüte.

      Um halb zehn gab Papa die Suche auf und kloppte einen langen Nagel in den Blinkerstumpf.

      Wenn die bunten Fahnen wehen, geht die Fahrt wohl übers Meer.

      Als wir das erste Mal tanken mußten, stiegen wir alle aus, außer Renate, um uns die Beine zu vertreten. Ich trank Kaba, und als wir wieder losfuhren, purzelte mein ausgetrunkener Becher durchs offene Schiebedach ins Auto. Den hatte ich da oben abgestellt und dann vergessen, weswegen ich für den Rest des Tages der Arsch war.

      »Stück ma ’n Rück«, sagte Volker alle paar Sekunden. Können vor Lachen. Weil es so eng war, kriegte ich mich laufend auch mit Wiebke in die Haare, und Mama sagte, wir sollten aufhören, uns zu piesacken. »Ihr raubt mir den letzten Nerv!«

      Einmal drehte sich Papa beim Fahren um und tafelte mir eine.

      Ohrfeige auf spanisch: Bofetada.

      Die einzige, die mich in Ruhe ließ, war Renate. Die hing wie ein Häufchen Elend in ihrer Ecke und lutschte Kräuterbonbons.

      Der Kilometerzähler stand auf 99995, und wir wollten sehen, wie er auf die Schnapszahl 99999 und dann auf 100000 umsprang.

      Auch mit runtergekurbelten Fenstern war es hinten heiß wie im Backofen. Mama teilte uns Gesöffe aus der blauen Kühltasche zu.

      »Zählt doch mal, wer wen öfter überholt, wir die anderen oder die anderen uns«, sagte Papa, und Wiebke und ich zählten eine Weile. Es stand bald 15:3 für uns, aber dann hingen wir hinter einem Vehikel mit angehängtem Wohnwagen fest, das mit gerade mal sechzig Sachen über die Autobahn kroch, und wir kamen nicht daran vorbei, weil die anderen uns nicht auf die Überholspur ließen. Mercedesse mit eingebauter Vorfahrt.

      Den Fahrern, die uns überholten, schnitt ich Fratzen, bis Mama das sah. »Schluß mit dem Affentheater!« Ich sei unausstehlich.

      Dann stand im Stau ein Anhänger mit zwei Pferden vor uns, und Papa sagte, er hätte lieber mal was anderes vor Augen als diese Pferdepöter.

      »Scheiße«, rief Papa, »der Kilometerzähler!« Der stand schon auf 100006.

      In Onkel Dagoberts Millionen rechnete ein Roboter aus, daß Onkel Dagoberts Vermögen sich auf genau 5 Billionen, 48 Milliarden, 25 Millionen, 103409 Taler und 65 Kreuzer belief. Wenn er trotzdem Geldsorgen hatte, flennte Onkel Dagobert in eine Tränenschüssel, und wenn er Donald anrief, hoppelte bei dem das Telefon.

      In der ersten Geschichte kriegte Donald einen Kunstdünger für Gold in die Hände, wurde reicher als Onkel Dagobert, soff Entenwein und ließ sich ein Schwimmbecken bauen, das man bloß vom Hubschrauber aus in voller Länge sehen konnte. Aber dann löste sich das künstliche Gold in Nichts auf, und Donald war wieder bettelarm.

      Nach zwei bunten Seiten kamen immer zwei schwarzweiße, und ich war jedesmal froh, wenn ich die durchhatte und wieder zwei bunte aufschlagen konnte.

      In der nächsten Geschichte wurden Donald und die Neffen in Caramba-Romba von Negern gefangengenommen und mit Klößchen aus Heuschrecken und weißen Ameisen gefüttert, und in der übernächsten Geschichte mußte Donald als Hilfszoowärter arbeiten und sich anschnauzen lassen, weil er die Giraffen noch nicht gebürstet hatte.

      Mir war der eine Fuß eingeschlafen. Der kribbelte, und als ich das Bein langmachte, sagte Mama: »Kannst du nicht mal fünf Minuten ruhig auf deinen vier Buchstaben sitzen, du Biest?«

      Vor der französischen Grenze machten wir Rast. Mama holte den Kartoffelsalat aus der Kühltasche, und Papa wollte, daß wir uns kämmten, damit die Zollbeamten uns nicht für Strauchdiebe hielten und den Peugeot bis in alle Einzelteile zerlegten.

      »Mal nicht den Teufel an die Wand«, sagte Mama, und Volker sagte: »Wenn man den Teufel nennt, dann kommt er schon gerennt.«

      In Frankreich mußte man für die Autobahn bezahlen, deshalb fuhren wir auf der Landstraße weiter. Immer rauf und runter, wie zwischen Simmern und Neuhäusel. Ich fand das prima, aber Renate wurde es schwummrig davon.

      »Wieder so ’n Sonntagsfahrer«, sagte Papa, wenn ihm das Auto vor uns zu langsam war.

      Nach Onkel Dagoberts Millionen las ich einen von Mamas Krimis, der sterbenslangweilig war, bis sich zwei verfeindete Schurken in einem Getreidesilo einen Schußwechsel lieferten, aber man konnte sich das nur schlecht vorstellen, wenn man nicht wußte, was ein Getreidesilo war.

      Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett.

      Papa hatte für die Reise das große Karl-Valentin-Buch gekauft, daraus sollte ich was vorlesen. Der Auerochs, der Auerochs, der aß nicht auf und frug: Wer mogs? Oder das Gespräch mit dem Schutzmann: Wie heißen Sie denn? Wrdlbrmpfd. Wie? Wrdlbrmpfd. Wadlstrumpf? Wr-dl-brmpfd! Redens doch deutlich, brummens nicht immer in ihren Bart hinein. Valentin zieht den Bart herunter: Wrdlbrmpfd. Schutzmann: So ein saublöder Name! Schauns jetzt, daß Sie weiterkommen.

      Sie sei bloß froh, wenn die ganze Blase in den Betten liege, sagte Mama und suchte ein Hotel aus, nach zwölf Stunden Fahrt.

      Renate konnte gut Französisch, und sie sollte mit dem Portier verhandeln,