Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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stand vor meinem Haus, da bin ich geboren, da bin ich zuhaus. Auch von Ivan Rebroff. Eine weiße Birke, genau wie bei uns, nur daß ich in Hannover geboren worden war.

      Was mir auf den Senkel ging im Fernsehen: Die sechs Siebeng’scheiten, Teletechnikum, Cordialmente dall’Italia, Aqui España, Schaukelstuhl und Mosaik. Heute: Herzbeschwerden, Renteninformation, Bilanz der guten Taten und Rückengymnastik für runzlige Omas. Um das aus freien Stücken zu kucken, mußte man mit einem Bein im Grab stehen.

      Volker schwärmte von Jason King, aber das kam zu einer Uhrzeit, wo eine halbe Portion wie ich schon in der Falle zu liegen hatte. »Wenn dir das nicht paßt, kannst du dir ja andere Eltern aussuchen«, sagte Mama.

      Um mich zu rächen, wusch ich mich nur schlunstrig, und das Zähneputzen ließ ich bleiben.

      Im Stern war ein Foto von einem japanischen Kind mit Quecksilbervergiftung. Die Augen gräuslich verdreht und die Finger verbogen. Das Meer war da durch Abwässer aus einer Chemiefabrik verseucht worden, und das Kind hatte einen quecksilberhaltigen Fisch gegessen.

      Mir selbst ging’s aber auch nicht gut. Mein Hintern juckte, und in meiner Kacke waren weiße Würmchen. Doktor Kretzschmar verschrieb mir ein Puder für hintendrauf. Damit Mama meine Kackwürste untersuchen konnte, grub sie auf dem Boden den alten Kindernachttopf aus. Den sollte ich zwei Wochen lang benutzen.

      Wenn das einer gesehen hätte.

      »Das kommt davon, wenn du dir deine Flossen nicht wäschst«, sagte Papa. Mußte der gerade sagen mit seinem vier Meter langen Bandwurm.

      Mit zwei Fingern pingelte ich mir was auf dem Klavier zusammen, und weil sie fand, daß ich Talent hätte, meldete Mama mich zum Unterricht an, bei Herrn Vogel, zu dem auch Renate einmal die Woche hinging. Das war ein stinkreicher Opa, der in einer Villa in der Gartenstadt wohnte und mit einer mindestens dreißig Jahre jüngeren Erbschleicherein verheiratet war. Die wartete nur darauf, daß ihr Alter den Löffel abgab, und dann würde ihr alles allein gehören.

      Der Vogel roch aus dem Hals nach Kaffee und hatte so lange Fingernägel, daß es knackte, wenn er einem was vorspielte.

      An der schönen blauen Donau.

      »Nun mußt du aber auch bei der Stange bleiben«, sagte Mama.

      Der junge Pianist. In Musik gab ich mir jetzt viel Mühe.

      In den Sommerferien sollte in den Süden gefahren werden. Mama breitete Reiseprospekte auf dem Eßtisch aus. Wohin wir lieber wollten, auf eine Insel oder einfach in ein Land mit Strand?

      Mama und Renate lernten vorsorglich Spanisch an der Koblenzer Volkshochschule. Der Kursus fand im Eichendorff statt, in einem Zimmer, wo an der Tür immer die Klinke abfiel.

      Ein Arzt hatte versucht, einen Affenkopf zu verpflanzen. Dem einen Affen abgeschnitten und einem anderen auf den durchgehackten Hals gefisselt. Davon waren Fotos im Stern.

      In Kürze sei das auch bei Menschen möglich. Nach einem Autounfall, wenn beim Fahrer das Gerippe zermatscht ist und beim Beifahrer der Schädel. Dann könnten die Ärzte den heilen Kopf an den heilen Rumpf nähen.

      Auch nicht schön, mit dem Bierbauch von jemand anderem rumzulaufen. Oder aus der Narkose zu erwachen, und man hat ’nen anderen Kopf auf. Dann schon lieber mausetot sein, oder?

      Karneval ging ich als Hippie. Auch ein Hippie muß mal Pipi, hatte Renate mir mit Filzstift auf die Wange geschrieben. Als ich so durch Vallendar lief, hielten mich Erwachsene am Ärmel fest, um den Spruch zu lesen, und dann prusteten sie los.

      Humba, humba, humba, täterää.

      Renate ging als Blumenkind mit großen aufgenähten Blüten auf Hemd und Hose.

      Sonntagnachmittags kuckte Mama die Forsyte-Saga. »Da schlafen einem ja die Füße bei ein«, sagte Volker, und wir gingen in den Hobbyraum runter, tischkickern. Bis auf einen letzten waren von den Bällen alle verbummelt.

      Die Mittelfeldkette wild rumwirbeln, in der Hoffnung auf einen Sonntagsschuß, die linke Hand immer an der Torwartstange lassen und an den Tisch hauen, wenn der Ball so liegengeblieben war, daß keiner mehr drankam.

      10:6 für Volker. Das war das Glück der Doofen.

      Bei der Revanche semmelte Volker mir gleich mit dem ersten Schuß ein Tor rein. Den hätte ich halten müssen, ich Arsch.

      »Selbsterkenntnis ist der erste Weg zur Besserung«, sagte Volker.

      Von Renates heißgeliebtem Alec kam schon wieder ein Schrieb, obwohl sie den letzten gar nicht beantwortet hatte. Ein waschechter Liebesbrief. Dear Renate! Daß er, Alec, immer an sie denken müsse, all day long and during the night, too, und alle i-Punkte in Herzchenform, was Renate für sentimentalen Kiki hielt. Dieser Alec könne sie mal gernhaben.

      Onkel Dietrich hatte seinen Besuch angekündigt und konnte jeden Moment vor der Tür stehen, und außer mir war niemand da.

      Statt Stadt ohne Sheriff zu kucken, wollte ich einen Kuchen backen für Onkel Dietrich, ganz alleine.

      Milch, Eier, Zucker. Ich verquirlte alles, aber wie ein Teig sah das nicht aus. Nicht fest genug. Da fehlte noch eine Zutat. Aber welche?

      Wer will guten Kuchen backen, der muß haben sieben Sachen. Ich suchte mein Taschengeld zusammen, lief zu Spar und kaufte eine Packung Erdnüsse, Ültjes, für Nußkuchen. Einen Teig kriegte ich aber auch mit den Erdnüssen nicht zustande.

      Dann kam Papa. »Was rührst du denn da für ’ne Pampe zusammen, um Himmels willen?«

      »Einen Kuchen für Onkel Dietrich.«

      »Ohne Mehl? Und wer hat dir den Floh ins Ohr gesetzt, da Erdnüsse reinzuschmeißen?«

      Mehl, genau. Das hatte ich vergessen.

      Ich sei ein Holzkopf, sagte Papa und verfertigte aus der Plörre einen Pfannkuchen für Onkel Dietrich, und der machte mir Komplimente. Das werde er seiner Frau mal stecken, wie köstlich so ein Pfannkuchen mit Erdnüssen schmecke. Das müsse die ihm jedes Wochenende kredenzen. »Sonst schlägt’s dreizehn!«

      Morgens fuhr Onkel Dietrich mich nach Koblenz zur Schule, und ich sollte ihm meinen Geburtstagswunsch sagen, im Stau am Rhein. Wieder was von Karl May?

      Örk. Viel lieber wollte ich noch ein Rätselbuch von Enid Blyton haben.

      »Das müßte sich deichseln lassen«, sagte Onkel Dietrich.

      Lodern zum Himmel seh ich die Flamme, das donnerte schön, wenn Renate mir das vorspielte, aber ich war noch nicht weit genug dafür.

      Üben, üben, üben. Linke und rechte Hand, Baßschlüssel und Violinschlüssel. Kleine Werke großer Meister, für die klavierspielende Jugend mit musikgeschichtlichen Anmerkungen versehen von M.P. Heller, mit Pedalzeichen.

      Crescendo und decrescendo. Piano, pianissimo, forte, fortissimo und fortefortissimo.

      Armes Waisenkind, von Robert Schumann.

      Im Zweiten lief jetzt dienstags immer Arpad, der Zigeuner. Die Serie spielte in Ungarn, wo Arpad gegen die Österreicher kämpfte.

      Ich achtete darauf, ob im Abspann der Nachname Szentmiklossy vorkam. Kam er aber nicht.

      Wo Piroschka jetzt wohl hin war? Ob die sich noch an mich erinnerte? Oder ob sie mich vergessen hatte? Aus den Augen, aus dem Sinn?

      Ein Mitschüler von Wiebke war gestorben, und sie holte ein Klassenfoto raus, um uns zu zeigen, welcher das war.

      Da hatte er noch dagestanden und gelacht, und jetzt war er tot. Innerlich vom Blutkrebs aufgefressen. Rote und weiße Blutkörperchen. Hämoglobin.

      Ihr täten vor allem die Eltern leid, sagte Mama. Ein Kind so hochzupäppeln und dann mit ansehen zu müssen, wie das arme Würstchen sein Leben aushaucht.

      Für Volker kam ein Blauer Brief: Leistungsrückgang in Geschichte und Englisch. Mama sagte, Volker sei helle