Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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saß und eine Strichliste führte.

      Wenn ich in den Sommerferien in Spanien schwimmen können wollte, mußte ich mich ranhalten. So langsam war ich auch zu groß fürs Nichtschwimmerbecken. »Da gondelt zuviel Kinderpisse drin rum«, sagte Michael Gerlach, und wir wagten uns ins tiefe Becken, obwohl ich nur fünf Züge konnte und Michael nur Hundekraulen.

      Wir übten am Rand und hielten uns fest, wenn uns die Kräfte verließen oder wenn irgendein Kotzbrocken im Delphinstil das Wasser aufwühlte, so daß man in den Wellen fast ersoff. Auf das Freischwimmer-Abzeichen legte Michael aber keinen gesteigerten Wert, weil man dafür nach fünfzehn Minuten Brust auch noch vom Einer springen mußte: »Für so ’n Stück Stoff setz ich doch nicht mein Leben aufs Spiel!«

      Zur Prüfung kam Renate mit, um mir beizustehen. Sie meldete mich auch beim Bademeister an, aber sie hatte ihre Armbanduhr nicht mit, und als dem Bademeister einfiel, nach mir zu kucken, war ich schon fast eine halbe Stunde lang geschwommen und hatte blaue Lippen.

      Dann noch vom Einer. »Nicht lange nachdenken«, sagte Renate. »Loslaufen und hopp!«

      Das tat ich dann auch, aber ich hatte vergessen, mir die Nase zuzuhalten, und mir blubberte der Kopf mit Chlorwasser voll.

      Mama hatte keine Zeit, mir das Abzeichen auf die Badehose zu nähen, weil Volkers Konfirmation bevorstand und Haus und Garten generalüberholt werden mußten. Papa fegte die Terrasse mit dem Piassababesen, und innen wienerte Mama alles blitzeblank. Beim Staubwischen entdeckte sie im Hobbyraum mein Kompositionsheft. »Sonatinen von Schlosser! Zum Schießen! Und keine einzige Note drin!« Das Heft war meins, und ich wollte es haben, aber Mama wollte es mir nicht geben. »Räum erstmal dein Zimmer auf, dann überleg ich mir, ob ich das hier allen zeige oder nicht!«

      Am Pfingstsonntag ging es hektisch zu. Wiebke hatte Geburtstag, und die Gäste waren im Anmarsch: Onkel Walter und Tante Mechthild, Onkel Edgar und Tante Gertrud, Tante Luise und Onkel Immo und ein Rudel Vettern und Kusinen.

      Eins, zwei, drei Autos standen vor unserm Haus auf der Straße, mit verschiedenen Stadtkennzeichen: DO, BI und HI.

      Wiebke führte ihr Mainzelmännchen-Klebealbum vor. Anton, Berti, Conni, Det und Fritzchen. Und einmal packte Mama mich am Kragen, weil ich ein Kavalier sein und mich nicht vor anderen durch die Tür quetschen sollte.

      Für die Konfirmation mußte Volker sich in Schale werfen. Der neue Anzug schlotterte ihm ums Gebein. Dazu ein breiter Streifenschlips aus Papas Beständen.

      Mama hielt uns auf Trab. »Dein Haar ist heute auch noch mit keinem Kamm in Berührung gekommen!«

      Fünfzig Pfennig kriegte ich für die Kollekte.

      Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiß nicht, was er dir Gutes getan hat. Das war Volkers Konfirmationsspruch. Zusammen mit Volker wurden auch Hansjoachim und Michael Gerlachs Bruder Harald konfirmiert. An der Wand stand:

128 1 + 3
429 1 – 4
234 1 – 3
155 1 – 6
141 1 – 3

      Konfirmation heiße Befestigung, sagte Pfarrer Liebisch. »So wie ein junger Baum an einem Pfahl befestigt wird, um einen Halt zu haben, wird der junge Mensch in seiner Jugend an Gott befestigt, damit er im ganzen Leben einen Halt an Gott und Jesus Christus hat.«

      Psalter und Harfe, wacht auf.

      Papa drückte sich wieder vorm Abendmahl, weil er mit dem ganzen Brimborium nichts am Hut haben wollte, und Mama sagte, die Predigt sei ja man ein ziemliches Wischiwaschi gewesen.

      Volker kriegte einen Haufen Geld von allen, den er nicht gleich wieder verquansen sollte. Papa nahm das Geld in Verwahrung.

      Das beste Geschenk war ein Weltempfänger von Blaupunkt, mit Kopfhörern. Damit saß Volker stundenlang auf der Terrasse und lauschte verzückt den Melodien aus dem Äther.

      »Darf ich auch mal?«

      »Nein.«

      Bodo blieb noch bei uns. Ich wollte ihm das Wambachtal zeigen, aber er kriegte Mumps und mußte Mundspülungen mit Salbeitee über sich ergehen lassen, bis Doktor Kretzschmar herausfand, daß Bodo eine Mandelentzündung hatte. Onkel Edgar kam und holte Bodo ab.

      Die arme Sau.

      Jetzt wollte ich auch den Fahrtenschwimmer machen. Der Sprung vom Dreier sei kein großer Akt, sagte Renate.

      Vor mir war ein Opa dran, der wie ein Irrer wippte und dann einen Köpper machte. Das Sprungbrett hatte graue Schmutzflecken, und es war viel höher, als ich gedacht hatte.

      Ich wollte noch warten, bis das Brett nicht mehr zitterte, aber hinter mir nölte ein Muskelprotz: »Na, wird’s bald?«

      Ins Wasser fiel ich schief, und die Badehose rutschte mir runter, was hoffentlich keiner gesehen hatte.

      Mit dem Fahrtenschwimmer-Abzeichen bewegte ich mich gleich viel mutiger durchs Schwimmbad. Einmal ums Nichtschwimmerbecken gehen, wo die blutigen Anfänger paddelten, oder lässig auf den Steinstufen vorm Sprungturm sitzen. Die Sonne glühte, und wenn ich reich gewesen wäre, hätte ich mir zehn Kilo Eis gekauft.

      Michael Gerlach kannte eine Umkleidekabine mit Kucklöchern, durch die man einen Blick auf anderer Leute Podexe und Pimmel erhaschen konnte, was aber nicht ganz ungefährlich war. Es sollte schon vorgekommen sein, daß ein Spanner durch so ein Kuckloch eine Stricknadel ins Auge gerammt gekriegt hatte.

      Eines Tages waren die Löcher mit Kaugummi zugeklebt.

      Renate übte auf dem Klavier den fröhlichen Landmann, Stunde um Stunde, bis man’s nicht mehr hören konnte. Dideldumm schrumm schrumm, dideldumm schrumm schrumm …

      Ich veranstaltete in Renates Zimmer meine eigene Hitparade mit allen Platten, die wir hatten. Auf Platz Eins stand bei mir Block Buster, auf Platz Zwei Diplomatenjagd, auf Platz Drei Harlekin von Danyel Gerard und auf Platz Vier Song of Joy von Miguel Rios.

      Auf manchen Singlehüllen waren hinten noch andere Singles abgebildet. Erik Silvester: Zucker im Kaffee. Die hätte man alle haben müssen. Karamba, Karacho, ein Whisky, Karamba, Karacho, ein Gin!

      Papa besaß genau zwei Langspielplatten: An American in Moscow und Ja, so san’s, die alten Rittersleut. Auf der sangen die Hot Dogs. Ein Ritter saß am Donnerbalken, in der Rechten seinen Falken. Ein Krach, ein Schrei, dann wurd es leise, ein Ritter wühlt sich aus der Scheiße.

      Die andere LP hatte Renate für Papa gekauft, weil da ein Lied mit dem Titel Raskolnikoff drauf war, aber es war das falsche. Papa suchte eins, das er mal irgendwo gehört hatte und von dem er nur den Titel wußte, Raskolnikoff eben, und seitdem hatte Renate die Plattenläden danach durchforsten müssen.

      Eine Single von Petra Pascal war dann die richtige gewesen. Da wurde ein Russe namens Raskolnikoff von einem deutschen Mädchen angehimmelt. Auf der Bank schien der Mond auf weißes Papier, da machten wir – Deutschunterricht, und er sagte mir oft, so gern wär er hier, doch ich sah das Heimweh in seinem Gesicht.

      Das Ende vom Lied war, daß Raskolnikoff die Mücke machte. Er schrieb mir auf kariertem Papier: Es war Heimweh. Verzeih bitte mir! Dein Raskolnikoff.

      Sonst hörte Papa nie Musik, aber Raskolnikoff fand er gut.

      An American in Moscow war aber auch nicht ohne. When morning comes, I wonder why you have to go, so sad am I. Ein Neger sang das, mit tiefer Stimme.

      An meinem Zeugnis war das beste die Eins in Musik. »Dann ist der Klavierunterricht ja wohl doch nicht nur rausgeschmissenes Geld«, sagte Mama.

      Zur Einstimmung auf die Sommerferien hatte Renate sich Asterix in Spanien gekauft. Bald würden wir wissen, ob die da wirklich