Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Klavier, und ich wollte was drauf spielen, aber Mama zerrte mich weg. »Untersteh dich!«

      Auf dem Klo war kein Becken. Da mußte man in der Hocke in ein dunkles Loch im Boden kacken und aufpassen, daß man sich nicht die Schuhe beferkelte.

      Die Nacht verbrachten Volker und ich in einem Doppelbett, das in der Mitte so durchhing, daß wir immer zusammenrollten. Als Zudecke gab es nur ein dünnes Laken, und die Kopfkissen waren platt wie Briefmarken.

      Am Frühstückstisch ließ Volker eine Bemerkung über meinen Mundgeruch fallen: »Der Odem wird zum Brodem.« Das machte mir den ganzen Urlaub über zu schaffen, weil immer jemand sagte, daß mein Odem zum Brodem geworden sei.

      Vor der Weiterfahrt stellte Volker sich mit einer Baguettestange über der Schulter für ein Foto in Positur.

      Kurz vor der spanischen Grenze verirrte sich eine Fliege ins Auto. »Scheucht die bloß raus«, sagte Papa, »sonst verhaften die uns noch, weil wir ’ne französische Fliege entführt haben!«

      Mama sagte, daß wir mal aus dem Fenster kucken sollten, aber ich las lieber wieder Onkel Dagoberts Millionen. Renate und Wiebke dösten, und Volker schmökerte in einem von Mamas Krimis: Der Hund trug keine Socken.

      »Das hätte mir früher mal einer bieten sollen«, sagte Mama. Für sie sei eine Radtour zum Theater in Oldenburg das höchste der Gefühle gewesen. »Und ihr sitzt da rum und würdigt die Pyrenäen keines Blickes!«

      Lang und länger dauerte die Fahrt. Wir wollten das Meer sehen, aber das Meer ließ auf sich warten, und die Sonne ging unter, obwohl die da doch bei Tag und Nacht scheinen sollte. Eviva España.

      Wiebke wollte immer wissen, wie weit wir’s noch hätten.

      »Ihr könnt einem aber auch ’n Loch in den Bauch fragen«, sagte Mama, auf den Knien eine Landkarte, die sie im Taschenlampenschein studierte. Santa María de Llorell, Punta Porto Pí y Martosa und ob er aber über Oberammergau. Wir hatten uns verfranst. »Himmel, Arsch und Zwirn!«

      Papa hielt an und riß Mama die Karte weg.

      Renate stöhnte, Volker mußte pinkeln, und Wiebke und ich hatten Hunger.

      Wir sollten uns am Riemen reißen, sagte Mama. Ihr hänge selbst der Magen auf halb acht.

      Dann war das Meer zu sehen, aber in der Dunkelheit erkannte man nicht viel davon, nur weiße Schaumkronen hier und da. Wir fuhren auf einer gewundenen Küstenstraße weiter, mit Serpentinen, wo es an der einen Seite steil raufging und an der anderen steil runter, ohne Leitplanke.

      Den Ferienbungalow fanden wir erst nach Mitternacht. Renate schmiß sich gleich ins Bett. Die kriegte ein Zimmer für sich allein, genau wie Volker, aber Wiebke und ich mußten uns eins teilen. Das hatte man gern. Geschlagene zwei Tage lang hinten in der Mitte sitzen und dann kein eigenes Zimmer kriegen.

      Papa machte sich eine Flasche Bier auf und sagte, das könne ja heiter werden, wenn das hier schon nachts so pudelwarm sei.

      Auf der Terrasse aßen wir Spiegeleier. Man hörte die Grillen zirpen. Tausende davon. Oder waren das Zikaden?

      Mama lobte das Aroma der Luft und bewunderte den Sternenhimmel. Der große Wagen und der kleine Wagen, und dann ging wieder das sattsam bekannte Zwiegespräch zwischen Mama und Wiebke los: »Wiebke, weißt du noch, welches Sternbild du bist?«

      »Zwilling.«

      »Und Renate?«

      »Löwe.«

      »Und Volker?«

      »Schütze.«

      »Und Martin?«

      »Martin ist Schwein!«

      Das hatte ich mir schon des öfteren anhören müssen.

      Die spanischen Brötchen waren Kaventsmänner, doppelt so groß wie die deutschen und nur halb so teuer. In Spanien war alles spottbillig.

      Wir frühstückten auf der Terrasse, und Mama machte ein Foto von Wiebke mit Milchbart.

      »Was hier fehlt, ist ein Komposthaufen«, sagte Papa. Er hatte kurze Hosen an, aber wenn Papa mal kurze Hosen anhatte, gingen die ihm immer noch fast bis zu den Knien.

      Renate war bettlägerig, aber zum Strand wollte sie mitkommen, um Farbe zu kriegen.

      Wir fuhren mit dem Peugeot hin und mußten das letzte Stück zu Fuß laufen. Mama achtete darauf, daß wir uns alle mit Sonnenmilch einschmierten. Piz Buin und Delial.

      Die Wellen waren gut drei Meter hoch, und die Bucht war knüppelvoll mit Leuten. Spanier, Engländer, Franzosen, Holländer und Deutsche. Mama blies Wiebkes Schwimmärmel auf, und Volker zog die Ausrüstung an, die er sich von dem Geld fürs Peugeotwaschen gekauft hatte: Taucherflossen, Tauchermaske und Schnorchel.

      Um in das eisekalte Wasser zu kommen, mußte man sich überwinden, auch wenn draußen noch so große Hitze herrschte.

      Am allerbesten war es, auf dem Bauch auf der Luftmatratze liegend in den Wellen zu dümpeln, mit dem Gesicht zum Strand. Dann wußte man nie, wie hoch einen die nächste Welle tragen würde und ob man was abkriegte von der Gischt.

      Da, wo man noch stehen konnte, spielten zwei Franzmänner mit einem blauen Niveaball und qualsterten ins Wasser, und ich paddelte von deren Spuckebatzen weg.

      Wir eroberten uns einen Stammplatz neben einem Neger, der jeden Tag mit seiner französischen Frau und seinem Mulattenkind an den Strand kam, immer mit zwei Liegestühlen. Beim Aufstellen führte sich die Frau beinahe so dämlich auf wie Rudi Carrell einmal in der Rudi-Carrell-Show.

      Papa schwamm weit raus, und als er wiederkam, sagte er, daß er in erster Linie mit schwimmenden Fäkalien Bekanntschaft geschlossen habe. Wegen seiner Operationsnarbe an der Seite sonnte Papa sich nie. Stattdessen lief er im Bademantel rum und machte Fotos. Von Renate eins beim Handstand im Meer, von den Wellen welche und Nahaufnahmen von den Seeigeln an den Felsen.

      Der Sand war so heiß, daß man barfuß nicht drüberlaufen konnte. Mittags mußte man im Schatten liegen, wenn man sich keinen Sonnenbrand holen wollte oder einen Hitzschlag oder einen Sonnenstich.

      Am Strand waren gute Kletterfelsen. Wenn wir erklimmen schwindelnde Höhen, Bergvagabunden sind wir, ja wir! Bald würde ich mich hier auskennen wie in meiner eigenen Westentasche.

      Abends holte Mama gegrillte Hähnchen. Fast geschenkt und superknusprig, aber mit vielzuviel Pfeffer und Salz, praktisch ungenießbar. Davon qualmte einem der Schlund.

      Aus einer Zehnliterflasche mit Korbgeflecht becherten Mama und Papa Rotwein, bis Papa sagte, er sei voll bis zur Halskrause.

      Der Bungalow hatte Schönheitsfehler. Oft fiel der Strom aus, und durch den Badewannengully quoll Kacke in die Wanne, so daß wir uns lieber mit dem Gartenschlauch auf der Terrasse duschten.

      Renate mußte zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt, auf spanisch Otorinilaringoloco. Keine Sonne, kein Sand, kein Salzwasser, riet der Arzt und verschrieb Renate Penicillinkapseln, aber davon kriegte sie rote Quaddeln auf der Haut, weil sie dagegen allergisch war.

      Die meiste Zeit verbrachte sie im Bett, und bei Besuchen in ihrem Zimmer mußte man sich bedächtig bewegen, um die Mücken nicht aufzuscheuchen. Sechzehn saßen allein am Lampenschirm.

      Die Mücken waren eine große Plage. Um einmal Ruhe zu haben vor denen, kaufte ich mir von meinem Taschengeld eine Dose Mückenspray, machte in Wiebkes und meinem Zimmer das Fenster zu, hielt die Luft an und sprühte nach und nach die ganze Dose leer, und in der Nacht danach war Ruhe im Karton.

      Papa knackte Kürbiskerne für die Ameisen, die zwischen dem Garten und einer Verkehrsinsel eine Transportstraße unterhielten. Wo sie verlief, konnte man gut sehen, weil Papa den Ameisen Wattebäusche aufgeladen hatte. Die wurden von den Ameisen bereitwillig von A nach B verfrachtet.

      Im Garten wuchsen Korkeichen, Ginster und Pinien. Papa fand auch eine Stabheuschrecke, die vom Geäst, in dem