Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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gelingt. Die Tischplatte war mit Galgen und Hakenkreuzen beschmiert.

      Heil Hitler, du geile Ficksau!

      Ich spielte Schiffeversenken mit Boris Kowalewski.

      »C 3?«

      »Treffer.«

      »C 4?«

      »Treffer.«

      »C 5?«

      »Versenkt!«

      Um die Ecke gebaute Schiffe waren nicht so leicht abzuschießen.

      Der allerletzte Kack war Mathe. Teilerketten und Primfaktoren. Verkettet man einen Stauchoperator und einen Streckoperator, so erhält man einen Bruchoperator.

      In Bio brachte der Engelhardt uns was über die inneren Organe bei. Schmeil: Der Mensch. Rote Muskelstränge und leere Augenhöhlen. Der Engelhardt pflückte nacheinander Lungenflügel, Niere, Magen, Leber, Herz und Milz aus einem Rumpf, der auf dem Pult stand. Wie die Speiseröhre arbeitet. Ob wir glaubten, daß Gegessenes aufgrund der Schwerkraft in den Magen falle. Wir durften darüber abstimmen, ob man im Kopfstand was essen könne. Die Mehrheit war dagegen. Ich enthielt mich der Stimme. Dann futterte Boris Kowalewski im Kopfstand einen Marsriegel auf, den der Engelhardt mitgebracht hatte. Es sei ein Trugschluß, sich die Speiseröhre als Fallrohr vorzustellen.

      In den Pausen war es üblich, Brötchentüten aufzupusten und dann möglichst nah am Lauschorgan eines Mitschülers zerknallen zu lassen.

      In Musik nahmen wir die Synkope durch.

      Einem Münzhändler in der Altstadt bot ich meine Olympiamünze wie Sauerbier an und erhielt elf Mark dafür.

      Ich kaufte mir ein MAD-Heft. Alfred E. Neumann mit seiner Zahnlücke. Auf einer Seite war zu sehen, wie Don Martin nach einer gewaltigen Mahlzeit mit einem Rülpser einen Vogel zum Absturz brachte.

      Ich zeigte Papa das Heft, aber er sagte, das tauge nicht viel.

      Von Frau Mittendorf bekam Mama zum Geburtstag eine Anthurie überreicht. Die fühlte sich an wie aus Plastik, war aber echt.

      Von Papa hatte Mama einen Servierwagen gekriegt, einen Leifheit Regulus, den man zusammenklappen konnte.

      Rautenbergs hatten Mama Weinbrandbohnen geschenkt, an denen man fast erstickte, wenn man die zerbiß.

      Rhein in Flammen war ein Feuerwerk, das man vom Hang hinter der Kaiser-Friedrich-Höhe aus gut beobachten konnte. Renate war mit ihren Typen irgendwo zelten, aber Mama, Papa, Volker, Wiebke und ich fuhren alle Mann hin zu Rhein in Flammen. Die meisten Leute hatten sich Besäufnisse mitgebracht und pißten mitten in die Landschaft.

      Manche Lichter sahen wie riesige rote und blaue Pusteblumen aus. Den Knall hörte man immer erst eine Weile später.

      Klavier übte ich jetzt wie ein Besessener. Ich wollte so gut werden wie Elly Ney, die für den Vogel das Nonplusultra war. An der Saale hellem Strande. Schade, daß wir keinen Flügel hatten. Oder gleich einen ganz Schrank voll mit Flügeln, wie Schröder von den Peanuts.

      Engelbert Humperdinck, so hätte ich nicht heißen wollen.

      Einmal durfte ich in Musik was auf dem Flügel vorspielen, der da stand, und der Bosch gab mir eine Eins dafür. Auf Eins stand in Musik sonst nur Jesu Christi, aber der konnte kein Instrument spielen. »Johann Sebastian Bach ist ein großer Komponist, aber wenn ich eine Krone zu vergeben hätte, würde ich sie Mozart aufsetzen«, hatte der Bosch mal gesagt, und Jesu Christi hatte gekräht: »Und ich Bach!« Da hätte Bach auch gerade noch drauf gewartet, von diesem Wicht gekrönt zu werden.

      Musik war immer montags in der fünften. An dem Tag, als ich vorgespielt hatte, bot der Bosch mir an, mich in seinem Auto bis Ehrenbreitstein mitzunehmen. Ich durfte nach vorne auf den Beifahrersitz. Von mir aus hätten wir ruhig noch eine Ehrenrunde auf dem Schulhof drehen können, damit das auch jeder mitkriegte.

      In der Casinostraße sah ich Renate an der Ampel stehen. »Das ist meine Schwester!« rief ich. »Die hat denselben Weg, die können wir auch noch mitnehmen!«

      Der Bosch fuhr an den Straßenrand, und ich winkte Renate zu uns her. Sie stieg hinten ein. Jetzt hätte uns bloß noch Volker über den Weg laufen müssen.

      In Ehrenbreitstein setzte uns der Bosch an der Bushaltestelle vorm Bahnhof ab. Ich freute mich schon auf den nächsten Montag, weil ich da wieder mitfahren wollte. Als wir am Donnerstag hitzefrei kriegten, nahm ich mir vor, am Sonntagabend bei der Wettervorhersage aufzupassen. Die ganze Woche über konnte hitzefrei sein, nur nicht montags, wenn ich mit dem Bosch von Koblenz nach Ehrenbreitstein fahren konnte.

      Aber dann fragte der Bosch mich gar nicht. Für den Fall, daß er es nur verschwitzt hatte, sagte ich Erhard Schmitz Bescheid. Der sollte mir an der Schulhofausfahrt ein Zeichen geben, wenn der Bosch in sein Auto stieg. Ich wartete hinter der Ecke und ging genau in dem Moment los, als der Bosch da rauskam, damit er anhalten mußte und mich sehen konnte, aber er ließ mich vorbeigehen und fuhr ohne mich weg.

      Ob er stinkig auf mich war, weil ich vor einer Woche Renate hergewunken hatte? Oder war mir was rausgerutscht, was der Bosch in den falschen Hals gekriegt hatte?

      Ich war mir keiner Schuld bewußt.

      Als Michael Gerlach und ich zu unserer Hütte gingen, war da die Tür versperrt. Auch der hölzerne Fensterladen war zu. Wir prockelten daran rum, aber ohne Ergebnis, und dann wurde die Tür aufgestoßen, und Qualle sprang raus, mit markerschütterndem Geschrei.

      Aus der Hütte kamen auch noch zwei Mädchen.

      »Dreimal seid ihr hier rumgedappert«, schrie Qualle und lachte sich schrott über unsere Doofheit. Die Mädchen brachten Kaugummiballons vorm Mund zum Platzen und leckten sich die Fetzen von den Lippen.

      »Und jetz würd isch vorschlaren, ’ne kleine FKK-Party zu mache«, sagte Qualle, als er sich wieder beruhigt hatte.

      »Mit denen da?« fragte eins der Mädchen.

      »Nää«, sagte Qualle. »Die könne sisch verpisse.«

      Das ließen wir uns nicht zweimal sagen.

      Qualle und seine Kaugummiweiber. Was die da wohl veranstalteten. Kleine FKK-Party, das konnte ja alles mögliche sein.

      Ich sah eine Ratte durch die Garage huschen, und am nächsten Tag gab mir Mama fünf Mark mit, wovon ich in Koblenz eine Rattenfalle kaufen sollte.

      Im Kaufhof fand ich eine. Das war ein Riesending. Das hackte einem bestimmt die halbe Hand ab, wenn man da reinfaßte.

      Papa stellte die Falle mit fettem Speck als Köder in der Garage auf, und morgens lag eine Ratte drin, ein dickes Vieh mit einem ellenlangen Schwanz. Aus der Schnauze war Blut geflossen und auf dem Holz getrocknet.

      In der nächsten Nacht ging wieder eine Ratte in die Falle, aber dann war Schluß.

      Renate hatte einen Brief von Olaf gekriegt. Außendrauf stand: Bitte bitte bitte bitte bitte bitte bitte bitte bitte bitte bitte bitte bitte öffnen! Und innen: Danke danke danke danke danke danke danke danke danke danke danke danke danke für die Einladung zu Deiner Geburtstagsparty!

      Renate machte Obstsalat und Ananasbowle, drückte Mitesser aus und bekuckte sich im Spiegel. Was sich farblich biß und was nicht.

      Dann waren alle da, bloß Olaf nicht, und Renate saß ganz geknickt im Hobbyraum unterm Fenster, mit roten Augen.

      Ich ging Olaf suchen. Auf dem Spielplatz vor dem Hochhaus kam er mir entgegen, mit einem Geschenkpaket unterm Arm und einer Schachtel Ferrero Küßchen für Renate. Er hatte sich einen Vollbart wachsen lassen.

      Softly whispering I love you.

      Von den Partygästen spielten welche den Flohwalzer. Später bekam ich noch mit, daß Renate in den Waschküchengully kotzte.

      Frühmorgens ging ich in den Hobbyraum, Fressalien suchen. Es stank nach Bier, und auf den Plattenhüllen klebte Kerzenwachs. Simon & Garfunkel und