Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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ich durfte wieder Fernsehen kucken.

      Bert von Cindy & Bert konnte man irgendwie nicht ernstnehmen, der hatte so einen dümmlichen Gesichtsausdruck.

      Der Vogel richtete zwei Weihnachtsfeiern aus, eine für die Kleinen und eine für die Großen. Ich gehörte noch zu den Kleinen, weil ich eben erst beim Baßschlüssel angelangt war. Im Partykeller turnten da die Kinder mit Gekreisch über die Sitzpolster, und es gab Rhabarbersaft. Das war auch nicht gerade der wahre Jakob.

      Renate hatte sich in der Schule beim Basketball einen Bänderriß zugezogen. Im Knie habe es laut geknackst, sagte Renate. Der Arzt stellte fest, daß sich ein Knorpelsplitter gelöst hatte, und Renate kriegte ein Gipsbein, auf das alle was draufschreiben mußten. Hals- und Beinbruch, Petri Heil und so weiter.

      Ein Autogramma von Deiner Mamma.

      Für Oma und Opa Jever bemalte ich einen Holzteller. Volker bastelte für Onkel Walter einen Pfeifenständer, der drei Pfeifen und einem Stopfer Platz bot.

      Maria durch ein Dornwald ging. Das übte Renate auf dem Klavier. Durch ein Dornwald, das mußte doch wehtun. An Marias Stelle wär ich außen rumgegangen um den Dornwald.

      Ich half Mama beim Einkaufen. Auf dem neuen Sterntitelbild war ein vergoldeter nackter Mann zu bewundern, der auf einem Globus saß, und als wir auf dem Rückweg Frau Mittendorf begegneten und die den Stern mit dem nackten Mann obenauf in Mamas Einkaufskorb liegen sah, fingen Frau Mittendorf und Mama zu lachen an. Man könne sich das ja nicht aussuchen, sagte Mama, und Frau Mittendorf sagte, ihr sei der Stern generell zu weit links, bei aller Liebe.

      Und wenn die fünfte Kerze brennt, dann hast du Weihnachten verpennt.

      Dann kam Oma Schlosser zu Besuch. Schlohweißes Haar mit Dutt und immer in schwarzen Strumpfhosen.

      Oma Schlosser sagte Plümoh statt Bettdecke, nahm Assugrin statt Zucker und ging schon um acht Uhr abends schlafen. Dann mußten wir still sein. Morgens geisterte sie in aller Herrgottsfrühe durchs Haus und mühte sich mit dem Hochziehen der schweren Rolläden ab.

      Oft wollte sie beim Nähen und Stopfen und Flicken helfen, und Mama mußte ihr die entsprechenden Gerätschaften reichen, passendes Garn suchen und einen Stuhl ans Fenster stellen oder die Nähmaschine auf den Eßtisch, und wir wurden vom Fernseher vertrieben, weil Oma sich bei dem Krach nicht auf die Handarbeit konzentrieren konnte. Mitten in der schönsten Fernsehzeit unterwies Oma dann auch Renate in der Bedienung der mitgebrachten Strickmaschine. Das war ein irrer Klapperatismus, der den halben Eßtisch einnahm.

      Danach sollte Renate mit einem Instrument, das sich Storchenschnabel nannte, die einzelnen Bestandteile eines Würfelspiels auf Pappe übertragen, bepinseln, lackieren und ausschneiden. Adlerschießen hieß das Spiel. Wenn man einen Pasch würfelte oder eine andere gute Kombination, konnte man dem Pappadler das entsprechend markierte Körperteil abrupfen und die darauf deponierten Süßigkeiten einstreichen.

      Deutschlandreise war nicht halb so gut. Da mußte man immer erst Flensburg oder Ulm oder Goslar finden, und Oma schwärzte uns bei Papa an: »Deine Kinder wissen ja nicht mal, wo Schleswig-Holstein ist, die suchen das irgendwo hier unten!«

      Im Hobbyraum ließ Oma sich von mir auf dem Klavier was vorspielen. Lodern zum Himmel hatte ich mir ausgesucht, und ich haute in die Tasten, aber Oma verzog keine Miene. Sie setzte sich dann selber hin und spielte aus dem Kopf und ohne Noten irgendwas von Carl Philipp Emanuel Bach, das wahnwitzig schwierig war, und ich mußte eine halbe Stunde lang da stehenbleiben und mir Omas Klavierspiel anhören.

      Den Tannenbaum kaufte Papa in Vallendar mit dreißig Pfennig Rabatt bei Renates Freund Olaf am Tannenbaumstand der Jusos.

      Beim Geschenkeverpacken sagte Mama, wir sollten nicht so mit dem Tesafilm aasen.

      Weil Oma Schlosser nicht so gut zu Fuß war, setzten wir uns zum Gottesdienst vor den Fernseher im Hobbyraum. Wiebke plierte immer nach links und nach rechts, ob wir auch alle die Hande gefaltet hatten.

      Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

      Der Gottesdienst wurde von Hippies gestört, die dem Pfarrer bei der Predigt ins Wort fielen und Transparente hochhielten. Denen sei auch nichts mehr heilig, sagte Papa.

      Das tollste Geschenk war der Farbfernseher. Den hatten Mama und wir alle von Papa gekriegt. Ein ultramodernes Gerät, das auf einem Stiel stand, von Nordmende, mit elektronischen Gleitreglern und Bildwiedergabe durch Diodenelektronik oder so ähnlich und mit Tasten, die man nur antippen mußte, wenn man umschalten wollte.

      Meine Geschenke waren außer einem riesigen Spielzeugpanzer zehn Mark von Tante Gertrud, ein Pullunder von Tante Dagmar, eine blaue Pudelmütze, ein grüner Plastikkorb für meine Strümpfe, ein Hemd, eine Hose und zwei Bücher: Spiele auf Spiekeroog und Rätsel um den geheimen Hafen. Nicht gerade umwerfend. Renate schenkte mir eine Halbkugel mit einem Pendel drin, das sich beim Schwingen überkopf in der Halbkugel spiegelte und von Papa als Zehenschoner eingestuft wurde.

      Volker kriegte eine grüngelbe Pudelmütze, eine Trompeten-LP und ein Polorad mit Bananensattel und Wiebke ein Puppentheater mit verschiedenen Bühnenbildern, eine rote Skimütze, einen neuen Ranzen, eine weiße Tischlampe in Kugelform mit orangefarbenem Ständer und von Tante Therese einen Morgenrock.

      Das meiste Geld hatte Renate abgesahnt, fast hundertdreißig Mark.

      Als alles ausgepackt war, holte Papa aus dem Arbeitszimmer noch ein Geschenk für Mama, ein Fondue mit Besteck und allen Schikanen.

      »Menschenskinder«, sagte Mama. »Vornehm geht die Welt zugrunde!«

      Dazu hatte Papa noch eine Bimmel besorgt, mit der die Familie künftig zum Essen zusammengerufen werden sollte, und für Oma Schlosser eine LP mit dem Oboenkonzert in A-Dur von Bach. Ich selbst hatte für Oma eins der Witzbilder von dem Poster in Papas Arbeitszimmer abgemalt. Da war ein Mann auf einem Zaungitter aufgespießt, und ein anderer Mann zog den Hut und fragte: »Ist Ihnen nicht wohl, mein Herr?«

      Oma reichte Papa das Bild stumm hin, und dann saßen sie über mich zu Gericht. Es sei nicht lustig, über tödlich verunglückte Menschen noch Spott auszugießen. Als ich endlich auch mal zu Wort kam und sagte, daß ich das doch nur abgemalt hätte von dem Poster in Papas Arbeitszimmer, hätte ich fast eine gepfeffert gekriegt.

      Na toll. Im Herzen wird es warm durch die Weihnachtsgans im Darm, wie schon Ingo Insterburg sagte.

      Zu fortgeschrittener Stunde zwängte Papa sich Wiebkes Skimütze über.

      Am ersten Weihnachtsfeiertag bimmelte Mama zum Essen, und dann wurde das Fondue eingeweiht. Papa hatte anderthalb Kilo Gulasch gekauft und sich seinen besten Schlips um den Hals gewürgt. Eine dicke bunte Kerze stand auf dem Tisch.

      Mama hatte eine Literflasche Rotwein entkorkt und erzählte von früher. Von dem abgehackten Kuheuter in der Badewanne ihrer Zimmerwirtin, als Fressen für deren Hund, und daß Volker bei der Nachricht von meiner Geburt nur gesagt habe: »Bäh, bäh, Kacke.« Und nach der Hochzeit hatte Mama zu Papa gesagt: »Bau du mir erstmal ’n Badezimmer, dann wasch ich mich auch.«

      Bis das Öl im Fonduekessel die richtige Temperatur hatte, verging viel Zeit.

      Eine lahmarschige Wirtschaft sei das, sagte Papa und ging sich Käsebrote schmieren, und als das Öl heiß war, sagte er, daß er schon bis zum Stehkragen voll sei.

      In Rätsel um den geheimen Hafen benutzte Stubs seinem Onkel gegenüber das Wort supertoll und wurde dafür getadelt. Wo er nur immer diese unmöglichen Ausdrücke herhabe. Supertoll? Was war denn daran so schlimm?

      Gut war bei Volkers Polorad der Knüppel zum Gängeschalten, aber fahren konnte man nur schlecht mit dem Ding.

      An Silvester machte Oma Schlosser Mama in der Küche das Leben schwer. Wiebke pappte Prilblumen auf die Kacheln zwischen den Topflappenhaken, und Renate war zu einer Party weg.

      Es gab Krapfen und Bowle. Bei Schimpf vor Zwölf durften wir Papiergirlanden über den Tannenbaum