Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Chio-Chips, aber ich fand nur breitgetretene Fischli und eine halbe Rolle Velemint.

      An die Tür zum Geräteschuppen hatte jemand eine Milkataube gepappt, die nicht mehr abging.

      Sail on silver girl, sail on by.

      Am besten war die Otto-Platte, die einer von den Gästen vergessen hatte. Es wird Nacht, Senorita, und ich liege auf dir. Wie du vielleicht bemerkt hast, will ich gar nix von dir! Oder dann: Halb acht, halb neun, es wird schon heller, der Vater reitet immer schneller, erreicht den Hof mit Müh und Not, der Knabe lebt, das Pferd ist tot.

      Es geht hier um einen jungen Mann, der ein wildes Kaninchen fangen möchte. Er setzt sich auf einen Acker und ahmt das Geräusch einer wachsenden Mohrrübe nach.

      Renates Les-Humphries-LP lag ohne Hülle auf dem Boden und hatte einen Huppel gekriegt. Das sei von einer Kerzenflamme gekommen, sagte Renate, als sie aufgestanden war. Wir hatten ihr zum Spaß eine leergefressene Eierschale mit dem Loch nach unten in den Eierbecher gestellt.

      Weil ich wollte, daß der Bosch mich wieder mitnimmt, meldete ich mich für den Chor an. Ars Musica: What shall we do with the drunken sailor. In manchen Liedern kamen unverständliche Wörter vor. Der Feber ist vergangen, Kum, Geselle min, Wer jetzig Zeiten leben will, muß han ein tapfers Herze, Ich armes welsches Teufli und Was wölln wir auf den Abend tun? Singen wölln wir gahn!

      Chor war immer in der Aula, und beim Singen brüllte der Bosch einen an: »Deine Haare sitzen gut! Halt die Hände still!«

      Junger Tambour kehrt fröhlich heim vom Kriege, junger Tambour kehrt fröhlich heim vom Krieg, e-ri, e-ran, ram-pa-ta-plan, kehrt fröhlich heim vom Krie-hie-ge. Jesu Christi schlug die Triangel dazu.

      Meistens sangen wir was über Mägdelein, Turmwächter, fahrende Gesellen, rüstige Brüder, Schmiede, Hirten, Küfer und zarte Jungfrauen. Ja tanzen immerimmerimmerzu, tanzen immerimmerzu, ja tara ta ta ta ta, tara ta ta ta ta, tanzen immerzu! Oder: Hei, luliellala, holdri-o, holdri-a, holdri-o, gug-gu ho! Zum Abkacken. Wir lieben die Stürme, die brausenden Wogen, das gefiel mir schon besser.

      Ganz was Neues im Bad war ein hellbraunes Stück Seife mit Kordel zum Aufhängen. Als ich auf dem Klo saß, kam Volker rein, der baden wollte, und ich sah, daß er schon büschelweise Schamhaar hatte.

      »Eujeujeu«, sagte ich, und das war das letzte Mal, daß ich Volker nackend gesehen hatte.

      Renate ging mit Olaf zu einer Jusoversammlung in Koblenz und kam als eingeschriebener Juso zurück.

      »Jedem Tierchen sein Pläsierchen«, sagte Mama.

      Morgens an der Bushaltestelle redete Olaf Renate mit »Schwester Genossin« an.

      Mamas nach Venezuele ausgewanderte Freundin Kathrin war mit zwei von ihren fast schon erwachsenen Kindern auf Europareise und kam auch zu uns. Ansgar und Rita. Wir liehen uns Räder von Rautenbergs, und ich zeigte unseren Besüchern die Sporkenburg, aber beim Händewaschen zuhause meckerte mich Ansgar an, weil ich den Schmutz ins Handtuch geschmiert hatte, und da verging mir die Lust, dem und seiner Schwester jemals wieder irgendwas zu zeigen.

      Nach dem Mittagessen schob Mama den Servierwagen ins Wohnzimmer, und in den Tassen schwappte der Kaffee über.

      Weil die Venezolaner bei uns so froren, gingen sie mit dicken Wollsocken schlafen.

      Als Papa die Heizungsanlage saubergemacht hatte, war er so dreckig, von Kopf bis Fuß, daß Mama ein Erinnerungsfoto knipsen wollte, zur allgemeinen Belustigung. Papa setzte sich dafür auf die Gartenbank vorm Küchenfenster.

      Für den Ehemaligenball im Schützenhof in Jever hatte Mama abgenommen und sich einen langen silbernen Glitzerrock gekauft. F.d.H.: Friß die Hälfte.

      Wir konnten solange ohne Eltern Fernsehen kucken. Daktari, Die Sendung mit der Maus, Im Reich der wilden Tiere, Rappelkiste und Shiloh Ranch.

      Renate knutschte oben mit Olaf.

      Am ersten Oktober kamen Mama und Papa zurück und brachten Oma und Opa Jever mit. Oma knibbelte immer an ihrem Hörgerät rum, das mörderisch pfiff.

      Abends wurde das Glas darauf erhoben, daß Papa zum Leitenden Regierungsbaudirektor ernannt worden war, abgekürzt Eltederegbedir. Besoldungsgruppe A 16: Das roch nach Taschengelderhöhung.

      Oma und Opa kurten dann in Bad Ems. Da badeten sie in Kohlensäure und kriegten Massagen. Es gab auch Brunnentrinken bei Musik.

      In der Schule wurde es von Tag zu Tag dröger und blöder. Achsensymmetrie und Drehsymmetrie. Bei einer Klassenarbeit in Physik hatte ich das Buch aufgeschlagen zu meinen Füßen liegen, und der verkalkte Pauker merkte das nicht. Einmal kam er zu mir hoch, um sich anzusehen, was ich geschrieben hatte, und lobte mich noch. Der mußte blind sein.

      Eine Stahlflasche enthält 20 l Wasserstoff unter 150 atü. Wieviel wiegt das eingeschlossene Gas?

      In der großen Pause spielten wir Fangen. Sport, Spiel, Spannung! Ich jagte Boris Kowalewski bis zum Klo, wo er sich einschloß, und als ich unter der Tür durch nach ihm angelte, pißte er mir auf die Hand, der alte Schweinepriester. Den Rest der Pause verbrachte ich damit, die Pisse abzuwaschen.

      Nach der Schule ging ich durch die Stadt. Unterm Dirndl wird gejodelt, Schulmädchenreport und Laß jucken, Kumpel. Als Volljähriger würde ich auch mal in einen Sexfilm gehen.

      Singles kosteten jetzt eine Mark mehr.

      Aus dem Camel-Filters-Preisausschreiben war irgendwie nichts geworden, jedenfalls hatten wir nicht gewonnen. Klarer Fall von denkste.

      Renate brachte mir Canasta bei. Wir spielten in ihrem Zimmer, mit den neuen Loriotkarten, die Mama gekauft hatte. Tropfkerzen an und Tee dazu und Kekse. Renate nervte mich mit den schwarzen Dreien. Bei einer schwarzen Drei obendrauf konnte man den Stoß nicht nehmen. »Capito?«

      Rote Dreien brachten hundert Punkte, und Zweien waren Joker.

      Als ich das erste Mal den Stapel kriegte, hüpfte mir das Herz. Fünf Sechsen, fünf Fünfen und sechs Neunen, fast schon ein reiner Canasta. Drei Bauern, drei Damen, vier Könige und alle vier schwarzen Dreien. Irgendwas mußte ich zum Ablegen opfern. Eine Acht, mit Pokerface, weil ich schon vier Achten hatte, damit Renate dachte, ich würde keine Achten sammeln. Oder lieber noch damit warten und die vier schwarzen Dreien ablegen, eine nach der andern? Oder die Achten mit den drei bunten Jokern, die ich hatte, auf den Tisch packen, als vollständigen Canasta?

      Ein reiner Canasta war mehr wert als einer mit Jokern. Ich legte eine von den Achten ab. Renate nahm die Acht auf, legte einen Achtercanasta mit Jokern aus und machte Schluß. Das nannte sich Handcanasta. Dafür gab es noch hundert Extrapunkte. Alles, was ich in der Hand hielt, wurde mir abgezogen, auch die drei bunten Joker, fünfzig Punkte für jeden.

      Und da sollte man nicht den Glauben an die Menschheit verlieren.

      »Leise zählen!«

      Obwohl ich viel mehr ausgelegt hatte als Renate, war ich der Verlierer, nur wegen meiner Miesen.

      »Du hast’s erfaßt«, sagte Renate.

      Bei Samba-Canasta kriegte man die doppelte Anzahl von Karten, und es war ein Kunststück, die alle in der Hand zu halten.

      An einem Abend stellte ich die Tropfkerzen weit auseinander und zündete auch Renates kleine Petroleumlampe an, weil ich gedacht hatte, je mehr Licht aus unterschiedlicher Richtung fällt, desto gemütlicher hat man’s, aber das war ein Irrtum.

      Renate arbeitete jetzt als Putzhilfe bei uns im Haushalt für zwei Mark fünfzig in der Stunde und bei Rautenbergs für drei Mark fünfzig. Davon kaufte sie sich Augen-Make-up und anderen Modeschnickschnack.

      Dann kam Volker in den Hobbyraum gestürmt: »Ich hab eine Sensation zu verkünden! Wir dürfen uns die Haare über die Ohren wachsen lassen!«

      Verarschen kann ich mich alleine, dachte ich, aber es war die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit, so wahr mir Gott helfe: Wir durften uns Mähnen wachsen lassen