Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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denken, ich hätte Rabeneltern. Alle früheren Ermahnungen hätte ich offenkundig für Larifari gehalten. »Und deine Krokodilstränen kannst du dir sparen, das zieht bei mir nicht!«

      Und da waren wir erst in Ehrenbreitstein.

      »Nun lassen Sie doch den armen Jungen in Ruhe«, sagte ein Mann zu Mama, und der kriegte schön was zu hören.

      Zuhause wurde ich in mein Zimmer geschickt. »Komm mir ja nicht mehr unter die Augen heute!«

      Unters Bett verkroch ich mich.

      Irgendwann kam Renate rein und stellte mir mein Mittagessen auf den Tisch.

      Wenn mir bloß ein Straßenname eingefallen wäre. Jetzt hätte ich die aus dem Handgelenk schütteln können. Schloßstraße, Kochstraße, Bergstraße, Baumstraße.

      Hausverbot hatten sie mir erteilt bei Woolworth, aber das hätten sie sich schenken können. Den Arschlöchern noch was abkaufen? Ohne mich.

      Woolworth, was für ein Scheißname das schon war.

      Und die gemeinen Ziegen da, wieso hatten die mir nicht das Auto abgenommen und mich wieder laufengelassen? Kurz und schmerzlos? Statt so einen Aufstand zu veranstalten? Nach dem Schrecken, der mir bei Woolworth in die Glieder gefahren war, wäre mir auch ohne Polizei und Hausarrest die Lust aufs Klauen vergangen.

      Von den Staubflusen unterm Bett mußte ich husten beim Weinen.

      Das Essen war kalt geworden. Erbseneintopf und kein Nachtisch.

      Neue Noten. Mama 6 und Papa 6. Renate 5, Volker 5. Und Wiebke?

      Auch 5. Oder gleich Sechsen für alle, das war das einfachste.

      Jetzt hätte ich mit Michael Gerlach ins Wambachtal gehen können, aber ich lungerte in meinem Zimmer rum und schob mit der Hand meine linke Kniescheibe hin und her.

      Sechs Wochen lang als Trauerkloß versauern, Trübsal blasen und Däumchen drehen. In den Büchern wäre jetzt einer wie Karlsson vom Dach angeflogen gekommen, um einen aufzumuntern.

      Meine Schienbeine fühlten sich rauh an. Zerklüftet, besser gesagt. Knochenkrebs, sowas in dieser Preisklasse wünschte ich auch den Hexen bei Woolworth an den Hals.

      Ich würde bald ins Gras beißen.

      Oder weiterleben, aber böse werden. Erst Schulschwänzer und dann Landstreicher oder Robbenfänger. Elendiglich zugrundegehen, wie Mugridge, das Köchlein, von dem nur der Schrumpfkopf übriggeblieben war.

      Es regnete. Ich stellte das Fenster auf Kipp und konnte die nasse Straße riechen.

      Sechs Wochen Hausarrest waren ganz schön happig.

      Einen Schrecken kriegte ich, als mir die anderen geklauten Autos einfielen. Die mußte ich in der Versenkung verschwinden lassen. Gleich morgen früh. Bloß weg damit, bevor die jemand fand.

      »Mein Beileid«, sagte Michael Gerlach, als ich ihm morgens im Bus die ganze Scheiße gebeichtet hatte.

      In meinem Zimmer konnte ich hören, wie Volker sich vorm Fernseher bei Calimero und Männerwirtschaft beömmelte. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit war das.

      Hoffentlich war schön oft Bildstörung, auch bei Schweinchen Dick, den Peanuts, Raumschiff Enterprise, Disco ’72, Shiloh Ranch, Barrier Reef und Dick und Doof.

      Auf den Dachboden hätte man klettern müssen und die Antenne verbiegen.

      Die Geschichte vom hölzernen Bengele. Wie ihm die Holzfüße in der Kohlenglut verbrennen, wie er von Fuchs und Katze übertölpelt wird und wie ihm im Faulenzerland Eselsohren wachsen.

      Zum x-ten Mal las ich die beiden Jim-Knopf-Bücher und Fliegender Stern. Wie Grasvogel und Fliegender Stern zu den Weißen reiten und auf Schienen stoßen, die sie für eine silbern schimmernde, eiserne Zwillingsschlange halten.

      Und Donald Duck, die Geschichte, in der Tick, Trick und Track beim Entenhausener Schneeplastikwettbewerb eine Statue von Erasmus Erpel bauen wollen, des Gründers von Entenhausen, um den ersten Preis zu gewinnen und ihn dann zwei armen Kindern aus der Fabrikvorstadt zu geben, und Donald, der das gleiche vorhat, kommt seinen Neffen in die Quere.

      Dagobert Duck, der Superhyperultramilliardär, Primus von Quack und das Fähnlein Fieselschweif. Oder Donald im Jahre 2001: Da flogen fliegende Untertassen durch Entenhausen, und die Autos fuhren mit Atomkraftstoff.

      Mal zählen, wieviele von Walt Disneys Lustigen Taschenbüchern wir besaßen. Weil ich immer noch Zimmerarrest hatte, mußte ich Renate bitten, mir die zusammenzusuchen.

      Der Kolumbusfalter, da war der Umschlag halb abgerissen. Hallo, hier Micky, Onkel Dagoberts Millionen, Donald, der König des Wilden Westens, Onkel Dagobert bleibt Sieger, Micky-Parade, Donald gibt nicht auf, Donald in Hypnose und Hexenzauber mit Micky und Goofy. In einer Geschichte verbündeten sich die Panzerknacker mit dem Fakir Rabad Rabadadi, der Onkel Donald hypnotisierte. Das wollte ich auch mal versuchen. Als ich aus meinem Zimmer wieder rausdurfte, setzte ich Wiebke im Hobbyraum in Hypnose: »Du machst jetzt alles, was ich will! Du bist hypnotisiert! Bring dein Stühlchen in den Heizungskeller!«

      Tatsache, sie machte das. Dann kam sie wieder an.

      »Jetzt bring dein Stühlchen hierher zurück!«

      Als sie auch das getan hatte, kriegte ich es mit der Angst zu tun und lief hoch. Wie sollte ich das Mama und Papa erklären, wenn Wiebke plötzlich einen Dachschaden hatte?

      Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen. Allein die Bilder in Grimms Märchen, wie der da von den Bestien belagert und angeknurrt wurde.

      Der Froschkönig, die zertanzten Schuhe und Brüderchen und Schwesterchen im tiefen Schlaf im hohlen Baum. Und Rapunzel, an deren Zopf man hochklettern konnte. Die mußte Nerven wie Drahtseile haben, daß die das aushielt.

      Von Einäuglein, Zweiäuglein und Dreiäuglein hätte ich nur Zweiäuglein haben gewollt.

      Nach zwei Stunden befahl ich Wiebke, mir ein Nutellabrot zu schmieren. »Du spinnst wohl«, sagte sie, und ich konnte beruhigt sein. Die Hypnose hatte aufgehört zu wirken. Wiebke war wieder die alte Kratzbürste.

      Stephan Mittendorf stand vor der Haustür. Ob ich Lust hätte, mit ins Wambachtal zu gehen. Wie sollte ich den jetzt abwimmeln?

      »Heute hab ich keine Lust.«

      »Und wann hast du Lust?«

      »Weiß ich nicht.« Ich schob die Haustür hin und her. Unten wischte die Gummdidichtung über die Kacheln, und hinten im Flur stand Mama und hörte zu.

      »Na, dann halt nicht«, sagte Stephan Mittendorf. »Ich hab ja noch andere Freunde.«

      »Dann geh doch zu denen«, rief ich ihm nach und machte die Tür zu.

      Sie bringe es nur schwer übers Herz, mich noch weiter einzusperren, sagte Mama. »Aber Strafe muß sein.«

      Ich ging in mein Zimmer, Scrabble spielen mit mir selbst.

      Wenigstens war ich nicht mehr das einzige schwarze Schaf, seit Volker in Englisch auf dem absteigenden Ast war.

      Wegen irgendeinem Quark erschien dann abermals die Polizei. Der Streifenwagen stand vor Rautenbergs Haus. Bei denen hatten die Bullen versehentlich zuerst geklingelt.

      Danach stieg Mama mir aufs Dach: »Das hast du nun davon! Jetzt weiß glücklich auch die ganze Nachbarschaft Bescheid!«

      Dann kam eine Frau vom Jugendamt angeschissen und wollte auch noch irgendwas. Mama fertigte die an der Tür ab, und ich als derjenige welche hielt die Luft an, bis die aufdringliche Tante sich subtrahiert hatte.

      Die sollte hingehen, wo der Pfeffer wächst.

      Mittags deckte ich den Tisch, um Mama milde zu stimmen. »Flache oder tiefe Teller?«

      Gabeln links und Messer rechts.