Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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den labberigen Schulranzen kaufte ich mir in Koblenz von meinen Ersparnissen eine Henkeltasche mit Aztekenmuster und Fransen. Mama war davon nicht begeistert.

      Bis auf den Diercke paßte aber alles rein. Bücher, Hefte, Rechenschieber, Zirkelkasten, Ratzefummel und Pausenbrot.

      Gut war immer, wenn einer mitten in der Stunde einen Flummi warf, der dann wie wild im Klassenzimmer rumsprang.

      In Französisch war ich keine Leuchte. Je suis, tu es, il est, nous sommes, vous êtes, ils sont, da stand ich wie der Ochs vorm Berge. Ich schrieb eine Fünf und kriegte Nachhilfestunden von Renate. »Jetzt mußt du bimsen«, sagte Mama. Ich sollte mich auf den Hosenboden setzen und mein Hirnschmalz benutzen. »Du hast genug auf der Pfanne, du Faulpelz! Noch eine Fünf, und ich zieh dir das Fell über die Ohren!«

      Mama war als junge Frau mal in Paris gewesen und hatte noch ihre alten Vokabelhefte aus der Zeit. Die wurden mir jetzt vorgezeigt. Ohne Fleiß kein Preis.

      Renate mußte mir auf die Sprünge helfen, und dann hörte Mama mich ab. »Das war aber ’ne schwere Geburt«, sagte sie, auch wenn ich fast alle Vokabeln gewußt hatte. »Da mußt du dich nochmal hinterklemmen.« In Fleisch und Blut müsse mir das übergehen.

      Übung mache den Meister.

      Nach ein paar Stunden hatte ich den Bogen raus. Qu’est-ce qu’il y a au marché? Il y a des fruits. Il y a des bananes, des melons, des oranges et des citrons.

      Für die nächste Arbeit kriegte ich eine Zwei, und der Schlaumeier hatte unten druntergeschrieben: »Es geht also auch so!«

      Vom Roten Kreuz kam ein Herr Wunderlich in die Klasse und brachte uns was über Erste Hilfe bei. Stabile Seitenlage, Schlagadern und Mund-zu-Mund-Beatmung. Dessen Adamsapfel stand vom Hals ab wie ein Vogelhaus vom Baumstamm. Einmal hatte Herr Wunderlich Erste Hilfe geleistet, als einer Frau von einer Straßenbahn beide Beine abgefahren worden waren, und ein anderes Mal hatte er jemandem das Leben gerettet, der am Nebentisch im Restaurant mit Herzinfarkt vom Stuhl gefallen war.

      Überall, wo dieser Herr Wunderlich hinkam, passierten Unfälle, und ich war froh, als er wieder weg war.

      In Chemie seierte der Bobesch was über Stickstoffdioxid und osmotischen Druck, und Boris Kowalewski und ich tauschten Zettel mit schweinischen Zeichnungen aus. Dat bringt Kinner, stand unter einer, auf der zu sehen war, wie ein Mann eine Frau von hinten fickt.

      Die neuen Zeichnungen zeigte ich im Bus immer Michael Gerlach, aber der wollte irgendwann keine mehr davon sehen. Er sei verdorben genug, da brauche er sich nicht noch Zeichnungen von Pimmeln und Furzwolken und nackten Weibern anzukucken. Anatomisch haue das ja doch alles nicht hin, oder ob ich schon mal ’ne nackte Frau gesehen hätte in natura?

      Harry Piel sitzt am Nil, wäscht sein’ Stiel mit Persil.

      Damit sie niemand in die Finger kriegte, legte ich die Zettel unter einen Schulbücherstapel im Schiebeschrank.

      Rot-Weiß Essen – Gladbach 1:3. Wer sagt’s denn?

      Im Wambachtal versuchten Michael und ich, uns durch Imitationen von Vogelrufen zu verständigen, wie Old Surehand und Winnetou.

      Als Cowboy hätte ich keine Lust gehabt, wie eine lebende Zielscheibe um eine Wagenburg rumzureiten und mich von Schoschonen abschießen zu lassen.

      Die Zunge des weißen Mannes ist gespalten wie die der Schlange.

      Renate hatte sich bei C&A einen Rock zurückhängen lassen. Darüber wurde bei uns mehr gequasselt als über Gladbachs 3:0 gegen Wacker Innsbruck.

      In der 70. Minute war Del’Haye eingewechselt worden, hatte aber nicht mehr viel ausrichten können.

      Am Samstag schlug Gladbach auch Bochum 3:0 und rückte auf den dritten Platz vor, punktgleich mit Frankfurt und Braunschweig. Frankfurt schlug Essen 9:1, mit drei Treffern allein von Hölzenbein. Meine Traumelf hatte ich umgestellt:

      Maier

      Bonhof, Beckenbauer, Kliemann, Dietz

      Wimmer, Overath, Heynckes

      Abramczik, Müller, Hölzenbein

      Ewig schade, daß das ein Wunschtraum bleiben mußte, weil Gerd Müller nicht mehr mitspielen wollte. Ob Abramczyk als Linksaußen oder als Rechtsaußen gefährlicher war, hätte man halt ausprobieren müssen. Einige von denen würden bei der WM 1982 wahrscheinlich noch mit mir zusammen spielen.

      Mein Reserveteam war auch nicht übel:

      Kleff

      Körbel, Stielike, Kapellmann, Vogts

      Beer, Wimmer, Lippens

      Pirrung, Fischer, Held

      Das ging natürlich nicht, weil Ente Lippens Holländer war. Den hätten sie bei der WM mal aufstellen sollen, dann wären sie Weltmeister geworden, die Käsköppe.

      Im Tor waren auch Rudi Kargus und Norbert Nigbur gut.

      Grabowski oder Pirrung im Sturm? Oder Hoeneß statt Kapellmann? Und was war mit Haller, Netzer, Schnellinger und Seeler?

      Meine Lieblingstrainer waren Hennes Weisweiler (Gladbach), Tschik Cajkovski (Köln) und Kuno Klötzer (HSV). Branco Zebec (Braunschweig) galt als Schleifer.

      Drei Tage vor dem Schlagerspiel gegen Bayern München wurde Gladbach von Fortuna Düsseldorf geschlagen, fiel in der Tabelle auf Platz 4 zurück und mußte dann zuhause zwei Punkte an

      ###Bayern abgeben: 1:0 Wittkamp (36.), 1:1 Wunder (71.), 1:2 Torstensson (73.).

      Scheibenkleister.

      Volker wollte in den Herbstferien zelten gehen und breitete deshalb auf dem Rasen das alte Zelt aus, in dem Mama und Papa vor dreißig Jahren in den Flitterwochen übernachtet hatten. Da mußten erst die Heringe gezählt werden, ob die noch vollzählig waren.

      Auch das Schlauchboot wollte Volker mitnehmen, und er pustete es probeweise auf, mit dem Mund, wie in Spanien.

      Mama machte Fotos von Volker beim Pusten, und Papa stand meckernd daneben.

      Wenn starker Wind war, liefen Michael Gerlach und ich in das Waldstück hinterm Tennisplatz. Da standen zwei Birken, an denen man leicht bis in die Krone klettern und sich dann an den dünnen Stamm geklammert im Oktobersturm durchschaukeln lassen konnte.

      Der Wind, der Wind, das himmlische Kind. Wenn die Birken sich bogen, schrien wir vor Angst.

      Was am schlimmsten wäre: Orkan, Tornado, Taifun oder Hurrikan.

      Die Vorbereitungen für Oma Schlossers 75. Geburtstag liefen auf Hochtouren. Jetzt sei Großkampftag, sagte Mama. Sie unterzog das ganze Haus einer Generalreinigung, mistete die Küchenschubladen aus und beseitigte jedes Staubkorn, auch aus den Steckkontakten im Flur. Daß die verstaubt gewesen waren, merkte man erst, wenn man sich den Lappen ankuckte.

      Auch Renate und Volker und Wiebke und ich sollten unsere Zimmer aufräumen, aber nicht so schlunzig wie sonst. »Und wehe, ihr spurt nicht!«

      Außerdem sollten Renate und ich Klavier üben für die Gäste. Mein Paradestück war immer der Türkische Marsch gewesen, aber nur, bis ich einmal im Fernsehen einen kleinen Jungen gesehen und gehört hatte, wie der den Türkischen Marsch am Flügel spielte, auswendig und rasend schnell und fehlerlos, und dabei war der Knirps viel jünger als ich. Da hatte ich wohl keine Chance mehr, als klavierspielendes Wunderkind entdeckt zu werden und ins Fernsehen zu kommen. Dann brauchte ich auch nicht mehr zu üben.

      Papa fuhr mit Renate morgens nach Koblenz, Wein und Torten kaufen.

      Schnieke sollten wir aussehen. Hände waschen, Haare kämmen, Nägel bürsten, aber nicht bloß huschifuschi. »Dir schlamstert hinten noch das Hemd aus der Hose!«

      Nach dem Kämmen musterte ich mich noch eine ganze Weile im Spiegel neben der Flurgarderobe. Die Haare hätten länger sein können, und ein paar Muckis mehr hätten nicht geschadet, aber alles