Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Gott. Dein Herr.

      Um meinen guten Willen zu zeigen, konnte ich ja damit anfangen, die Spülmaschine auszuräumen, aber als ich sie öffnete, fuhr der heiße Wasserdampf raus, so daß ich vor Schreck schrie und einen Satz nach hinten machte. Da platzte Mama in die Küche und ballerte mir eine. Ich hätte mir für den Rest des Tages genug erlaubt. »Marsch in dein Zimmer!«

      Das hatte man davon, wenn man artig sein wollte. Von diesem Spleen war ich geheilt.

      Der Exorzist war erst ab 18, sonst wär ich da reingegangen. Manche sollten wahnsinnig geworden sein von dem Film und sich umgebracht haben aus Furcht vorm Teufel.

      Fast noch lieber als die Filmplakate sah ich mir nach der Schule das gelbe Rennrad an, das bei dem einen Fahrradhändler in Koblenz im Schaufenster hing. 599 Mark. Damit wäre ich am Ziel meiner Träume gewesen.

      In der Bravo hatte mal ein Bericht gestanden über Eddy Merckx. Dessen Rennrad war so leicht, daß er es mit einem Finger hochheben konnte. Vielleicht würde ich als erster Mensch auf Erden sowohl Fußballweltmeister als auch Sieger bei der Tour de France werden. Dann wäre ich so berühmt wie Franz Beckenbauer und Eddy Merckx zusammen.

      Vor der ersten Stunde ließ Erhard Schmitz mich auf seinem Rennrad mit Zehngangschaltung auf dem Schulhof rumfahren. Das Rennrad, das ich auf dem Kieker hatte, sah so ähnlich aus. Dagegen war das Rad, mit dem ich sonst so rumfuhr, eine alte Gurke, das hätten auch Mama und Papa einsehen müssen, und wenn ich für die Tour de France trainieren wollte, brauchte ich ein Rennrad, aber ich mußte einen günstigen Moment abwarten. 599 Mark waren kein Pappenstiel.

      Gegen Urbar sollte ich im Mittelfeld spielen. Die hatten da einen Schlackeplatz wie wir. Mama fuhr mich hin. Sie hatte den Fotoapparat mitgenommen, für den Fall, daß es ein Tor von mir zu knipsen gab. Als ich mich umziehen wollte, merkte ich, daß ich meine Fußballschuhe vergessen hatte. Ich Trottel! Die lagen noch in der Waschküche beim Schuhputzkasten.

      Mama raste mit dem Peugeot zurück zum Mallendarer Berg, die Schuhe holen. Ohrfeigen hätte ich mich können.

      Glücklicherweise fand der Schiri seine Pfeife nicht gleich, sonst hätte das Spiel ohne mich begonnen.

      Mit meinen Fußballschuhen kam Mama noch haarscharf rechtzeitig angebraust.

      Wir gewannen 5:0 (3:0), allerdings ohne ein Tor von mir. Einmal hatte ich zwei Meter weit danebengeschossen und sonst immer nur Pässe weitergespielt, aber nach dem Schlußpfiff nahm mich der Schreiner zur Seite und sagte: »Junge, wenn du immer so spielst wie heute, dann kann mal ein ganz Großer aus dir werden.«

      Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf. »Junge, wenn du immer so spielst wie heute, dann kann mal ein ganz Großer aus dir werden.« Und ich war bereit, ein ganz Großer zu werden! Wenn nicht als Torjäger, dann eben als Mittelfeldregisseur, so wie Netzer.

      Nach einem lahmen 1:1 (0:1) im Heimspiel gegen Hertha BSC putzte Gladbach Olympique Lyon im UEFA-Pokal-Rückspiel auswärts weg: 1:0 Valette (1.), 1:1 Bonhof (23.), 1:2 Simonsen (28.), 1:3 Bonhof (50.), 1:4 Kulik (64.), 2:4 R. Domenech (71.), 2:5 Simonsen (89.). Noch fünf, sechs Jahre, dann würde ich bei Gladbach mit Rainer Bonhof zusammen im Mittelfeld spielen.

      Leider schied Eintracht Frankfurt gegen Dynamo Kiew aus, aber dafür schoß Gerd Müller in Magdeburg zwei Tore für Bayern München, und der Anschlußtreffer von Sparwasser nützte nichts mehr.

      Gladbachs Auswärtsstärke zeigte sich auch in Stuttgart wieder, da verlor der VfB mit 1:2 (0:1). Nach der Sportschau kuckte ich noch Michel aus Lönneberga, aber das war was für Babys. Hätte einer aus meiner Klasse gewußt, daß ich das kucke, wär ich am Arsch gewesen.

      Die Zeit, wo man die Tasten nur kurz anzutippen brauchte, wenn man umschalten wollte, war lang vorbei. Jetzt mußte man sich vorher den Finger anlecken, und auch das half nicht immer.

      Auf dem Bökelberg spielte Gladbach gegen Köln nur 1:1 und war damit auf Platz 7, vier Punkte hinter Kickers Offenbach, dem Tabellenführer.

      Zum 47. Geburtstag hatte Oma Schlosser Papa ein Buch über die Jagd geschickt, »zur Erinnerung an Rominten«, aber Papa war erkältet, und es wurde nicht groß gefeiert. Es lagen noch zwei Paar Socken und ein Schlips auf dem Geburtstagstisch. Lieber ’ne Mathe-Arbeit schreiben als erwachsen sein und Geburtstag haben.

      Beim Länderspiel gegen Griechenland in Piräus stand Bernard Dietz im Aufgebot, aber er wurde nicht eingesetzt, und wir holten mit Hängen und Würgen ein Unentschieden raus. 1:0 Delikaris (13.), 1:1 Cullmann (51.), 2:1 Eleftherakis (70.), 2:2 Wimmer (83.).

      Mit Dietz, Abramczik, Del’Haye und mir hätten wir die Griechen eingeseift.

      Sigi Held fehlte, weil sein Vater gestorben war.

      Dann machte Gladbach den Wuppertaler SV in dessen Stadion naß: 0:1 Kulik (20.), 1:1 Galbierz (54.), 1:2 Heynckes (61.), 1:3 Kulik (73.), 1:4 Simonsen (81.), 1:5 Heynckes (88.). Das reinste Schützenfest!

      Mit zwei Treffern gegen Rot-Weiß Essen hatte Gerd Müller in der Torjägerliste aufgeholt: Sandberg, Geye und Simonsen je 9 und Müller 7.

      Gladbach gegen Real Saragossa war auch wieder super. 1:0 Simonsen (8., Foulelfmeter), 2:0 Heynckes (24.), 3:0 Simonsen (32.), 4:0 Bonhof (45.), 5:0 Heynckes (76.).

      Wenn ich jetzt schon die Wahl gehabt hätte, wäre ich zu Gladbach gegangen, auch wenn mich der HSV oder Bayern München mit Handkuß genommen hätten. Oder der 1. FC Köln oder Werder Bremen. Hauptsache war, daß keine wichtigen Spiele stattfanden, wenn ich bei der Tour de France war oder beim Giro d’Italia. Die Termine müßten eben aus Rücksicht auf mich so festgelegt werden, daß ich überall mitmachen konnte.

      Falls ich nicht doch lieber Schauspieler wurde. Im Ersten lief ein Western mit John Wayne. Das wär’s doch, so als Sheriff im Wilden Westen aufzuräumen und aus der Hüfte zu schießen, wenn keiner damit rechnet.

      Irgendwann nachts wurde ich wach, da kriegte Renate im Flur ihr Fett weg, weil sie so spät nachhause kam. Mama war schwer am Zetern.

      »Winnetou weiß, daß sein Tod nicht mehr fern ist«, sagte Winnetou in Winnetou III im Zweiten. »Der Tag liegt in weiter Ferne, und wir haben noch eine lange, glückliche Zeit vor uns«, erwiderte Old Shatterhand, aber dann starb Winnetou noch im selben Film, und Wiebke fing an zu flennen. Mich konnte das nicht mehr schocken. Mein Winnetou war schon vor Jahren im Klo ersoffen.

      Statt nach England sollten wir jetzt doch nach Meppen ziehen, und Mama und Papa fuhren schon mal hin, um unser neues Haus zu besichtigen. Nicht daß das eine heruntergekommene Bruchbude war.

      Ich legte mir die Worte zurecht für meine Bitte um das Rennrad, aber die Mühe hätte ich mir sparen können, denn als Mama wieder da war, ließ sie mich gar nicht ausreden. »Ein Rennrad! Du denkst wohl, das kostet nur ’n Appel und ’n Ei!«

      Das war Blödsinn. Ich wußte ja, daß das Rennrad 599 Mark kostete, aber als ich das sagte, wurde Mama noch wütender. »599 Mark, soll ich mir die vielleicht aus dem Bein schneiden?« Papa würde auch nicht mit ’nem Rolls-Royce rumfahren, nur um den dicken Max zu markieren. Und es sei auch nicht gut für ein Kind, wenn es jeden Wunsch gleich erfüllt kriege.

      »Jeden Wunsch, haha«, sagte ich, »da lachen ja die Hühner!«

      »Halt den Rand!« schrie Mama. »Du kriegst kein Rennrad, und wenn du dich auf den Kopp stellst!«

      »Dann könnt ihr euch alle andern Geschenke ins Arschloch stecken!« schrie ich zurück und rannte in mein Zimmer.

      Als Mama reinwollte, stemmte ich die Füße gegen den Kleiderschrank, Rücken an der Tür.

      »Was glaubst du überhaupt, wer du bist, du freches Stück!« rief Mama, und dann, weil sie die Tür nicht aufkriegte: »Na warte, mein Freund! Wir sprechen uns noch!«

      Alles in Klump hauen hätte ich können. Das Rennrad war bestimmt nicht halb so teuer wie die Unterwäsche und die Hemden und die Strümpfe immer zu Weihnachten. Das einzige Wäschestück, das mich interessierte, war das gelbe Trikot