Es gab tosenden Beifall dafür, und Mama hätte sich ruhig zu erkennen geben können als Verfasserin, aber sie wollte nicht, weil sie in Wirklichkeit die Schnauze voll hatte von Koblenz und das Lied von vorne bis hinten gelogen war.
Beim Nachholspiel in Braunschweig siegte Gladbach klar und deutlich. 0:1 Kulik (12., abgefälscht von einem Braunschweiger), 0:2 Jensen (15.), 1:2 Danner (34., Eigentor), 1:3 Merkhoffer (68., Eigentor, ätsch). Jetzt war Gladbach auf dem vierten Platz.
Am Montag stand was über die Prunksitzung in der Rhein-Zeitung: Singe, wem Gesang gegeben, meinen die Gelb-Roten immer. Deshalb sorgen sie nicht nur für viel Geschunkel im Saal. Sie haben auch Hofsänger. Unter der Leitung von Walter Goß hoben sie in diesem Jahr sogar ein neues Koblenzer Karnevalslied aus der Taufe. Es heißt ganz einfach »In Kowelenz«. Wieso der Verfasser nicht genannt werden wollte, wurde nicht gesagt. Die Musik schrieb Walter Goß.
Da hätte auch Mamas Name stehen können.
Beim Nachholspiel gegen Schalke siegte Gladbach durch ein Tor von Heynckes mit 1:0 und wurde Herbstmeister, drei Tage vor dem Beginn der Rückrunde.
Ich wollte auch mal wieder spielen, egal ob auswärts oder zuhause, aber weil es so kalt war, kamen schon immer nur vier oder fünf Mann zum Training, und das reichte nicht. Es wollte auch nie einer Torwart sein.
Grün-Weiß Vallendar war ein Pennerverein. Den Durchbruch würde ich wohl erst beim SV Meppen schaffen.
Ärgerlich wäre es, wenn ich mit dem SV Meppen in die Bundesliga aufstieg und gegen Gladbach spielen mußte, bevor die mich selbst unter Vertrag genommen hatten. Aber vielleicht ließen die ja Talentspäher ausschwärmen, die sich nicht zu schade waren, nach Meppen zu fahren und sich die D-Jugend anzukucken. Oder die C-Jugend.
Auf dem Mallendarer Berg hatte sich noch kein Talentspäher blicken lassen. Da standen nur Opas am Spielfeldrand, die den Ball, wenn er ins Aus gekullert war, so doof zurückschossen, daß man weit hinterherwetzen mußte. Wenn das Talentspäher waren, mußten das Verkleidungskünstler sein wie Fantomas.
Im Halbjahreszeugnis hatte ich Vieren in Geschi und Reli und dafür Zweien in Deutsch, Betragen, Französisch und Sport. Und eine Eins in Mitarbeit. Das waren glatte drei Mark, die ich aus Mama aber regelrecht rausquälen mußte.
Irgendwann würde ich auf dem Boden mal nach Mamas eigenen Zeugnissen suchen. Was die wohl selbst für Noten gehabt hatte.
Früher war es aber auch viel schwerer gewesen in der Schule, nicht so wie heutzutage, wo Renate mit ihrer Klasse zum Skiurlaub nach Innsbruck fahren durfte.
Das Auswärtsspiel gegen den HSV ging unentschieden aus. 0:1 Jensen (55.), 1:1 Nogly (66.). Gladbach war aber noch Erster, punktgleich mit Kickers Offenbach und Hertha BSC.
Erwachsen war man, wenn man bei der Tagesschau Bier trank. Auf meinen Wunsch hin goß Mama mir einmal schon bei der Reklame von Papas Bier einen Schluck in ein eigenes Glas.
Bonduelle ist das famose Zartgemüse aus der Dose.
Als Papa reinkam, nahm er mir das Glas weg. Das sei ja wohl nicht erforderlich, daß hier schon die Säuglinge mit dem Biersaufen anfingen!
Das Bier hatte bitter geschmeckt, aber ich war beleidigt. Immer machte Papa Stunk, und nur unter der Woche, wenn er in Meppen war, konnten wir einigermaßen in Frieden leben.
Unglücklich verlief das Nachholspiel im DFB-Pokal gegen Köln. 1:0 Henyckes (13.), 2:0 Wimmer (30.), 2:1 Flohe (31.), 3:1 Simonsen (34., Foulelfmeter), 3:2 Konopka (35.), 3:3 Flohe (39., Foulelfmeter), 3:4 Neumann (44.), 3:5 Müller (60.).
Nach dieser Pleite mußte Gladbach in der Bundesliga alles geben. Das nächste Spiel ging gegen den Tabellenvierten, Eintracht Frankfurt. Das war weiß Gott keine leichte Aufgabe, und ich saß nägelkauend vorm Radio, aber Gladbach siegte souverän. 1:0 Kulik (24.), 2:0 Simonsen (33.), 3:0 Heynckes (40.). Mama verbat sich mein Jubelgeschrei, aber leises Jubeln war halt noch nicht erfunden, so wenig wie kaltes Kochen.
In Innsbruck war Renate mit Zirbengeist abgefüllt worden und hatte aus der Seilbahn gekotzt, aber das brauchten Mama und Papa nicht zu wissen.
Zum Fernsehturm wollte Michael Gerlach nicht mit. Erstens sei er am Wochenende mit der ganzen Familie zur Bembermühle gewandert, zwotens müsse er noch Geschirr abtrocknen und drittens sehe es nach Regen aus. Dabei sah’s äußerstenfalls nach Nieselregen aus, und wir waren ja nicht aus Zucker.
Ich ging rein und versuchte, Michael zu überreden, aber der wollte und wollte nicht. Zu Mittag hatte es bei denen Sauerkraut gegeben, das roch man noch.
Bis zum Attila könnten wir doch wenigstens wandern und dann neu überlegen, schlug ich vor, aber auch davon wollte Michael nichts wissen. Er verzog sich in sein Zimmer und ließ mich auf der Treppe sitzen.
Bei Gerlachs waren die Pantoffeln sämtlicher Familienmitglieder hinten runtergetreten, weil alle, selbst Michaels Vater, zu faul waren, sich die Pantoffeln ordentlich anzuziehen.
Eine Weile glotzte ich noch die Glasbausteine über dem Heizkörper an. Weiße und gelbe, grüne und blaue. Einer war rot.
Michael kam nicht wieder runter. Ich zog von dannen und drückte die Zunge in die Kuhle zwischen Unterlippe und Gebiß, was mein Geheimrezept gegens Weinen war. Erst zuhause, in meinem Zimmer, flennte ich los.
Nie mehr wollte ich mit dem Mistkerl was zu tun haben. Der konnte mich kreuzweise. Der Fall war für mich erledigt.
Ich würde schon wieder andere Freunde finden, sagte Mama, und es sei noch nicht aller Tage Abend. Aber Michael Gerlach war halt mein bester Freund gewesen, und wenn der schon so Kacke war, wollte ich auch keine anderen mehr haben.
Im Bus hielt er mir morgens wie gewohnt den Platz neben sich frei, aber ich setzte mich woanders hin, und in Koblenz stieg ich schon am Zentralplatz aus. Wenn Michael dachte, daß ich ihm verziehen hätte, war er auf dem falschen Dampfer.
In Katche sabbelte die Frischke über die Dreieinigkeit, und ich mußte mir immer Mühe geben, nicht in Michaels Richtung zu kucken. Wir sollten uns mal einen Hürdenläufer vorstellen, der auch im Weitsprung und im Kugelstoßen gut sei. So ähnlich sei das mit der Dreieinigkeit von Gott, Jesus Christus und dem Heiligen Geist.
Wenn ich nach Katche nicht als erster gehen konnte, schlug ich Umwege ein, weil ich Michael Gerlach auch von hinten nicht mehr sehen wollte.
Dann gab es auch noch in der Schule Ärger. »Bei den Verhandlungen über die Oder-Neiße-Grenze hat sich unsere Regierung ja ganz schön einseifen lassen vom Osten«, sagte Sport-Erdkunde-Meier, und als ich Mama das erzählte, war sie außer sich. Das sei ja wohl die Höhe, Schulkinder politisch aufzuhetzen, und sie rief den Direktor an.
Mama setzte sich immer durch, auch wenn ich einen Western kucken wollte und sie lieber Task Force Police, aber wenn ich jetzt in Erde auf Vier oder auf Fünf absackte, hatte Mama sich das selbst zuzuschreiben.
In der Bundesliga konnte Gladbach wieder einen hohen Auswärtssieg verbuchen, gegen Tennis Borussia. 0:1 Heynckes (27.), 1:1 Stolzenburg (33.), 1:2 Heynckes (50.), 1:3 Bonhof (68.), 1:4 Heynckes (88.).
Im Hobbyraum hatte Papa einen Teil seiner Eisenbahn aufgebaut und ließ die eine Lok mit einer brennenden Zigarette im Schornstein fahren. Auch Mama sollte sich das mal ankucken, aber sie hatte einen Rochus auf die ganze Eisenbahn, weil es noch so viel im Haus und im Garten zu tun gab, daß keine Zeit war für solchen Mumpitz, und dann wurde wieder mit den Türen geknallt, und der Hobbyraum blieb tagelang zugeschlossen, damit wir nichts an der Eisenbahn kaputtmachen konnten.
Volker sammelte jetzt Briefmarken, und Renate hatte in Koblenz auf dem Zentralplatz Genscher gesehen.
In Kaiserslautern hatte Gladbach die Nase vorn: 1:0 H. Toppmöller (59., Eigentor), 2:0 Simonsen (72.), 3:0 Heynckes (90.). In der Woche darauf zog Stielike sich beim Warmlaufen in Duisburg eine Zerrung zu, und Gladbach hatte einen schweren Stand. 0:1 Bonhof (4.), 1:1 Bücker (83.). In der 70. Minute hatte Kleff einen Elfer gehalten.