Gottfried von Straßburg

Tristan und Isolde


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Mann so wenig als ein Weib.

      Und wenn der Zins für jedes Jahr

      Nach Irland hingesendet war

      Und nun das fünfte Jahr begann,

      So musten beide Lande dann

      Stäts zur Sonnenwenden

      Romwärts solche Boten senden,

      Die den Römern behagten,

      Die dann den Boten sagten,

      Welch Gebot und welchen Rath

      Der gewaltige Senat

      Auserdacht und festgestellt

      Für ein jedes Volk der Welt,

      Das den Römern pflichtig war.

      Denn da las man ihnen jedes Jahr

      Vor und ließ sie wißen,

      Wie sie hinfort beflißen

      Sollten sein, das Recht zu weisen

      Nach Römerlandrecht, Römerweisen.

      Sie musten dann auch immer leben

      Wie ihnen Lehre ward gegeben.

      Dieser Zins ward hingesandt

      Aus diesem wie aus jenem Land

      Roma der Gebieterin

      Bei jedes fünften Jahrs Beginn.

      Doch boten sie ihr solche Ehr

      Und diese Zinspflicht nicht so sehr

      Um Rechtes noch um Gottes willen

      Als um Gurmuns Zorn zu stillen.

      Laßt uns zurück zur Märe kommen.

      Tristan hatte wohl vernommen

      Dieses Leid zu Cornewal;

      Auch hatt er früher manches Mal

      Wohl gehört schon den Bericht

      Wie es stand um dieses Zinses Pflicht.

      Doch nun vernahm er alle Tage

      Aus des Landvolkes Klage

      Des Landes Leid und große Schmach,

      Wohin er ritt dem Wege nach,

      Vor Städten und Castellen.

      Und als zu den Gesellen

      Nach Tintajöl er jetzo kam,

      Seht, da hört' er und vernahm

      In Gaßen und auf Straßen

      Die Klage schallen solcher Maßen,

      Daß es ihm sehr zu Herzen gieng.

      Nicht lange währt' es, so empfieng

      Der Hof und König Mark die Märe,

      Daß Tristan angekommen wäre;

      Des waren sie da Alle froh.

      Froh, das mein ich aber so,

      Das Maß lag in der Dinge Stand.

      Denn die Besten, die man fand

      Im ganzen Lande Cornewal,

      Waren eben dazumal

      Alle an den Hof gekommen

      Zur Schande, wie ihr habt vernommen.

      Die Edeln und die Großen

      Giengen da zu looßen

      Ihren Kindern, ach, zum Falle.

      So fand sie Tristan Alle

      Niederknieend zum Gebete,

      Denn ein Jeder bat und flehte

      Ohne Scham und unverborgen,

      Laut weinend in den Sorgen,

      Mit inniglichen Schmerzen

      Des Leibes und der Herzen,

      Daß ihm Gott der milde

      Beschirme und beschilde

      Seinen Adel und sein Kind.

      Wie sie so im Beten sind,

      Kommt Tristan hergegangen.

      Wie ward er da empfangen?

      Das sag ich euch, der Wahrheit nach:

      Tristan ward an diesem Tag

      Unter alle dem Gesinde

      Von keinem Mutterkinde,

      Auch Marken nicht, mit Grüßen

      Empfangen also süßen,

      Als er doch sicher wäre

      Ohne dieses Leid, das schwere.

      Des nahm nun Tristan wenig wahr;

      Doch trat er kecklich vor die Schar,

      Der man die Looße zog und las,

      Wo Morold und Marke saß,

      »Ihr Herren«, sprach er allzumal,

      »Wie ihr auch heißt in diesem Saal,

      Die hieher zum Looße laufen,

      Ihre edeln Kinder zu verkaufen:

      Schämt ihr euch nicht der Schande,

      Die durch euch geschieht dem Lande?

      So mannhaft wie ihr allezeit

      In allen Dingen wart und seid,

      So solltet ihr euch selbst zugleich

      Und dieses Land und euer Reich

      Zu Ansehn bringen und zu Ehren

      Und eure Ehren immer mehren;

      Und wollt eure Freiheit nun,

      Wie verzagte Wichte thun,

      Euern Feinden vor die Füße legen

      Und ihm schnöden Zins erlegen!

      Und eure edeln Kindelein,

      Die eure Wonne sollten sein,

      Euer Lust und euer Leben,

      Gebt und habt ihr hingegeben

      Zu Schalken und zu Waisen,

      Und könnt doch nicht erweisen,

      Daß euch Noth dazu bezwinge.

      Denn hier brauchts nicht andre Dinge

      Als ein Zweikampf und ein Mann;

      Andre Noth hats nie gethan.

      Doch könnt ihr in dem ganzen Reich

      Nicht Einen finden unter euch,

      Der wider Einen Mann sein Leben

      An die Wage wolle geben

      Ob er bleibe oder siege.

      Sei es auch, daß er erliege,

      So mag doch wohl ein kurzer Tod

      Und diese währende Noth

      Im Himmel und auf Erden

      Nicht gleich gewogen werden.

      Geschieht es aber, daß er siegt

      Und das Unrecht erliegt,

      So ist ihm Ehr hienieden,

      Dort Gottes Lohn beschieden.

      Soll doch der Vater für sein Kind,

      Da beide nur Ein Leben sind,

      Das Leben geben. so wills Gott.

      Der treibt mit Gottes Willen Spott,

      Der