halbautomatischen Miele-Waschmaschine. „Miele, Miele sagt die Tante, die alle Waschmaschinen kannte.“ Die in heißer Seifenlauge schwimmenden Wäschestücke wurden maschinell hin und her geschleudert. Die Lauge konnte über einen Hahn am Boden des Gerätes abgelassen werden. Das sorgte für eine wohlig-warme Überschwemmung der nackten Füße auf dem kalten Steinboden, ehe die Brühe gurgelnd durch das Abflussgitter des Fußbodens in der Kanalisation verschwand. Nach dem Klarspülen folgte das recht mühsame Auswringen durch einen Wäschewringer, dessen Kurbel ich mit viel Vergnügen hingebungsvoll bedienen durfte – vorausgesetzt die Zeit drängte nicht allzu sehr. Das Gefühl, sich hier nützlich machen zu können, hob mein nicht sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein ganz ungemein. Es erfuhr eine weitere Steigerung, wenn ich, in einem kleinen Waschzuber mit dazu passendem Waschbrett Taschentücher oder Socken in der Seifenlauge bearbeiten durfte. Das anschließende Lob der Mutter als unabdingbares Sahnehäubchen musste nur selten schmollend eingeklagt werden.
Am Ende des Flurs gelangte man in die Küche, das Reich von Klara Wladrowarzek. Ein stämmiges, ungemein gutmütiges weibliches Wesen aus einfachen Verhältnissen polnischen Ursprungs. An ihrem ersten Arbeitstag eröffnete sie der Mutter treuherzig: „Manchmal bin ich etwas „muksch“, das darf Frau Doktor nicht stören. Frau Doktor müssen mich dann nur übers Knie legen und mir kräftig den Arsch versohlen, dann „funktioniere“ ich wieder!“ Die gute Seele gab aber keinerlei Anlass zu derlei drastischen Verhaltenskorrekturen. Sie hatte uns Kinder in ihr großes Herz geschlossen – Klara „funktionierte“ auch, rein verbal gesteuert, zu allseitiger Zufriedenheit.
Sie war gewohnt, kräftig zuzupacken und dementsprechend bestens für alle etwas gröberen Arbeiten geeignet, die in einem Mehrpersonenhaushalt anfielen. Wenn ich auf der Bohnerbürste sitzend von ihr mit mächtigen Stößen über den Fußboden katapultiert wurde, hatte das etwas von beglückender Rummelplatzatmosphäre. Aber auch wenn zartfühlendere Verrichtung gefragt war, z. B. das Zubinden der Schnürsenkel oder Abputzen der „vier Buchstaben“ nach erfolgreichem Toilettenbesuch, war Klara ein zuverlässiger Begleiter frühkindlicher Bedürfnisse.
Etwa 15 Jahre nach der Flucht aus Schlesien, besuchte Klara uns in der neuen Heimat Esslingen. Weiß der Himmel, wie sie die Adresse ausfindig gemacht hatte. Sie berichtete, wie sie 1945 mit ihren Eltern vor den Russen aus Freystadt geflohen war und dabei eines der Fahrräder als Fluchthilfe aus dem Hause Seraphim mitnahm. Es hatte etwas Rührendes, wie sie dabei wiederholt betonte, sonst – „auf Ehre“ – nichts aus dem Haus „entwendet“ zu haben. Wie tröstlich für all diejenigen, die später alles mitgehen ließen, was nicht niet- und nagelfest war …
Als guter Geist wirkte in der Küche auch Liesel Schütze. Für alles verantwortlich, was mit der Verproviantierung der Familie zu tun hatte. Sie besprach mit der Mutter den Speisezettel für die nächsten Tage, tätigte dementsprechende Einkäufe. Zauberte auch in Zeiten beginnender Knappheit – sprich Lebensmittelkarten – bravourös das Zepter über den Kochtöpfen schwingend, wohlschmeckende Mahlzeiten auf den Tisch. Dabei ging es, entsprechend den versorgungstechnisch schwierigen Kriegszeiten, recht spartanisch zu. Am Sonntagmorgen gab es ausnahmsweise Wurst. Für jeden zwei Scheiben Bierschinken auf eine Semmel pro Person. Sonst eben Schwarzbrot und selbst gemachte Marmelade, nur selten Käse oder Honig. Auch die wöchentliche Fleischration entfiel meist auf das sonntägliche Mittagessen. Dabei hatte ich schon bald entdeckt, dass die Fleischportion auf meinem Teller, im Vergleich zu der des Vaters, doch sehr zu wünschen übrig ließ. Es bedurfte vieler Monate, bis ich mir endlich ein Herz fasste und, leise nörgelnd, die Überlassung eines gleich großen Fleischstückes für meinen Teller beanspruchte. Überraschender Weise wurde dies umgehend zugesagt und in die Tat umgesetzt. Allerdings mit der Auflage, wie üblich, alles aufzuessen, was auf dem Teller war. Andernfalls entfiel der Nachtisch. Das Ende war vorhersehbar: Ich kaute immer noch an meinem Fleisch, als alle anderen schon längst beim Nachtisch saßen. Er wurde dieses Mal ohne eigene Mitwirkung vertilgt. Man ging aber zartfühlend mit dem Benjamin um, verlor kein Wort mehr darüber. Mutters Jüngster war um eine Erkenntnis reicher: Die Größe der mir zugeteilten Fleischportion wurde vom Fassungsvermögen meines Magens, nicht von mangelnder Elternliebe diktiert.
Zur Sommerzeit fanden in Anlehnung an eine Art „Kasperle-Dramaturgie“ Theateraufführungen statt. Von ihnen erhoffte sich die Kinderseele zahlreiche erwachsene Zuschauer. Dann zog eine ganze Kinderhorde von Haustür zu Haustür, um das bedeutsame Ereignis anzukündigen. Gleichzeitig galt es, eine bescheidene „Eintrittsgebühr“ von 10 Reichspfennig zugunsten der mitwirkenden „Künstler“ zu erbitten.
Die meist ablehnenden Reaktionen an den Wohnungstüren gaben der Kinderseele erste Einblicke in die Mentalität der dahinter lebenden Menschen. Dabei wäre es für sie sicher unterhaltsam gewesen, der Kinderschar zuzusehen. Es gab leidenschaftliche Diskussionen um die heikle Frage, wer was spielen darf. Wer gibt den Bösewicht, wer die von ihm entführte Jungfrau – in Ermangelung eines Mädchens nicht selten männlichen Geschlechts. Wer durfte der edle Ritter sein, der den Räuber zur Strecke brachte und die befreite Dulcinea in sein Schloss zurückbeförderte? Reich sind die Künstler dabei nicht geworden und in Ermangelung der erwachsenen Zuschauer mussten dafür die Kinder herhalten, die in dem Bühnenspektakel nicht zum Zuge kommen konnten. Dabei ließ man es nicht an Kreativität fehlen, möglichst viele Akteure auf die Bühne zu bekommen: Zum Beispiel als sich im Sturm biegende Bäume, die allerdings nicht selten aus der ihnen zugewiesenen Rolle fielen, weil sie meinten, in die nicht nach ihrem Geschmack ablaufende Dramaturgie des Drehbuchs eingreifen zu müssen. Ähnliches galt für die auf Kisten ans Firmament postierten Sonne und Mond, die je nach Tages- bzw. Nachtzeit der Handlung ihr Gesicht zu verhüllen hatten. Da die Künstler meist tagsüber agierten, war die Rolle des Mondes nicht sehr begehrt – schließlich wollte der ja auch etwas vom Spektakel sehen. Um diesem Missstand abzuhelfen, entschied die Regie, dass der Mond bei Tage unverhüllt auf der Kiste sitzen durfte statt zu stehen. Dafür musste der Mond die Akteure unterstützen, die als Windbläser eingeteilt waren, wenn die Regie Sturm aufziehen ließ.
Neben derlei harmlosen Kinderbelustigungen kam eins der Kinder eines Tages auf die Idee, den nicht allzu weit entfernten Eisenbahnschienen einen Besuch abzustatten. Hier fuhren nicht gerade häufig die Züge von und nach Neusalz vorbei. Eine willkommene Abwechslung in dem an technischer Dynamik nicht eben reichhaltigen Reservoir kindlichen Erlebens. In Anlehnung an Winnetou, der mit dem Ohr am Boden das noch um Kilometer entfernte Getrappel von Pferdehufen erahnen konnte, musste das auch mit dem Ohr auf der Schiene bezüglich eines herannahenden Zuges ausprobiert werden. Diese Experimente verliefen absolut enttäuschend. Vom weit entfernten Zug war effektiv nichts zu erahnen. Es wurde mangelhafter Naturverbundenheit zugerechnet. In diesem Zusammenhang tauchte auch die spannende Frage auf, wie nahe ein Zug kommen muss, bis sich dies dem Ohr auf der Schiene zweifelsfrei kundtut? So blieb es nicht aus, dass sie ihre Ohren auch noch auf die Schiene pressten, als der Zug schon in Sichtweite war. Das versetzte den Lokomotivführer in höchste Alarmbereitschaft, die sich in heftigen Pfeifsignalen Luft machte, was wiederum die Kinder begeisterte und sich bald zu einer Art Sport entwickelte. Er wurde mit der Mutprobe verbunden, wer seinen Kopf am längsten vor dem herannahenden Zug auf der Schiene behielt.
An dieser Stelle kam der Beruf von Armins Vater ins Spiel: Einem der Lokomotivführer, der diesem Sport keinerlei Unterhaltungswert abgewinnen mochte, erinnerte sich daran, dass der Schrankenwärter einen Sohn hatte, dessen Alter gut zu dem der von ihm wiederholt gesichteten Kindern passte. Er kontaktierte Armins Vater. Der wiederum unterzog seinen Sprössling einer hochnotpeinlichen Befragung, der Armin auf Dauer keinen Widerstand entgegenzusetzen vermochte. So endete dieser Ausflug in das prickelnde Abenteuer mit einem häuslichen Donnerwetter und bei mir zusätzlich zu einer Abkommandierung in die für derlei Entgleisungen kindlichen Wohlverhaltens vorgesehene Ecke im Esszimmer. Hier hatte ich mich, mit dem Rücken zum Esstisch, für mindestens fünf Minuten zu postieren, um „sich zu schämen“… In diesem, wie in den meisten anderen Fällen dieses Zwangsaufenthaltes, hielt sich die Scham sehr in Grenzen. Warum diese Prozedur trotzdem zu einem gewissen Grade gefürchtet war, lag an der damit verbundenen gähnenden Langeweile. Der Mutter ging dabei die im Minutenabstand wiederholte Fragerei nach dem Ende der Strafaktion auf die Nerven. Nach meiner Erinnerung stand