Kay Tetzlaff

Moderne Tauchmedizin


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In diesem Speicher findet zunächst eine verzögerte Inertgas-Sättigung statt. Auch die spätere Leerung des Speichers, z. B bei Belastung, findet keinen Widerhall in den Gleichungen.

      ■ Die zeitliche Verzögerung („Latenz“, ca. 3–5 min) in der Inertgas-Druckanpassung von palveolar → parteriell bedingt durch Toträume, das variable Verhältnis von Ventilation zu Perfusion der Lunge (Durchlüftung/Durchblutung) und derr Grundumsatz.

      ■ Die uneinheitliche Berücksichtigung der metabolischen Gase O2, CO2 und H2O wird, quer durch alle Tauchtabellen, durch die Variationen im respiratorischen Quotient Rq deutlich dokumentiert: Schreiner: Rq = 0,8, Workman: Rq = 0,9, Bühlmann: Rq = 1,0.

      ■ Körperliche Verfassung oder Anpassung finden keinerlei Niederschlag im Algorithmus.

      ■ Ebenfalls nicht berücksichtigt sind die Faktoren, die technische Taucher besonders tangieren:

hohe körperliche Belastung, z. B. durch die schwere Ausrüstung und den damit verbundenen hohen Wasserwiderstand oder durch die erhöhte Atemarbeit, bedingt durch die erhöhte Gasdichte in größerer Tiefe,
Temperatur,
hohe Sauerstoffpartialdrücke,
große Absolutdrücke in großen Tauchtiefen. Das Verhältnis von Ventilation/ Perfusion sowie der Totraum und die Diffusionsstrecken ändern sich mit zunehmender Dichte des Atemgases, auch die Differenz von palveolar – parteriell.

      Weiterhin wichtig für technische/Trimix-Taucher: das zweite Inertgas! Insbesondere das konstante Verhältnis von ca. 2,65 von den N2- zu den He-Halbwertszeiten scheint in der Praxis nicht zu passen. Die Algorithmen wenden diesen Faktor unterschiedslos auf jeweils alle Kompartimente an. Offenbar scheint es auch Unterschiede bei N2- zu den He-Blasen zu geben in Punkto Stabilität und Übertritt vom venösen in das arterielle System. Darüber hinaus scheint es auch Zweifel zu geben an der Gültigkeit des Henry’schen Gesetzes bei binären (ca. 1:1) Inertgasmischungen in komplexen biologischen Systemen. Binäre Mischungen sind solche, bei denen 2 Inertgase (bei Trimix also He – N2) im Verhältnis 50:50 gemischt sind. Es scheint Hinweise zu geben, dass z. B. bei Trimix (Tmx 20/40/40) die aufgenommene Inertgasmenge nicht mehr den berechneten Werten entspricht. Allerdings ist dies keine so neue Erkenntnis. Der Effekt findet schon Erwähnung im „The Underwater Handbook“ von Charles W. Shilling von 1976 (S. 470).

      Kompaktinformation

      Gaskinetik bei Dekompressionsmodellen

      Kennzeichnung verschiedener Sättigungs- und Entsättigungsmethoden

      1. EE: Sättigung und Entsättigung exponentiell und symmetrisch

      2. EL: Sättigung exponentiell, Entsättigung linear, deshalb: asymmetrisch

      3. Asymm: Sättigung exponentiell, Entsättigung ebenfalls exponentiell, aber mit verlängerter Halbwertszeit, deshalb: asymmetrisch

      Diese Gaskinetikmethoden können für alle Dekompressionsmodelle benutzt werden, sowohl für die Perfusionsmodelle als auch für die Blasenmodelle. Der Unterschied in den Modellen äußert sich lediglich in dem „Kriterium für sichere Dekompression“. Dies ist einfach die geringste Tiefe, zu der „gefahrlos“ aufgetaucht werden kann. In manchen Tauchcomputer-Bedienungsanleitungen wird diese Tiefe auch als „ceiling“ (englisch für Decke) bezeichnet. Die traditionellen Modelle der USN (Workman) und ZH-L 16 (Bühlmann) sind beide vom Typ EE. Bei einigen Deco-Programmen lassen sich bereits Asymmetrien einstellen.

      Hinweis. Der respiratorische Quotient, oft mit Rq abgekürzt, ist das einfache Verhältnis von produziertem Kohlendioxid zu verbrauchtem Sauerstoff. Als grobe Faustregel gilt:

      Rq ist abhängig von der körperlichen Belastung sowie von der Ernährung.

      5.2 Empirische Weiterentwicklungen

      Die oben genannten Punkte haben sowohl in der Tauchergemeinde als auch in der Forschung durch experimentelle und empirische Anpassungen der Tauchprofile ihren Niederschlag gefunden. Da diese prinzipiellen Schwächen auch stellenweise für die neueren Blasenmodelle gelten, haben wir es hier mit einer Bewegung auf breiter Basis zu tun. Letzten Endes sind ja die so genannten „vier freien Parameter“ des VPM-Modells von 1986, die Oberflächenspannungen, die initiale Blasenverteilung mit einer Blasenregenerationszeit und einem sog. Summenparameter nicht aus ersten Prinzipien einer Theorie, sondern durch profane Parameteranpassungen an bewährte USN-, Royal Naval Physiological Laboratory (RNPL)- bzw. dem TEKTITE-Sättigungsexperiment auf 100 Fuß von 1971 abgeleitet.

      Historische Notiz. Im Rahmen von sog. „Sättigungsexperimenten“ wurden Taucher über mehrere Tage einem erhöhten Umgebungsdruck ausgesetzt. Die Taucher lebten unter Wasser in einem Habitat, das üblicherweise mit einer Versorgungs- und Kommunikationsstation an der Wasseroberfläche gekoppelt war. Ziel war es, die physiologischen als auch die psychologischen Auswirkungen des erhöhten absoluten Drucks und des erhöhten Sauerstoffpartialdrucks zu studieren. Insbesondere mussten, neben den puren technischen Herausforderungen, auch neue Methoden zur Dekompression entwickelt werden. Dem breiten Sporttaucherpublikum wurden solche Experimente im Mittelmeer und im Roten Meer durch Jacques-Yves Cousteau bekannt gemacht. Die amerikanischen Vorläufer wurden durch George F. Bond unter dem Namen SEALAB bekannt. Bedingt durch den damals herrschenden „Kalten Krieg“ erhoffte man sich auf amerikanischer Seite durch diese Experimente Vorteile in der Unterwasser-Kriegsführung. Die vollständigen wissenschaftlichen Ergebnisse wurden deshalb erst mit Verzögerung publiziert. Eine der empirischen Weiterentwicklungen war die Reduktion der erlaubten Inertgasübersättigungen in Form der Gradientenfaktoren (GF; s. S. 75 ff. und S. 91).

      Hinweis. Die Reduktion eines Grenzwerts um ca. 10 % von Bühlmann (s. Kompaktinformation unten) entspricht somit einem Gradientenfaktor GF = 0,9. Sollen nur die Stoppzeiten auf den letzten Stufen künstlich verlängert werden, wäre dies der GF Hi = 0,9.

      Von den Gradientenfaktoren (GF) zum VGM (Variable Gradient Method). Diese GF gelten jedoch, wie auf S. 75 beschrieben, für die Gesamtheit aller Kompartimente gleichzeitig. Eine feiner abgestufte Variante ist die Benutzung verschiedener GF für unterschiedliche Kompartimente. Mit dem als VGM (Variable Gradient Method) bekanntgewordenen Verfahren kann man in Abhängigkeit der Halbwertszeit die GF getrennt festlegen. Schnellere Kompartimente könnte man über GF > 1 zu kürzeren Stoppzeiten zwingen, mittlere Kompartimente aussparen oder mit Standardwerten, z. B. 80 %, arbeiten und die langsamsten Kompartimente mit GF-Werten von 30 % zu noch längeren Stopps bewegen. Allerdings ist dieses Vorgehen nicht ganz unkritisch, da es tiefere Kenntnisse der Kompartimentphysiologie und etwas Fingerspitzengefühl bei der Einstellung auf dem Mischgas-Computer erfordert. Mit den GF > 1 kann auch eine Tauchgangsplanung komplett korrumpiert werden, da die Stoppzeiten dann zu kurz ausfallen.

      Kompaktinformation

      Historische Verwendung der Gradientenfaktoren (GF)

      GF wurden schon seit Haldane und später auch von Workman oder Bühlmann und Weiteren benutzt, nur war der Terminus technicus jeweils ein anderer.

      Im Ergebnis für den Taucher wurden die Austauchzeiten verlängert unter den folgenden Bedingungen:

      ■ bei Wiederholungstauchgängen wurde die Entsättigung während der Oberflächenpause vernachlässigt. Stattdessen wurde die Sättigung rechnerisch erhöht durch einfache Addition der Grundzeiten (Bühlmann et al. 2002, S. 147; Boycott et al. 1908, S. 369f.),

      ■ bei kalten und/oder anstrengenden Tauchbedingungen (NOAA Standard Procedure, Diving Manual, S. 4–30; Boycott et al. 1908, S. 425),

      ■ oder auch bei älteren (> 45 Jahre) und/oder übergewichtigen Tauchern (Boycott et al. 1908, S. 368, 375, 410) oder

      ■ bei Hautabkühlung und R/L-Shunt-Phänomenen (Bühlmann et al. 2002; S. 159)

      ■ und ab einem pO2 > 1 bar (Workman 1965, S. 21)

      Das