Kay Tetzlaff

Moderne Tauchmedizin


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entwickelt.

      Die nächste Methode, „von Hand“, erzeugt ähnlich tiefe Stopps und kann sehr einfach, auch während des Tauchens, angewendet werden: Die geometrische Distanz der größten Tiefe des Profils zum tiefsten berechneten Tabellenstopp (oder zu dem vom Tauchcomputer angezeigten Stopp) wird halbiert.

      Mittels den bereits beschriebenen GF bei DIY-Deco-Software können ebenfalls ähnliche Profile produziert werden. Die erprobte Wahl des TEC-Tauchers: von GF Hi ab ca. 0,8 bis ca. 0,3 bei viel Helium im Atemgas für den GF-Lo-Wert.

      Für strenges Nullzeittauchen bis 30 m Tiefe wurde von DAN/PADI zu Beginn des 3. Jahrtausends eine noch einfachere Empfehlung ausgesprochen: Halbierung der maximalen Tauchtiefe, dort ca. 2,5 min verbleiben. Optional dürfen auch noch die Sicherheitsstopps im Bereich zwischen 3 bis 6 m verlängert werden.

      Ebenfalls um die Jahrtausendwende wurde mittels des proprietären RGBM-Modells für die Mischgas/TEC-Sparte von NAUI Folgendes propagiert: tiefster Stopp auf der halben Maximaltiefe, dort ca. 0,5–1 min verbleiben und dies dann alle 10 Fuß beim Aufstieg wiederholen, bis der erste große Stopp aus einem anderen Perfusionsmodell droht.

      Von der Fa. Uwatec wurde ein dokumentiertes Verfahren, das so genannte „PDIS“ (Pressure Dependant Intermediate Stop) in Tauchcomputern implementiert. Wird diese Methode auf die etwas langsameren Kompartimente angewendet, so konvergiert PDIS, natürlich in Abhängigkeit der Grundzeit, sehr schön mit einigen der oben genannten Methoden.

      Ein experimenteller Ansatz war der der USN aus dem Jahre 2007: Zum systematischen Test der Effizienz von „deep stops“ wurden mit 81 Tauchern 390 Lufttauchgänge absolviert. Es wurden genau 2 Profile für 170 Fuß (ca. 51,8 m) und 30 min Grundzeit getestet. Die Summe der Aufstiegs- und Stoppzeiten wurde für beide Profile auf 174 min festgelegt. Die alte USN-Tabelle schlägt hier nur 46 min vor; die neue USN-Tabelle von 2008 landet bei immerhin 93 min. Die konstante Austauchzeit über die beiden Profile rührt von einer Kalibrierung über die zugrunde gelegten Deko-Algorithmen. Für das Profil #1 wurde ein VVAL18/LEM-Modell (s. oben) benutzt, für das Profil #2 mit tiefen Stopps ein Blasenmodell, das BVM(3) (Bubble-Volume-Modell mit 3 Kompartimenten). Die konstante Austauchzeit ergibt sich aus den annähernd vergleichbaren DCS-Risiken. Die Wassertemperatur betrug 30°C, die Arbeitslast am Ergometer 115 W.

      Ergebnis: Das Profil #1 mit dem traditionellen Aufstiegsmuster beginnend bei 40 Fuß (= 12 m) und mit einem ca. 90-minütigen 10 Fuß (= 3 m) langen Stopp wartete bei 192 Tauchgängen mit lediglich 3 Fällen von DCS auf. Das Profil #2 weist Stopps ab 70 Fuß auf. Der letzte Stopp bei 10 Fuß betrug ca. 75 min aufgrund der Randbedingung der konstanten Austauchzeit. Hier wurden bei 198 Tauchgängen bereits 11 Fälle von DCS berichtet. Die Schlussfolgerung ist: Für dieses Tauchprofil haben die tiefen Stopps nicht funktioniert!

      5.4.3 Hoher pO2

      In den traditionellen Deko-Modellen wird O2, da er metabolisiert wird, üblicherweise nicht berücksichtigt. Sauerstoff an sich wirkt unter Druck gefäßverengend (als „Vasokonstriktor“) und kann eine Verlangsamung des Herzschlags („Bradykardie“) verursachen. Neuere Modelle gehen deshalb davon aus, dass, zumindest bei hohen Partialdrücken einhergehend mit langer Expositionsdauer, ein nicht zu vernachlässigender DCS-Effekt auftritt.

      Es gibt zum gegenwärtigen Zeitpunkt zwei unterschiedliche Verfahrensweisen, den Sauerstoffbeitrag zu berücksichtigen: zum einen in einer geänderten Gaskinetik, zum anderen als additiven Inertgas-Partialdruck.

      Die geänderte Gaskinetik bedeutet einfach, dass in ausgesuchten Kompartimenten die Halbwertszeit für die vorhandenen Inertgase erhöht wird. Eine erhöhte Halbwertszeit bedeutet eine geringere Perfusion. Beim zweiten Ansatz wird ein Teil des Sauerstoffpartialdrucks additiv zu den anderen Inertgasen hinzugezählt und trägt somit zu einer erhöhten Aufsättigung bei.

      Experimentell sind die Beiträge wohl so klein bzw. die Modelle so unempfindlich, dass zwischen beiden Wegen nicht mehr unterschieden werden kann. Nichtsdestotrotz liegen seit 1994 Zahlen vom DCIEM vor, die mittels 700 Heliox- und 2000 EAN Tauchgängen zeigen konnten, dass die Vasokonstriktion mit bis zu 50% zu Buche schlagen kann, wenn der arterielle pO2 > 0,46 bar beträgt. In Jahre 1998 wurden diese Parameter anhand der rückwärtsgerichteten Untersuchung von 3300 EAN-Tauchgängen bestätigt. Auch neuere Experimente aus dem Jahre 2000 an Ratten mit Mischgasen scheinen dies zu bestätigen.

      Ergebnis: Diese Resultate veranlassten die U.S. Navy, sog. Sauerstoff-Korrektur-Faktoren einzuführen. Ab einem pO2 > ca. 1,3 bar und Expositionszeiten > ca. 10 min werden die Dekompressionsstopps wieder künstlich verlängert.

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      Air-Breaks vs. O2-Korrekturen

      Luftpausen („Air Breaks“) bedeutet die Atmung von Atemgasen mit geringerem, aber immer noch normoxischem Sauerstoffgehalt. Diese Pausen während Atmung unter hohem pO2 werden als sinnvoll erachtet, um die Gefahr der ZNS-O2-Intoxikation zu verringern. Wird während der Atmung von beispielsweise reinem O2 in einer Deko-Phase auf 3 oder 6 m nach ca. 10–15 min auf normale Atemluft gewechselt, so wird diese Zeit der Luftatmung nicht als Dekompressionszeit gewertet. Die Luftpausen sollen ca. 5 min betragen. O2-Korrekturen sind hingegen Verlängerungen der Dekompressionszeiten unter hohem pO2, um die gegenteiligen O2-Effekte zur Korrektur von Vasokonstriktion und Bradykardie zu berücksichtigen.

      5.4.4 Körperliche Belastung

      Unter körperlicher Belastung steigen der Sauerstoffverbrauch sowie die Herzfrequenz und das vom Herz geförderte Blutvolumen pro Minute (kurz: der kardiale Output). Durch die erhöhte Durchblutung muss sich auch folglich mathematisch die Perfusion der Kompartimente erhöhen. Die erhöhte Perfusion bedeutet im Umkehrschluss aber eine Verkürzung der Halbwertszeit sowie eine erhöhte Inertgas-Aufsättigung. Sinkt die Belastung und damit auch wieder die Perfusion, z. B. in der Deko- oder Oberflächenphase, stellen die bisher stärker durchbluteten Kompartimente eine Quelle für Inertgase dar und verzögern somit die Entsättigung. Die unten genannten Forscher der U.S. Navy haben zu diesem Zweck ein einfaches, lineares Modell zur Skalierung der Halbwertszeiten entwickelt. Die Parameter hierfür wurden aus 3322 Tauchgängen mit 190 Fällen von „echter“ DCS und 110 unklaren Fällen angepasst. Die hiermit berechnete Voraussage für die DCS-Häufigkeit nach dem Auftauchen war mit einem EL-Modell etwas besser wie mit einem traditionellen EE-Modell.

      5.4.5 Heliumblasen und Arterialisierung

      Im Rahmen von 21 Trimix-Ausbildungstauchgängen (ca. 65 m Tiefe, ca. 5 min Grundzeit, Tmx 16/47 mit einem Gaswechsel auf EAN50) wurde bei 9 Tauchgängen durch ultrasonographische bildgebende Verfahren ein relativ hoher Grad von Gasembolien (VGE im arteriellen System) gefunden. Die Dekompressionsprofile wurden mit einer handelsüblichen VPM-Software berechnet. Da die Tauchgänge ereignislos waren, keine DCS-Fälle auftraten und nur einer der Probanden ein PFO aufwies, werden solche Profile mit noch unerklärlichen resp. Langzeiteffekten in Verbindung gebracht.

      5.4.6 Hydrierung, Lage im Wasser, Shunts und Anastomosen

      Wird die Rheologie, die Fließfähigkeit des Blutes, geändert, ändert sich zwangsläufig die Mikroperfusion. Dies gilt ebenso im makroskopischen Bereich für das zirkulierende Blutvolumen. Die Hydrierung/Hydratation des Blutes beeinflusst sowohl die Fließfähigkeit als auch das Volumen. Größere Shunts und auch Anastomosen (Gefäßkurzschlüsse im Kapillarbett) bewirken Volumenumverteilungen beim Öffnen oder Schließen. Die Umverteilungen („blood pooling“) sind auch druckabhängig. Der Druckunterschied eines sich im Wasser aufrecht befindlichen Tauchers von den Füßen zur Körpermitte ist wesentlich größer als wenn der Taucher eine horizontale Lage einnimmt. Folglich sollten diese Effekte geringer ausfallen: Für die Dekompressionsstopps im Wasser wird deshalb die horizontale Lage mit leichten Bewegungen empfohlen. Weiterhin sind diese Umverteilungen durch Shunts nach ganz neuen Untersuchungen auch abhängig von der Submersion, Kälte, körperlicher Anstrengung sowie von einer Hypoxie als auch Hyperoxie. Sie spielen anscheinend eine etwas größere Rolle als bisher gemeinhin vermutet (2011, private Kommunikation von OA Dr. Frank Hartig, Universitätsklinik für Innere Medizin Innsbruck und Institut ISAG, tauchmedizinische Sprechstunde).

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