heute (2012) noch keine benutzbaren Implementierungen in Tauchtabellen oder Tauchcomputern.
Das CMD wartet mit 26 Kompartimenten und Halbwertszeiten von 0,1 (He) bis 480 min (N2) auf. Grundlage bildet eine Diffusionsgleichung für die Zylindergeometrie. Diese Zylindergeometrie ist das Idealmodell für ein Blutgefäß. Die resultierenden Tauchprofile sind in etwa analog zum VPM zu sehen.
Für das GFM wurde zur Kalibrierung der Parameter statt den üblichen USN-Profilen die Nullzeiten der PADI/DSAT-Tabelle benutzt. Eine Kalibrierung anhand von Dekompressionsprofilen hat anscheinend nicht stattgefunden. Grundlage ist hier ebenfalls ein Kapillarmodell mit Zylindersymmetrie: Die Gasblasen werden aber als dünne Schicht am Gefäßrand dargestellt. Durch die Benutzung von Bessel-Funktionen zur Berechnung der Inertgasdiffusion ist es mathematisch etwas schwerer zu durchschauen. Da die Herren Steven Crow und John Lewis aber ein Patent für diese Idee im Namen der Fa. Pelagic, dem weltweiten Marktführer von Tauchcomputern (Stand 2012), eingereicht hatten, warten die zugehörigen Patentschriften (auch auf Deutsch) im Anhang mit einem Pseudo-Excel-Code auf, der es auch Nicht-Mathematikern erlaubt, den vereinfachten Algorithmus für den PC nachzuprogrammieren.
Das 3CG wurde einer etwas breiteren Masse von Tauchern bekannt durch einen Artikel im DAN-Magazin „Alert Diver“ (04/2010, S. 52). Die übliche, parallele Kompartimentstruktur wird mit mehreren, in Serie geschalteten Kompartimenten erweitert. Die Serienschaltungen sollen schlechter durchblutete Gewebe simulieren, die erst in den Dekompressionsphasen als Inertgasquellen zur verzögerten Entsättigung und damit zur Erhöhung des Decostress beitragen. Natürlich sind auch hierbei, wie bei eben fast allen Algorithmen, die numerische Größe der wesentlichen Parameter nicht über grundlegende, erste Prinzipien ableitbar.
Die wesentlichen Parameter sind im 3CG die Kopplungen der neuen Serienschaltungen an die herkömmlichen, parallel geschalteten Kompartimente. Auch diese Kopplungsparameter müssen erst über Vergleiche mit bekannten, DCS-armen Profilen ermittelt werden. Das bekannteste und komplexeste dieser Modelle dürfte wohl der „Copernicus“ sein: Es hat bereits in das eine oder andere populäre Tauchermagazin Eingang gefunden. Statt den oben beschriebenen Parameteroptimierungen anhand vorhandener USN-Tauchprofile riskiert es etwas Neues, nämlich die Synthese mit Ultraschalldopplermessungen am lebenden Taucher, um die Parametersätze zu verbessern.
Kompaktinformation
Für den mathematisch-geneigten Leser alle Quellen aus den entsprechenden Wissenschaftsjournalen auf einen Blick:
■ 1-Kompartiment-Modell:
Baz A, Seireg A: Single-tissue modeling of decompression schedules. Undersea Biomed Res 1979; 6: 217–229
■ Kontinuierliche Halbwertszeiten:
Egi SM, Gürmen NM: Computation of decompression tables using continuous compartment half-lives. Undersea Hyper Med 2000; 27: 143–153
■ LEM/VVAL 18 (Linear-Exponential-Multigas):
Thalmann ED, Parker EC, Survanshi SS, Weathersby PK: Improved probabilistic decompression model risk predictions using linear-exponential kinetics. Undersea Hyper Med 1997; 24: 255–274 sowie Thalmann ED: CDR, MC, USN. Computer Algorithms used in computing the MK 15/16 constant 0.7 ATA oxygen partial pressure decompression tables. Navy Experimental Diving Unit Report No. 1–83
■ CMD (Complex Mathematical Model):
Voitsekhovich I: A mathematical decompression model based on biophysical and physiologic laws. Undersea Hyper Med 1994; 21: 209–213
■ GFM (Gas Formation Method): Patent:
DE 10 2006 028 085 A1 2007.12.20 Tauchcomputer und Verfahren zur Bestimmung von Gasbildung, Steven Crow; John Lewis sowie Patent No.: US 7,313,483 B2 Dec.25,2007; Dive Computer and Method for Determining Gas Formation; Steven Crow, John Lewis
■ 3CG (3 Compartment General Model):
A new class of biophysical models for predicting the probability of decompression sickness in scuba diving; Saul Goldman, Department of Chemistry and Guelph-Waterloo Physics Institute, University of Guelph, Guelph, Ontario, Canada. J Appl Physiol 2007; 103: 484–493
■ Copernicus-Modell:
UHMS ASM 2008 Session T134 sowie ASM 2010, Session F10: Copernicus Decompression Procedures, von: NTNU, Brubakk et al.
Die gemessene Anzahl von Inertgasblasen wird als Indiz für den so genannten „deco stress“ benutzt. Bei diesen Vorgehensweisen gilt: Je weniger gemessene Blasen, desto weniger „deco stress“, umso „sicherer“ das Tauchprofil. Das Copernicus-Modell berücksichtigt die komplette Biometrie der Taucher inklusive BMI und aerobe Kapazität und deren körperliche Arbeitslast. Es ist das Kind von Forschern aus Norwegen am NTNU, der Norwegian University of Science and Technology, Trondheim (www.ntnu.no).
5.4 Neuere methodische Untersuchungen über einige Faktoren, die die Dekompression beeinflussen
Die physikalischen und biochemischen Interaktionen von Sauerstoff und gelösten Inertgasen mit dem menschlichen Körper sowie Reaktionen auf mikro- oder auch makroskopische Gasblasen sind sehr vielfältig, äußerst komplex und noch weitestgehend unverstanden. Hier wird eine ganz kleine Auswahl an neueren Untersuchungen vorgestellt, die keinesfalls vollständig ist:
5.4.1 Wärme/Kälte
Die traditionelle Tauchausbildung, egal ob für Sport-, Militär- oder Berufstaucher, hing bis dato an dem Dogma: bei kalten Tauchgängen nächstgrößere Tiefe und nächstgrößere Zeit anstatt des tatsächlichen Tauchprofils zur Dekompressionsplanung benutzen. Dies kann nicht nur dem USN Diving Manual, sondern auch noch der NOAA-Prozedur in der oben beschriebenen Kompaktinformation zu den GF entnommen werden. Die Begründung hierfür waren im Wesentlichen die erhöhte Sättigung bei kleineren Temperaturen gemäß dem Henry’schen Gesetz sowie eine geänderte Perfusion an der Peripherie. Ausgehend von widersprüchlichen Ergebnissen bei Berufstauchern in der Nordsee unter Benutzung von Warmwasseranzügen sowie bei den Bergungstauchgängen zum Flugzeugwrack der TWA 800, die eine signifikant erhöhte Anzahl von DCS-Fällen aufwiesen, wurden als neue Basis 400 experimentelle Tauchgänge mit 21 Fällen von DCS untersucht. Es handelte sich um Arbeitstauchgänge unter Belastung von ca. 60 W und einem O2-Verbrauch von ca. 2,2 l pro Minute.
Ergebnis: Die Häufigkeit von DCS-Fällen konnte durch diese Vorgehensweise signifikant von ca. 22% DCS auf ca. 1% gesenkt werden: den Taucher während den Isopressions- oder Grundphasen relativ kühl (ca. 26 °C) halten, aber warm in der Dekompressionsphase (ca. 31 °C).
5.4.2 Tiefe, Zeit und Aufstiegsgeschwindigkeit
Tiefe Stopps („deep stops“) sind solche, die tiefer durchgeführt werden als diejenigen, die eine traditionelle Tabelle, eine Deko-Software oder auch ein Tauchcomputer vorschreiben. Die Zeitdauer dieser Stopps soll nur wenige Minuten betragen.
Die Frage ist: Wie tief ist „tief“ und wie lange sollen diese Stopps sein? Da es quer durch alle Ausbildungs- und Forschungsorganisationen divergierende Empfehlungen über Tiefe und Länge dieser Stopps gibt (s. Kompaktinformation), entsteht zum einen Raum für breite und hitzige Diskussionen in den entsprechenden Internet-Diskussionszirkeln, zum anderen berechtigter Handlungsbedarf, diese Fragen im Sinne der Tauchsicherheit zu klären.
Kompaktinformation
Seit es Tauchtabellen gibt, existieren auch verschiedene „deep stop“-Strategien, die allerdings anders bezeichnet wurden.
Der Vater aller Tauchtabellen, John Scott Haldane, benutzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts seine „2:1“-Methode, um tiefe Stopps zu berechnen. „2:1“ führt im Ergebnis zu einer Druckhalbierung. Diese Strategie wurde in seiner zweiten Tauchtabelle hinterlegt, die für außergewöhnliche Belastungen berechnet war. Die Aufstiegszeiten betrugen hierbei immer mehr als 30 min. Diese zweite Tabelle geriet aufgrund des Erfolgs der ersten Tabelle aber schnell in Vergessenheit.
Brian Andrew Hills wählte 60 Jahre später aufgrund thermodynamischer Überlegungen den Weg der “zero supersaturation“. Durch Beobachtungen an Berufstauchern in der Torres Strait, deren Stopps sehr viel tiefer durchgeführt wurden