Am Abend des zweiten Gigs in Milwaukee sagte Donald „Cherokee“ an und brachte den Song deutlich zügiger. Es war das erste Mal, dass ich ein gutes Solo bei einem schnellen Song spielen konnte, und das Gefühl, wie meine Finger über die Tasten sausten, beeindruckte mich selbst.
Nach dem Auftritt unterhielten Donald und ich uns erneut. Er wusste, dass ich noch viel lernen musste. Offensichtlich hatte er gemerkt, wie ernst ich seinen Ratschlag nahm, denn er meinte: „Herbie, ich habe es mit der Band schon abgesprochen. Wir mögen deinen Stil und wollen, dass du einsteigst.“
„Ihr habt doch einen Pianisten“, entgegnete ich verwirrt.
„Wir werden ihn feuern“, informierte er mich. „Wir wollen dich. Aber du musst nach New York umziehen. Was hältst du davon?“
Natürlich wollte ich, denn New York war das Zentrum des Jazz, die Stadt, in der die großen Chancen an jeder Ecke warteten. Chicago hingegen ließ sich als großartige, aber nicht impulsgebende Jazz-Stadt beschreiben, mit beeindruckenden Pianisten wie Ahmad Jamal und Ramsey Lewis. Ich hatte schon immer das Gefühl gehabt, dass meine Heimatstadt nur ein Sprungbrett auf dem Weg nach New York darstellte, wo es richtig abging. Allerdings hätte ich mir niemals vorstellen können, den Absprung so schnell anzuvisieren.
„Das würde ich gerne“, erklärte ich Donald. „Doch du musst zuerst meine Mutter fragen.“ Obwohl ich schon zwanzig war, fällte Mom immer noch die Entscheidungen in der Familie. Mein ganzes Leben hatte ich Vater sagen gehört: „Geh und frag deine Mutter.“ Und nun lag eine so bedeutende Chance vor mir, dass ich es als falsch empfunden hätte, den Entschluss ohne sie zu treffen.
Donald lächelte nur und antwortete: „Natürlich.“ Am nächsten Tag rief er Mom vom Club aus an und bat um die Erlaubnis, ihren jüngsten Sohn mit nach New York City zu nehmen, damit er in seiner Band spielte.
Meine Eltern sagten, sie würden alle ihre Kinder unterstützen, egal, was sie auch machen wollten, doch Mom war sich bei dieser Entscheidung nicht sicher. Sie drückte gegenüber Donald ihre Bedenken aus, was mein Alter und meine Sicherheit in der Metropole anbelangte, und Donald – schon „ganze“ achtundzwanzig Jahre alt – ging in seinem unnachahmlichen Stil darauf ein: „Haben Sie keine Angst! Ich werde mich persönlich um Herbie kümmern und darauf achten, dass es ihm gutgeht.“
Damit hatten sich weitere Gespräche erledigt, und nur weniger als einen Monat später – im Januar 1961 – unternahm ich meine erste Flugreise von Chicagos Midway Airport nach New Yorks Idlewild. Ich kam mit drei Taschen und einigen hundert Dollar in der Tasche an und stieg in den Bus nach Manhattan ein, um ein neues Leben zu beginnen.
Während der Busfahrt nach Manhattan starrte ich ununterbrochen auf die vielen Wolkenkratzer. Obwohl in Chicago aufgewachsen, hatte ich kaum Zeit im Stadtzentrum verbracht, und in der South Side oder nahe der Hyde Park gab es keine riesigen Gebäudetürme, was mich hier so neugierig wie einen Touristen machte. Ich konnte nicht glauben, tatsächlich in New York City – dem Mekka des Jazz – und zum ersten Mal allein auf mich gestellt zu sein.
Ich stieg in Midtown Manhattan aus, nicht weit vom Times Square entfernt, und wuchtete die drei vollgestopften Taschen auf den Randstein. Damals hatten Reisetaschen noch nicht diese kleinen Rädchen, und so musste ich sie entweder zu meiner neuen Behausung tragen oder schleifen: dem Alvin Hotel an der 52nd Street zwischen dem Broadway und der Eight Avenue. Das Alvin gehörte zu den billigen Hotels, und ich hatte gehört, dass dort viele Musiker lebten. Es lag nur eine Ecke vom Birdland entfernt, dem Ort, wo ich sein wollte.
Das Birdland war der legendäre Jazz-Club, der seit 1949 all die Großen angezogen hatte. An der Fassade hing ein Schild mit der Aufschrift THE JAZZ CORNER OF THE WORLD, was man förmlich spürte. Dort waren bislang regelmäßig Musiker wie Count Basie aufgetreten, Charlie Parker, John Coltrane, Stan Getz und Art Blakey. Auch Miles Davis zählte zu den häufig gesehenen Gästen, obwohl die Polizei ihn nur fünf Monate zuvor vor dem Clubs für das „Verbrechen“ verprügelt hatte, eine weiße Frau zum Auto zu begleiten. Das Birdland war der heißeste Laden, dort, wo es richtig abging, und „Lullaby Of Birdland“, der George-Shearing-Song und zugleich eine der besten Jazz-Nummern, die ich zu kopieren versuchte, war nach dem Club benannt. Ich empfand es also als durchaus passend, meine ersten Nächte in New York im Schatten dieses großartigen Veranstaltungsorts zu verbringen.
Natürlich konnte ich mir einen Hotelaufenthalt nicht lange leisten – auch nicht einen billigen –, und als mich Donalds Bassist Laymon Jackson fragte, ob ich mir mit ihm ein Apartment teilen wolle, willigte ich unverzüglich ein. Wir fanden ein dreckiges, billiges Apartment in der baufälligen West Side, eine nur über eine Treppe zu erreichende winzige Behausung ohne Möbel, aber mit vielen Kakerlaken. Es gab nur ein Bett – eine auf dem Boden liegende Matratze –, die sich Laymon und ich teilten. Uns stand nicht genügend Geld zur Anschaffung einer zweiten zur Verfügung, auch wenn das Zimmer groß genug gewesen wäre. Allerdings fanden wir einige Stühle auf der Straße, womit jeder wenigstens eine Sitzgelegenheit hatte.
Die ersten Wochen in New York waren hart. Bevor ich dort hinzog, hatte ich überhaupt keine Vorstellung, wie das Leben von New Yorker Musikern ablief. Ich wusste, dass Donald eine erfolgreiche Jazz-Karriere verfolgte und dass sich seine Platten auf der ganzen Welt verkauften. Als fester Musiker in seinem Quintett würden wir doch sicherlich viel Geld verdienen? Doch schon bald fand ich heraus, dass sich die Realität grundlegend von meiner Einschätzung unterschied. Wir spielten weniger Gigs als erwartet und erhielten weniger Gage. Laymon und ich teilten uns das billigste Apartment, das man finden konnte, in der Nachbarschaft von Schwarzen und Hispanics, und sogar das war beinahe unerschwinglich.
Im Laufe der Zeit lernten wir ein Handvoll anderer Musiker in der Nachbarschaft kennen, darunter einen Vibrafonisten namens Jinx Jingles und seine Frau, eine Sängerin, die meist auch pleite waren. Am härtesten empfand ich einen Moment, ungefähr einen Monat nach Ankunft in der Stadt, in dem ich meine Taschen leerte und nur noch zwölf Cents fand. Doch wir achteten aufeinander, kratzten eines Nachmittags unser Geld zusammen und kauften für etwas mehr als einen Dollar einen Laib Wonder Bread, eine Tomate, einen Suppenknochen und etwas Mehl. Jinxs Frau kochte die Suppe, in die wir das Brot eintunkten. Ich war so hungrig, dass ich es als absolut köstlich empfand.
Alle paar Wochen rief ich meine Eltern an. Ich erzählte ihnen nichts von den miserablen Seiten des Lebens, doch sie schienen es zu spüren. „Willst du nicht nach Hause kommen?“, fragte Mom immer, was ich natürlich verneinte. Ich bin mir sicher, dass sie mir Geld geschickt hätten, hätte ich nur gefragt, doch ich war fest entschlossen, es allein zu schaffen. Mir war mein Stolz sehr wichtig.
Mein erster Gig mit Donald Byrds Formation fand im Five Spot statt, einem Club im Kabarett-Stil am Cooper Square in der Bowery. Seit der Eröffnung 1956 hatte sich der Laden zu einem Magneten für Künstler und Schriftsteller wie Allen Ginsberg, Jack Kerouac und Willem de Kooning gemausert sowie berührten Musikern wie Thelonious Monk und später Joni Mitchell. Vor dem Auftritt führte Donald noch ein kleines „Aufklärungsgespräch“ mit mir. „Hör mal, Herbie“, begann er. „Wenn wir im Five Spot spielen, werden sich dort auch andere Pianisten aufhalten, Musiker, deren Platten du liebst.“ Er meinte, möglicherweise kämen Horace Silver oder Bill Evans. Wenn ich sie im Publikum sähe, aufgereiht wie eine Jury, die über den „Neuen“ richtet, solle ich versuchen, jegliche Bedenken wegzustecken. „Werde nicht nervös, okay?“ Nein, überhaupt kein Druck.
Natürlich war ich nervös. Aber irgendwie habe ich den Auftritt wohl gut gemeistert, denn ich erhielt danach Anrufe anderer Musiker, die mich für Gigs engagierten. Jeder wusste, dass ich Donalds Pianist war, doch das Quintett arbeitete nicht immer, womit mir Zeit für zusätzliche Auftritte blieb und sogar Aufnahme-Sessions mit Jackie McLean, Kenny Dorham und Lou Donaldson. Nachdem der Stein einmal ins Rollen gekommen war, stand mir zu meiner großen Erleichterung ein eher akzeptables Einkommen zur Verfügung.
Eines Nachmittags kurz nach dem Five-Spot-Gig fuhr Donald von der Bronx zu meiner Bude in der 84th Street, um mich zu besuchen. Er kam in einem Jaguar angesaust, seine Freundin auf dem Beifahrersitz, und ich