Lisa Dickey

Möglichkeiten


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mit ihm zu spielen.

      Um seine Kosten so gering wie möglich zu halten, arbeitete Hawkins meist mit Spontan-Besetzungen, was bedeutete, dass er lokale Musiker engagierte – einen Pianisten, einen Drummer und einen Basser –, und das in jeder Stadt, in der er auftrat. Für den Gig in Chicago war der Pianist erster Wahl – ein Typ namens Jodie Christian – nicht verfügbar, woraufhin Hawkins’ Schlagzeuger Louis Taylor vorschlug, es mal mit mir zu versuchen. Damals war ich noch ziemlich grün hinter den Ohren, hatte aber schon einige Male mit Taylor gespielt, der meinte, ich verdiene die Chance.

      Coleman holte mich für ein vierzehntägiges Engagement im Cloisters-Nachtclub ins Boot. Er war der erste international bekannte Musiker, mit dem ich arbeitete. Sein Saxofon-Solo auf der Aufnahme von „Body And Soul“ wurde als die ultimative Interpretation des Klassikers angesehen. Ich fühlte mich geehrt, die Bühne mit ihm zu teilen, und war gespannt auf das, was ich von ihm lernen konnte. Doch ich zeigte mich auch nervös und hoffte, den Ansprüchen gerecht zu werden. Coleman ermutigte mich und versuchte, mir ein angenehmes Bühnen-Feeling zu bereiten, und ich glaube, dass er mit meinem Stil zufrieden war.

      Allerdings bot sich mir nie die Chance, mich ausführlich mit ihm zu unterhalten, da ich immer nach dem letzten Set nach Hause hetzen musste. Die Auftrittszeiten lassen sich als total verrückt beschreiben – jede Nacht vier Sets und fünf am Samstag, ohne einen einzigen freien Tag. Und so spielte ich bis in die frühen Morgenstunden und versuchte dann den ganzen Tag, die Post auszutragen. Schon am dritten Tag war ich ein komplettes Wrack. An dem Morgen stand ich vor einer Apartmenttür, blätterte durch die Briefe und fühlte mich, als würde ich im Stehen einschlafen – was sicherlich nicht gut war, denn das Apartment lag am Ende einer hohen Betontreppe. Ich quälte mich, lag hinter der Zeit, und dann wurde mir auch noch übel – was wohl niemanden überrascht.

      Louis Taylor, der Drummer, der mir den Gig beschafft hatte, riet mir: „Herbie, der Job bei der Post kommt deiner Musik in die Quere. Du musst da aufhören.“ Ich erkannte, dass es keinen Weg gab, beide Tätigkeiten miteinander in Einklang zu bringen, doch ich hatte Angst, bei der Post zu kündigen, da mir der Job Stabilität und ein regelmäßiges Einkommen garantierte.

      Doch am vierten Tag, nachdem ich um vier Uhr regelrecht nach Hause kroch, wusste ich, dass mir keine Wahl blieb. An dem Morgen erzählte ich den Kollegen bei der Post von der beabsichtigten Kündigung. Viele von ihnen – selbst Musiker – rieten mir dringlichst davon ab. Man ermahnte mich zur Vorsicht: „Mann, du wirst deine Krankenversicherung verlieren!“ Ich wusste, wenn ich kündigte, würde man mich nicht wieder einstellen, falls es mit der Musik nicht funktionierte. Doch ich musste das Risiko eingehen, und so betrat ich das Büro meines Vorgesetzten und erklärte ihm, dass ich hier fertig sei.

      Nach Ende des zweiwöchigen Engagements bei Coleman Hawkins saß ich dann neben dem Telefon und hoffte auf ein Angebot für einen weiteren Job. Ohne reguläre Arbeit fühlte ich mich seltsam. Zudem war ich nicht sicher, als Pianist genügend zu verdienen. Doch meine Eltern kümmerten sich um mich, ließen mich mietfrei wohnen und fütterten mich mit einem täglichen Abendessen durch. Ich konnte mich ihrer Unterstützung glücklich schätzen, während ich an der Verwirklichung des Traums arbeitete, irgendwann einmal ein professioneller Jazz-Musiker zu sein.

      Im Dezember 1960, einige Monate nach der Coleman-Episode, rief mich John Cort an, der Besitzer des Birdhouse, eines winzigen Clubs im zweiten Stock eines Gebäudes an der Dearborn Street in der North Side, den man nur über eine steile Treppe erreichte. „Donald Byrd und Pepper Adams spielen nächstes Wochenende in Milwaukee“, verriet er mir. „Willst du mit ihnen auftreten?“

      „Du nimmst mich wohl auf den Arm?“, antwortete ich, ohne zu zögern. „Yeah, natürlich will ich mit ihnen spielen.“ Ich konnte es nicht glauben – gerade hatte man mich zu einem Gig mit einem der weltbesten Jazz-Trompeter eingeladen. Donald Byrd war ein „Veteran“ von Art Blakey’s Jazz Messengers und hatte sogar einen Master an der Manhattan School of Music gemacht. Über die Jahre war er mit zahlreichen Jazz-Größen aufgetreten, darunter John Coltrane und Thelonious Monk, worauf er 1958 mit dem Bariton-Saxer Pepper Adams ein Quintett gründete. Und das war exakt die Gruppe, zu der man mich einlud.

      „Tja“, meinte John, „dann zieh dir dein kastanienbraunes Jackett an und komm mal rüber!“ Ich hatte schon gelegentlich in seinem Club gespielt, und so kannte er auch mein Jackett – das einzige Jackett, das ich für Auftritte besaß. Ich machte mich so schnell wie möglich auf den Weg ins Birdhouse.

      Wie sich herausstellte, hatte Donald ursprünglich einen anderen Pianisten engagiert, doch ein Blizzard zog über den Südwesten hinweg, und der Musiker war sprichwörtlich gestrandet. Sie brauchten mich also nur als Ersatz für den Wochenend-Gig im Curro’s in Milwaukee, und ich sollte am anschließenden Montag wieder abgelöst werden. Ich traf Donald, Pepper und die anderen Kollegen im Birdhouse, woraufhin wir alle runtergingen und uns für die Fahrt in den Wagen quetschten. Mittlerweile hatte sich der Blizzard in einen unheimlich heulenden Orkan verwandelt. Wir kamen nicht weit, bis allen klar wurde, dass wir es nicht mehr rechtzeitig zum Gig in Milwaukee schaffen würden.

      Ich war zutiefst enttäuscht, aber dann fragte Donald: „Sind heute nicht einige Jam-Sessions in Chicago? Vielleicht können wir dich wenigstens mal spielen hören.“ Ich wusste von einer lockeren Session mit dem Leader, Trompeter und Saxofonisten Ira Sullivan und erklärte Donald die grobe Richtung. So machten wir uns denn auf den Weg. Als wir im Club ankamen, dachte ich nur noch: Herbie, vermassle das nicht! Das war meine große Chance, eine Art Vorspielen für den schick gekleideten, hochgebildeten Donald Byrd, einen wirklich sympathischen Menschen. Ich wollte ihn unbedingt beeindrucken, so sehr, dass meine Hände zitterten, als ich an der Reihe war, die Bühne zu betreten, um mich zu den Musikern zu gesellen.

      Ich schätze mal, dass das Zittern nicht aufhörte, denn ich klang schrecklich. Die Nervosität hatte mich fest im Griff, und ich konnte nichts richtig spielen. Nachdem ich mich durch eine Nummer gequält hatte, wusste ich, dass ich erledigt war. Ich schlich mit hängenden Schultern von der Bühne und ging mit gesenktem Kopf an den Tisch, an dem die anderen saßen.

      Ich drehte mich zu Donald und sagte: „Ich möchte dir dafür danken. Ich weiß, dass du mich jetzt nicht mehr haben willst, aber ich schätze es sehr, dass du mir die Chance gegeben hast.“ Donald begann zu lachen und klopfte mir auf den Rücken. „Na los, Herbie! Wir werden dich morgen mit nach Milwaukee nehmen. Ich habe gespürt, dass du nervös warst – mach dir da mal keine Sorgen.“ Erleichterung durchströmte meinen ganzen Körper. Ich hatte es also doch nicht vermasselt und immer noch eine Gelegenheit, Donald zu beweisen, was ich wirklich konnte.

      Am nächsten Tag fuhren wir nach Milwaukee, und ich spielte an dem Abend wesentlich besser als bei der Jam-Session. Doch ein Song bereitete mir Probleme – ein Jazz-Standard aus den Dreißigern mit dem Titel „Cherokee“. Ich kannte die Akkord-Struktur, doch Donalds Quintett spielte die Nummer recht schnell. Bei Balladen und Songs mittlerer Tempi schlug ich mich recht gut, doch ich hatte bei den Soli schnellerer Stücke zu kämpfen.

      Nach dem Gig entschied ich mich, Donald darauf anzusprechen. „Ich weiß, dass ich mit ‚Cherokee‘ nicht so gut klargekommen bin. Ich hatte bei schnelleren Tempi schon immer Probleme. Hast du vielleicht einige Tipps, die mir weiterhelfen?“

      „Vor langer Zeit gab mir Barry Harris einen Ratschlag“, meinte Donald, sich dabei auf einen Pianisten aus seiner Heimatstadt Detroit beziehend. „Er sagte: ‚Der Grund, dass du nicht schnell spielen kannst, liegt darin, dass du dich noch nie gehört hast, wenn du schnell spielst.‘“ Und dann erläuterte er mir exakt Barrys Vorgehensweise, das Problem aus der Welt zu schaffen.

      Laut Barry sollte man mit einer bestimmten Form anfangen – entweder einem zwölftaktigen Blues oder einem Rhythmus-Pattern (basierend auf den Akkorden von Gershwins „I Got Rhythm“), die man als die einzigen wahren traditionellen Muster im Jazz einstufen kann. Danach machte man sich an die kompletten Durchgänge: Ist es eine Blues-Form, notiert man die zwölftaktige Struktur und ein improvisiertes Soli darüber – in der Länge einiger Durchgänge. Hat man die komplette Struktur ausnotiert, übt man die aufgeschriebenen Noten, spielt sie immer wieder und dann immer schneller.

      Am nächsten Tag befolgte ich Donalds