„Hey-eyyy, watermelon man!“ Und da hatte ich sie – die Melodie meines Songs. Ich schrieb ein funky Arrangement, bei dem die Melodie über ein Rhythmus-Muster „säuselte“, welches das Geräusch der Wagenräder imitierte, die über das Kopfsteinpflaster der Straße klapperten. Ich nannte den Song schlicht „Watermelon Man“.
Mir gefiel die Nummer, und ich war glücklich darüber, sie aus einer Kindheitserinnerung heraus kreiert zu haben, einem Teil meines kulturellen Erbes. Ich wusste aber, dass nicht jeder auf den Song eines schwarzen Musikers mit dem Titel „Watermelon Man“ abfahren würde. Damals ließ sich das bestimmende Image von Schwarzen (mit Wassermelonen) mit einer eindeutig negativen Karikatur gleichsetzen, die ein kleines schwarzes Kind mit geflochtenem Haar, großen weißen Augen und glänzenden Zähnen zeigte. Durch die Komposition eines Songs mit dem Titel „Watermelon Man“ fühlte ich mich ein wenig peinlich berührt, denn ich war mir nicht ganz sicher, keinen Fehler zu begehen.
Und so nahm ich mir die Situation gedanklich vor und pflückte sie wie immer analytisch auseinander. Dabei stellte ich mir zwei Fragen: Gibt es negative Bezüge mit Blick auf Wassermelonen? Nein! Gibt es ein inhärentes Problem mit einem „Watermelon Man“? Nein. Dass etwas so Unschuldiges und Harmloses wie eine Wassermelone partiell vom herrschenden Rassismus in Beschlag genommen wurde, war eine Tatsache, die mir überhaupt nicht gefiel. Ich wollte mich davon nicht unterkriegen lassen, denn das hätte bedeutet, sich auf die Opfermentalität einzulassen, die Tendenz zu akzeptieren, unbewusst oder bewusst, das Negative anzunehmen, das mit Rassismus verknüpft ist.
Indem ich das Stück „Watermelon Man“ betitelte, beabsichtigte ich, die Deutungshoheit des Bildes von Schwarzen wieder für uns zu beanspruchen. Nach den gedanklichen Analysen fühlte ich mich erleichtert, da ich den Song mochte und ihn aufnehmen wollte – und mir wäre niemals ein anderer Titel eingefallen.
Es gab übrigens auch einen Gemüsehändler, der mit seinem klackernden Gespann durch die South Side zog, doch der hatte nicht diesen Sound …
Auf Donalds Drängen hin begab ich mich im Frühjahr 1962 zu einem Treffen mit Alfred Lion und Frank Wolff, die ich während der Arbeit an Royal Flush bereits kennengelernt hatte. Alfred und Frank waren deutsche Immigranten, in die USA ausgewanderte Kindheitsfreunde, die Blue Note 1939 gegründet hatten. Die beiden sprachen mit breitem Dialekt, und einige Jazz-Musiker hatten ihren Spaß daran, sie nachzuäffen. Man hätte den Eindruck gewinnen können, dass die Leute sich über sie lustig machten, doch in Wahrheit erkannte jeder, wie viel Herzblut Frank und Alfred investierten und wie viel ihnen die Musik bedeutete. Die Musiker schätzten sie dafür.
Wie Donald mir geraten hatte, erklärte ich Frank und Alfred zuerst, dass ich vor der Einberufung stünde. Dann erzählte ich ihnen von drei Eigenkompositionen, die ich mit zwei Standards und einem Blues einspielen könne, was eine Platte mit sechs Songs ergäbe, damals typisch für eine Jazz-LP. Sie baten mich, die drei Songs vorzuspielen. Als ich fertig war, fragte Alfred: „Kannst du noch drei Nummern schreiben, Herbie?“ Das überraschte mich, denn es war für Blue Note höchst ungewöhnlich, von einem jungen Künstler nur eigene Songs produzieren zu lassen. Vielleicht hatten sie bei „Watermelon Man“ etwas gehört, das sie überzeugte, dass man damit Platten verkaufen konnte, weshalb sie sich gewillt zeigten, ein komplettes Album nur mit eigenen Stücken von mir zu machen. Das verblüffte mich! Ich hatte das Büro an dem Tag in der vagen Hoffnung auf einen Plattenvertrag betreten, und nun boten sie mir viel bessere Konditionen an, als ich jemals zu träumen gewagt hätte.
Doch damit nicht genug. Donald hatte mir vor dem Meeting noch einen Tipp mit auf den Weg gegeben. Er meinte: „Ich werde dir dabei helfen, einen eigenen Verlag zu gründen, denn sie werden dir raten, alle Kompositionsrechte an ihren Verlag abzutreten. Und da musst du nein sagen!“ Ich entgegnete ihm, dass ich davor Angst hätte und befürchtete, sie würden mir aus diesem Grund keinen Vertrag anbieten. Doch Donald stärkte mein Selbstbewusstsein: „Sie werden dich nehmen.“
Damals hatte ich keine Ahnung von dem ganzen Platten-Business, weshalb ich Donald vertraute. Wie zu erwarten, wollte mich Alfred bei dem Treffen auf seine Seite ziehen: „Und natürlich wirst du deine Songs bei uns verlegen.“ Ich folgte Donalds Anweisung.
„Das tut mir leid, aber ich kann es nicht“, antwortete ich. Als er sich nach dem Grund erkundigte, log ich: „Ich habe sie schon längst in meinem Verlag veröffentlicht.“ Ich konnte kaum glauben, dass ich das tatsächlich gesagt hatte, und begann zu schwitzen. Hoffentlich würden die Männer in ihren Anzügen meinen Traum nicht zerstören, bevor er begonnen hatte.
„Tja“, meinte Alfred mit einem Seitenblick auf Frank. „Ich schätze mal, dass wir dann keine Platte mit dir machen können.“ Mir blieb die Luft weg. Ich war so unglaublich enttäuscht, dass ich kein Wort über die Lippen brachte.
Ich stand auf und machte mich auf den Weg, als etwas geschah, was man sonst nur aus Filmen kennt. Auf halbem Weg zur Tür rief Alfred plötzlich: „Herbie, warte mal.“ Die beiden Männer tuschelten miteinander, und dann verkündete er: „Okay, du kannst die Verlagsrechte behalten.“
Ich war einfach nur glücklich, meinen Plattendeal zurückzuhaben. Erst später erkannte ich die tiefe Weisheit von Donalds Ratschlag – und erntete die damit verbundenen Tantiemen. Am nächsten Tag rief ich Hancock Music ins Leben und meldete alle Stücke der ersten Scheibe mit dem Titel Takin’ Off für den Verlag an. Und als „Watermelon Man“ ein Hit wurde, verdiente ich eine Menge Geld damit – Geld, das sonst direkt in die Kasse von Blue Note geflossen wäre. Dank Donald Byrd machte ich wieder einen großen Karrieresprung.
Wir nahmen Takin’ Off in Rudy Van Gelders Studio in Englewood Cliffs, New Jersey, auf. Jahrelang hatte Rudy tagsüber als Augenoptiker gearbeitet und nebenbei als Tontechniker. In den Fünfzigern baute er ein fantastisches Studio und begann, sich ausschließlich der Musik zu widmen. Die meisten Studios hatten ein Flachdach, doch Rudys Aufnahmeraum besaß ein Kathedralen-ähnliches und oben konisch zulaufendes. Nicht nur war die Akustik hervorragend, auch der Raum war so konzipiert, dass die Musiker in einem Halbkreis spielten und nicht in verschiedenen Räumen oder separiert von hohen Abtrennwänden. Das einzigartige Design ermöglichte den Instrumentalisten, sich gegenseitig gut zu hören, und Rudy die exakte Kontrolle der Tonquellen im Mix, obwohl sich alle in einem Raum befanden.
Rudy war dafür bekannt, mit seinem Equipment überaus penibel umzugehen. Wenn er etwas im Studio berührte, trug er weiße Handschuhe, und die Musiker merkten schnell, dass sie auf gar keinen Fall etwas anfassen durften. Wenn etwas bewegt werden musste – auch wenn es sich nur um einen Mikroständer handelte –, bat man ihn darum. Hätte man sich selbst darum gekümmert, wäre die Session unverzüglich gestoppt worden, und man hätte die Bekanntschaft eines aus der Regie stürmenden und krakeelenden Rudy gemacht. Obwohl Rudy eher klein war, konnte er einen Musiker zu Tode ängstigen. Da er so wirkte, als wäre er auf Mord und Totschlag aus, fasste man nie etwas an.
Ich nahm mit Rudy unzählige Platten auf, und er wurde zu einer Art Familienmitglied. Jahre nach der ersten Aufnahme-Session befand ich mich im Studio und musste den Kopfhörer in eine andere Klinkenbuchse stöpseln. „Rudy, ich muss den Kopfhörer umstecken. Neben mir ist ein Anschluss. Als er „Alles klar, mach schon“ antwortete, schauten mich die anderen Musiker im Raum schockiert an. Ich dachte selbst, ich wäre vielleicht gestorben und befände mich im Himmel. Rudy erlaubte mir, den Kopfhöreranschluss selbst zu wechseln! Ich spähte zu ihm rüber und erkannte ein flüchtiges Lächeln. Von dem Moment an wusste ich, dass ich angekommen war.
Während der Aufnahmen zu Takin’ Off lernte ich etwas Neues über Frank Wolff: Spielt man eine Nummer ein, schaut man nicht in die Regie, da man sich auf die Musik konzentriert. Betritt man nach dem Take die Regie zum Abhören der Version, kann man ungefähr vorausahnen, was die anderen davon halten. Bei Blue Note achtete man hierbei besonders auf Frank. Er wippte den Groove – falls er die Musik fühlte – unmerklich mit dem ganzen Körper mit. Machte er das während des Playbacks, hatte man den Take. Falls nicht, bedeutete das: Zurück in den Aufnahmeraum. Sein Instinkt war unfehlbar.
Alfred hatte die Musiker für die Scheibe vorgeschlagen: Billy Higgins an den Drums, Butch Warren am Bass, Freddie Hubbard Trompete und Dexter Gordon Sax. (Dexter hatte einige Jahre in Dänemark gelebt und