5.
Als die Black Queen in den späten Vormittagsstunden des nächsten Tages zusammen mit ihrem Anhang die Felsenkneipe „Zur Schildkröte“ betrat, hockte Emile Boussac bereits mit kummervoller Miene an einem Tisch und starrte in einen halbleeren Rotweinhumpen.
Jaime Cerrana lachte spöttisch.
„Was ist denn mit dir los, Monsieur Boussac? Du schneidest ja ein Gesicht, als hätten dir die Hühner das letzte Stück Brot weggefressen.“
Boussac hob den Kopf.
„Ihr habt gut reden“, jammerte er. „Mit euren Plänen geht es wenigstens vorwärts. Ihr könnt Tag für Tag neue Fortschritte verbuchen. Aber was ist mit mir, dem einst so stolzen Besitzer von ‚La Mouche Espagnole‘? Es ist zum Heulen! Ich sitze hier und warte auf meine Süßen aus Paris. Dabei weiß ich noch nicht einmal, ob sie jemals auf Tortuga eintreffen werden. Schließlich waren sie ja nach El Triunfo beordert und …“
Jetzt riß der Black Queen der Faden. „Hör endlich auf mit deinem ewigen Gejammer, Boussac! Das alles wissen wir längst, und ich kann dein Gejaule nicht mehr hören. Es gibt wahrhaftig wichtigere Dinge zu tun, als ständig hinter deinen lausigen Freudenmädchen her zu heulen. Huren gibt es überall auf der Welt, die kann man immer noch importieren, wenn die Siedler erst einmal Fuß gefaßt haben.“
Emile Boussac hob abwehrend die Hände.
„Ganz so einfach ist das nicht“, sagte er. „Schließlich stehen die Mädchen in Paris nicht in langen Schlangen, um auf ihren Abtransport zu warten. Außerdem dauert es verdammt lange, bis ein neuer Transport zusammengestellt ist. Dabei geht viel kostbare Zeit verloren, in der man keine Geschäfte tätigen kann. Es ist schon ein rechtes Kreuz, wenn man bedenkt, daß es auf Tortuga ganz hervorragende Möglichkeiten gibt …“
„Schluß jetzt, Boussac!“ Die Queen hieb mit der Faust auf den Tisch. „Ich kann’s nicht mehr hören. Plötzlich dreht sich auf Tortuga alles nur noch um Huren!“
Emile Boussac war beleidigt. Er murmelte etwas von Unverständnis und Mißgunst vor sich hin und zog sich schmollend zurück. Er spürte plötzlich, daß sein Kopf schwer geworden war, denn er hockte bereits seit dem frühen Morgen in der „Schildkröte“, schluckte einen Humpen Wein nach dem anderen und hoffte inbrünstig, daß seine „Püppchen“ doch noch den Weg nach Tortuga finden würden.
Jetzt aber war er müde, und irgendwo in den Felsengewölben würde er schon noch eine freie Nische finden, in der er sein müdes Haupt ein Stündchen auf die Tischplatte legen konnte.
Emile Boussac war davon überzeugt, daß sich langsam alles gegen ihn verschwor. Kein Wunder, daß er mit seinem Schicksal haderte. Das Gespräch, das er noch spät in der vergangenen Nacht mit Diego geführt hatte, war auch nicht gerade dazu angetan, seine Laune zu heben.
Wie der dicke Wirt beteuert hatte, waren die Geschäftsmöglichkeiten auf Tortuga gar nicht so rosig. Daß der schlitzohrige Diego absichtlich den Gang seiner Geschäfte in den düstersten Farben ausgemalt hatte, weil er nicht gern einen zweiten Schankwirt als Konkurrenten in der Nähe haben wollte, ahnte Boussac nicht.
Laut Diego konnte man als Schankwirt auf Tortuga nur ein sehr armseliges Dasein fristen, weil ja kaum etwas los war auf dieser einsamen Insel.
Mon Dieu, das Leben war manchmal hart und grausam. Emile Boussac seufzte tief und gottergeben, als er seinen bleischweren Kopf auf die verschränkten Arme sinken ließ.
Daß ein Mann von der „Caribian Queen“ im Laufschritt in die Kneipe stürmte, um der Black Queen die Ankunft eines gar seltsamen Schiffes zu melden, kriegte der sonst so quicklebendige Franzose nicht mehr mit.
„Was heißt hier seltsames Schiff?“ herrschte die Queen den Mann an. „Kommt es vielleicht durch die Luft geflogen?“
„Nein, Madam“, erwiderte der Kreole und glotzte die Queen dümmlich an. „Es – es schwimmt im Wasser.“
„Was du nicht sagst!“ Das Gesicht der schwarzen Piratin wurde böse. „Vielleicht klappst du jetzt dein verdammtes Maul auf und drückst dich klar und verständlich aus! Ist es ein Schiff des Seewolfs?“
„Nein, Madam, das ist es wohl nicht. Aber es sieht so – so komisch aus. Es flattern überall bunte Tücher herum. Die Kanonen sind auch in Tücher eingehüllt, und als Flagge führt die Galeone ein Stück Stoff mit einem roten Herzen darauf. Bei der Galionsfigur handelt es sich um einen goldenen Hahn …“
„Was soll das? Hast du schon am frühen Morgen Rum getrunken?“
„Gewiß nicht, Madam!“ Der Kreole deutete eine Verbeugung an. „Es ist so, wie ich gesagt habe. Das Schiff hält direkt auf die Hafenbucht zu. Und – und außerdem hat es eine Menge Frauen an Bord.“
„Frauen?“ Die Queen horchte auf und erhob sich spontan. „Zum Teufel, das können nur Boussacs Huren sein!“
Mit Tomdijk und Caligula im Gefolge begab sich die Black Queen schnurstracks zum Hafen, und schon bald konnte sie mit eigenen Augen erkennen, daß der Kreole nicht übertrieben hatte. Auf dem Schiff gab es tatsächlich eine ganze Menge Frauen, auch die merkwürdige Aufmachung stimmte mit der Meldung überein. „Coq d’Or“ hieß die Galeone und stammte eindeutig aus Frankreich.
„Das sind ohne Zweifel die Mädchen aus Paris“, sagte Caligula. „Da hätte sich Boussac das Gejammere sparen können. Der Kapitän war schon von selbst so schlau, sich etwas umzuhören, statt nach Frankreich zurückzukehren.“ Er grinste. „Und jetzt hockt der geschäftstüchtige Emile irgendwo in der ‚Schildkröte‘ und schnarcht die Wände an, statt seine Mädchen zu empfangen. Er wird dumm schauen, wenn er es erfährt.“
Willem Tomdijk lachte glucksend.
„Er wird vor Freude im Dreieck hüpfen, der gute Emile“, sagte er. „Wir sollten ihn benachrichtigen lassen.“
„Nein“, entschied die Queen. „Zunächst einmal müssen wir sicher sein, daß es auch tatsächlich seine Mädchen sind. Die Sache hat schließlich keine Eile.“
Als die seltsame Galeone in den Hafen einlief, erregte sie mächtiges Aufsehen. Die Kerle auf den Schiffen der Black Queen starrten sich fast die Augen aus, ebenso die Leute, die den Hafen bevölkerten.
Daß Emile Boussac einen Mädchentransport aus dem fernen Frankreich erwartete, hatte sich längst auf Tortuga herumgesprochen, so daß jedermann wußte, was es mit den winkenden und lachenden Mädchen auf sich hatte, die sich am Schanzkleid drängten.
Ja, das war für Tortuga schon etwas Besonderes. Und als Kapitän Lucien Amadou zusammen mit dem weiblichen „Führungsgremium“ bestehend aus Manon, Julie, Cécile und Esther, an Land ging und von der Black Queen, Caligula und Willem Tomdijk empfangen wurde, drängten sich eine Menge Schaulustiger am Ufer.
Dessen ungeachtet wurden an den Ankerplätzen bereits lautstarke „Vorverhandlungen“ von Schiff zu Schiff geführt. Die Mädchen, die sich noch an Bord der „Coq d’Or“ befanden, gingen bereitwillig auf die Zurufe der Schiffsmannschaften ein.
Der Black Queen gefiel das ganz und gar nicht. Sie hatte keine Lust, sich durch ein Schiff voller leichter Mädchen gewissermaßen die Schau stehlen zu lassen. War die Stimmung auf Tortuga seit ihrer Machtübernahme etwas gedrückt gewesen, so schienen die Bewohner jetzt plötzlich aufzutauen. Kaum jemand kümmerte sich noch um die Anwesenheit der Black Queen, alles drehte sich nur noch um die Mademoiselles aus Paris.
Die Queen wurde wütend.
„Ich möchte nicht, daß diese Weiber Unruhe auf die Insel bringen“, sagte sie zu Lucien Amadou. „Wir haben ohnehin schon Ärger genug mit dem Gesindel, das sich hier festgesetzt hat. Mir wäre es lieber, wenn Sie mit dem ganzen Weiberpack weitersegeln würden.“
Der rothaarige Amadou setzte sein verbindlichstes Lächeln auf.
„Aber Madam, wo denken Sie hin?“ sagte er. „Ich muß schließlich meine Vertragspflicht erfüllen. Ich habe diese fünfzig Mädchen